- Entwicklungsformen des Handels - Warengesellschaft 07 - Wal Buchenberg, 21.07.2002, 07:47
- Re: Entwicklungsformen des Handels? - Ein weiterer Mythos der WiWi - André, 21.07.2002, 19:02
Entwicklungsformen des Handels - Warengesellschaft 07
Griechen 07
4.2. Entwicklungsformen des Handels
Bisher wurde nur die Frage, wer am frühgriechischen Güteraustausch beteiligt war, nicht die Frage, wie dieser Güteraustausch aussah, welche Formen er annahm.
Vom Handel mit Münzgeld wissen wir, dass er sich erst nach 640 v. Chr. in der griechischen Welt durchzusetzen begann. Aber auch der Tauschhandel, der zu dieser Zeit noch in weiten Teilen der Welt vorherrschte ist nicht die älteste Form der Güterübertragung.
Wahrscheinlich hat der Güteraustausch an zwei Ausgangspunkten begonnen: dem Raub bei Feinden und dem Geschenk bei Freunden. Beide Formen der Besitzübertragung sind nicht an sesshafte Lebensweise gebunden. Für beide lassen sich viele historische und völkerkundliche Belege beibringen, die auf eine sehr frühe Zeit verweisen. Bei beiden Formen kommt es auch noch nicht auf einen gleichen oder ‚gerechten’ Tausch an: Man raubt, was man findet und man schenkt, was man hat.
Sesshaftigkeit mindestens einer Seite setzt der „schweigende Tausch“ voraus: Die Ankommenden legen am Strand oder vor den Mauern einer Stadt ihre Güter nieder und ziehen sich dann wieder zurück, um zu demonstrieren, dass sie keine kriegerischen Absichten haben. Die sesshafte Seite nimmt sich von den angebotenen Gütern, was sie möchte und lässt als Gegengeschenk oder als „Bezahlung“ von ihren eigenen Gütern zurück, soviel sie möchten. Herodot schildert so einen „schweigenden Tausch“ folgendermaßen: „Die Karthager (= Phönizier) erzählen auch von einem Ort und von Menschen, die außerhalb der Säulen des Herakles (= Gibraltar) wohnen; wenn sie dahin kommen und ihre Waren herausbringen, legen sie dieselben ans Ufer und gehen wieder in die Schiffe, auf welchen sie Rauch machen. Wenn die Einwohner den Rauch sehen, kommen sie ans Meer und legen Gold für die Waren hin, worauf sie von den Waren wieder weggehen. Alsdann steigen die Karthager wieder ans Land und sehen zu; scheinen die Waren mit dem Gold bezahlt, so nehmen sie es und fahren ab. Reicht das Gold aber nicht, so gehen sie wieder auf die Schiffe und warten.
Jene kommen und legen so viel Gold zu, bis diese zufrieden sind. Sie betrügen einander nicht; denn sie rühren das Gold nicht an, bis es dem Wert der Waren gleich ist; jene rühren die Waren nicht eher an, bis diese das Gold genommen haben.“(Herodot 4, 196)
Hier wird auf jeden Fall Beidseitigkeit der Güterübertragung erwartet, aber noch nicht unbedingt und von Anfang ein Tausch in gleichen Werten, auch wenn Herodot und die Karthager in diesem Fall darauf Wert legen. Der „schweigende Tausch“ kann eine Güterübertragung zwischen Fremden ohne Blutvergießen regeln. Falls aber die sesshafte Seite die angebotenen Güter ohne Gegengabe an sich nimmt, ist das eine Kriegserklärung, die mit Blutvergießen enden wird. Im anderen Fall, falls die Kauffahrer das Gold und die Waren an sich nehmen wollen, müssen sie mit einem sofortigen Angriff der Einheimischen rechnen. Der Tauschplatz kann also nicht so nahe am Ufer liegen, dass die Kauffahrer ungestraft mit Gold und Waren abziehen könnten. Das Erfolgsgeheimnis des „schweigenden Tausches“ ist die Drohung mit einer bewaffneten Menschengruppe, die stark genug ist, um bei Misslingen des Tausches Gewalt anzuwenden.
Bei Raub, Geschenken und „schweigendem Tausch“ handeln in der Regel größere Gruppen von Personen, ganze Sippen oder Stämme oder ihre Repräsentanten, ein König oder sein Stellvertreter.
Sesshaftigkeit auf beiden Seiten setzt der regelmäßige Tribut voraus, der eine Weiterentwicklung und mildere Form des Raubes ist. Auch hier handeln die Personen in Vertretung eines Stammes oder Staates.
Erst mit dem Wanderhandel beginnt das, was wir heute gewohnt sind, Handel zu nennen. Beim Wanderhandel hatten wir schon festgestellt, dass er eine Sache armer Leute ist. Wenn sich dann feste Tage für den Handel einbürgern, entsteht auch der Markthandel. Bevor wir uns anschauen, wie diese Entwicklungsformen des Handels in Griechenland aufgetreten sind, zuvor noch eine allgemeine Übersicht:
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Der Entwicklungsgang des Handels verläuft also vom zufälligen zum regelmäßigen Gütertausch, vom ungleichen Werttransfer zum möglichst gleichwertigen und von kollektiven (staatlichen) Akteuren zu individuellen und privaten Akteuren.
Diese Entwicklungsschritte sollen im folgenden geschildert und an den verfügbaren Quellen belegt werden.
4.2.1. Raub
Raub leistet wie Handel eine Besitzübertragung und er vertritt entweder den Handel (rauben, um nicht erhandeln und bezahlen zu müssen) oder der Raub beginnt einen Handel (rauben, um zu verkaufen) - das ist der Fall beim klassischer Raubhandel, dem Sklavenhandel. Wie der Handel ist auch der Raub mit Mühen, man kann auch sagen: mit Arbeit, verbunden. Ziel und Zweck ist die Aneignung einer fremden Sache. Die aneignende Tätigkeit besteht in der kooperativen Anstrengung der Räuber, die nötig ist, um die bisherigen Besitzer von ihrem Besitz zu trennen.
Für die Griechen war der Krieg eine Erwerbsform neben anderen. Im „Oikonomikos“ wird der Krieg neben Lohnarbeit, Handel und Landwirtschaft gestellt. „Die Landwirtschaft ist am besten, weil sie gerecht ist. Denn sie geht nicht auf Kosten der Menschen, ob die es nun wollen, wie im Handel und bei Lohnarbeit, oder ob sie es nicht wollen, wie im Krieg.“ (Pseudo-Aristoteles, Oikonomikos (1343a 25-b) zit. n. Finley, Antike; S. 142f )
Das berühmte Wort von Heraklit, „der Krieg ist von allem der Vater“, wird zu gern als nur metaphorische Weisheit über abstrakte Widersprüche in der Welt verstanden. Aber so wie Heraklit diesen Satz begründet: „Der Krieg ist von allem der Vater, von allem der König, denn die einen hat er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien gemacht“ (Heraklit, 50. Die Vorsokratiker I, RUB) ist eindeutig, dass Heraklit von blutigen, gewalttätigen und wirklichen Kriegen der Antike, nicht von einer frommen Metapher spricht.
Auch wenn der Räuber für sich selbst raubt und keinen Verkauf einleitet, ist ein Raubzug häufig Vorbedingung des Handels: Er liefert Kenntnis der Verkehrswege, der fremden Güter und ihrer Besitzer. Raubzüge senken das Risiko eines folgenden Handelsverkehrs. Im allgemeinen werden Raubzüge in der griechischen Welt dem Handel vorausgegangen sein und Seeräuberei blieb der ständige Begleiter des Seehandels. In der Mehrzahl waren diese Seeräuber Griechen, nicht Fremde. Der Historiker Thukydides schreibt über die griechische Frühzeit:
„Die Hellenen in alter Zeit und auch die Barbaren, die an den Küsten des Festlands und auf den Inseln wohnten, hatten kaum begonnen, mit Schiffen häufiger zueinander hinüber zu fahren, als sie sich auch schon auf den Raub verlegten, wobei gerade die mächtigsten Männer sie anführten, zu eigenem Gewinn und um Nutzung für die Schwachen; sie überfielen unbefestigte Städte und verstreute Siedlungen und lebten so fast ganz von Raub. Dabei brachte solches Tun keine Schande, sondern eher sogar Ruhm.“(Thukydides 1, 5, 1.) Raub brachte also nicht nur Reichtum und Ruhm für die Mächtigen, sondern auch Nutzen für die „Schwachen“ mit denen die Beute geteilt wurde.
Der erzählerische Spannungsbogen der Ilias entwickelt sich aus einem Streit um Beute zwischen Achill und Agamemnon. Und wenn die homerischen Helden aufeinandertreffen unterhalten sie sich gegenseitig mit ihren erfolgreichen Raubzügen. Achilles berichtet von seinen Heldentaten: „Zwölf Städte von Menschen habe ich zerstört zu Schiff und elf zu Fuß, sage ich, in der fruchttragenden Ebene von Troja. Aus allen diesen nahm ich viele edle Kleinodien mit.“ (Ilias 9, 328-331)
Odysseus erzählt bei einer Gelegenheit: „Von Ilion trug mich der Wind in die Nähe der Kikonen, nach Ismaros. Dort zerstörte ich die Stadt und tötete die Männer; die Frauen und viele Güter nahm ich mit aus der Stadt, wir verteilten sie, so dass mir keiner um seinen Anteil käme.“ (Odyssee 9, 39-42)
Bei seiner Rückkehr in die Heimat berichtet er: „Neunmal führte ich Männer und schnelle Schiffe gegen Männer eines anderen Landes und sehr viel Beute fiel mir zu, von dem ich auswählte, was mir passte, und viel erlangte ich dann durchs Los.“ (Odyssee 14, 230-233)
Und in der Unterwelt wurden die von Odysseus erschlagenen Freier seiner Frau nach ihrer Todesursache gefragt: „Regte Poseidon schwere Winde und hohe Wellen auf und überwältigte euch in euren Schiffen? Oder erschlugen auch feindliche Männer auf trockenem Land, während ihr Vieh und schöne Herden von Schafen zu erbeuten suchtet oder während sie ihre Stadt verteidigten und ihre Frauen?“ (Odyssee, 24, 109-113)
Dabei handelte es sich fast um eine frühgriechische Standardfrage, denn sie wird an anderer Stelle bei anderen Toten wörtlich wiederholt. (Odysseus 11, 399-403) Eine ähnliche Frage wird häufiger an lebende Neuankömmlinge gestellt: „Fremde, wer seid ihr? Von woher kommt ihr die feuchten Pfade gefahren? Ist es eines Geschäfts wegen? Oder schweift ihr nur so hin wie Seeräuber über die Salzflut, die da umherschweifen und ihr Leben daran setzen, indem sie anderen Böses bringen?“ (Odyssee 3, 71-74 und öfter. vgl. Murray S. 76)
Auch nichtgriechische Quellen belegen griechische Beutezüge. Ein assyrischer Bericht meldet in den 730er Jahren v. Chr. ionische Überfalle an der phönizischen Küste (Die Ionier waren griechische Kolonisten an der kleinasiatischen Küste). Und für die Hafenstadt Asdod ist belegt, dass dort im Jahr 712 Rebellen niedergeschlagen wurden, die einen Ionier zum König gewählt hatten. Der musste über besondere kriegerische Erfahrung verfügt haben. (vgl. Boardman, S. 49)
Ohne überlegene militärische Ausrüstung und eine zahlreiche Gefolgschaft war an einen Raubzug nicht zu denken. Für eine erfolgversprechende Beutefahrt war also schon einiger Reichtum Voraussetzung. Raub- und Beutezüge waren eine aristokratische Form der Güterübertragung. Aber die Gefolgsleuten der kriegerischen Beutefahrer, die „Schwachen“ haben nicht nur etwas von der Beute abbekommen, sondern Seefahrt, Verkehrswege und Sitten und Gebräuche fremder Siedlungen und Völker kennen gelernt. Das war wohl der dauerhafteste Gewinn.
Herodot spricht ausdrücklich davon, dass durch kriegerische Seefahrten die Adria für alle Griechen bekannt gemacht wurde: „Die Phokaier haben als erste unter den Hellenen weite Seefahrten unternommen, und sie sind es, die die Adria bekannt gemacht haben und Etrurien und Spanien und die Stadt Tartessos entdeckt haben. Sie fuhren nicht auf breiten Fracht-, sondern auf Kriegsschiffen.“ (Herodot, 1, 163) Es werden keine Ferienkreuzfahrten gewesen sein.
Aber schon Hesiod hatte betont, dass Raub und Beutezüge nur einen kurzfristigen und keinen nachhaltigen Wohlstand bringen, vor allem wohl weil die Rache der Beraubten droht: „Denn mag einer auch kraft seiner Faust große Güter erraffen oder zungenfertig erschwatzen... so stürzen die Götter leicht diesen Mann, lassen sein Haus schwinden, und kurze Zeit nur bleibt ihm der Wohlstand.“ (Hesiod, 320ff ) Für Hesiod ist es schon selbstverständlich, dass jemand mit einer Warenladung losfährt, nicht mit Kriegern. Der Inhalt attischer Gräber im späten achten Jahrhundert weist reichen Goldschmuck auf. Gleichzeitige bemalte Vasen zeigen Bilder von Seeschlachten mit gekenterten Schiffen. Die Töpferei des siebten Jahrhunderts kennt solche Motive nicht mehr. (vgl. Hopper..., S. 41)
Aber noch rund 100 Jahre nach Hesiod wird in einer gesetzlichen Bestimmungen des Solon gesagt: „Was immer die... Leute, die außer Landes gehen, um Beute zu machen oder Handel zu treiben,... miteinander vereinbaren, das soll Geltung haben, soweit nicht staatliche Schriftstücke entgegenstehen.“ (zit. n. Gschnitzer, S. 79f ) Kollektive Raubzüge und friedlicher Handel werden hier von Solon gleichberechtigt auf eine Stufe gestellt.
Dass den Griechen klar wurde, dass Raub nicht die vorteilhafteste Form der Besitzübertragung ist, kann man bei Herodot nachlesen. Er erzählte die Geschichte von dem besiegten Krösus, dessen Hauptstadt von den siegreichen Persern geplündert wurde. Als Krösus das sah, fragte er den Perserkönig Cyrus, was seine Leute da machen. „Sie berauben deine Stadt und vernichten deine Güter!“ Krösus antwortete: „Sie berauben nicht meine Stadt und meine Güter, denn davon gehört nichts mehr mir. Sie rauben das, was jetzt dir gehört!“
Diese Parabel sagt nichts aus über Krösus oder Cyrus, aber viel über die geänderte Einstellung der Griechen zu Raub und Plünderung. Man hatte erkannt, dass es effektivere Aneignungsverfahren gibt, und bald wurde der Raub auch moralisch geächtet. Aber erst beim Philosophen Platon (427 - 347 v.Chr.) heißt es: „Besitzergreifung durch Gewalt ist schamlos“ (Platon, Gesetze 941b.)
4.2.2. Aristokratische Geschenkkultur
Die Griechen wären nicht so erfolgreich gewesen, wenn sie nicht rechtzeitig in der Lage gewesen wären, frühere Feinde in Handelspartner zu verwandeln. Und das wäre ihnen nicht gelungen, wenn sie nicht gewusst hätten, sich Freunde und Verbündete zu verschaffen und diese Freundschaften und Bündnisse zu pflegen. Das sichtbare Zeichen von Freundschaft und Bündnis waren Geschenke. Sie erfüllten vielfältige Funktionen im Leben der Griechen.
4.2.2.1. Geschenke unter Gleichgestellten
Unter Gleichgestellten besiegelten Geschenke eine Freundschaft oder ein Bündnis. So berichtet Herodot von Krösus, dem König von Lydien: „Weil Kroisos von allen diesen Dingen Nachricht hatte, schickte er Gesandte nach Sparta, welche Geschenke mit sich brachten und wegen eines Kriegsbundes Verhandlungen anbahnen sollten... Die Spartaner hatten auch schon vorher einige Gefälligkeiten von ihm genossen. Denn als sie nach Sardes schickten um Gold zu der Bildsäule des Apollon kauften, welche zu Larnax in dem lakedämonischen Gebiet noch steht, machte ihnen Krösus bei diesem Kauf ein Geschenk.“ (Herodot, 1, 69)
Unter Gleichgestellten können daher auch Geschenke erbeten werden. Einmal schien es dem Odysseus klüger, statt sofort mit leeren Händen heimzureisen, „noch durch mehrere Länder zu reisen und um Geschenke zu bitten.“ (Odyssee, 19, 284)
Das griechische Wort „xenos“ bedeutete ebenso „Fremder“ und „Ausländer“ wie „Feind“ und „Gastfreund“. Es hing vom gegenseitigen Verhalten ab, welche Rolle der Fremde übernehmen konnte oder übernehmen musste. Als Odysseus auf seiner Irrfahrt auf den Riesen Polyphem trifft, bittet er den Riesen um ein Geschenk als Zeichen dafür, dass er Odysseus als Gastfreund annimmt. Darauf antwortete der spöttisch: „Ich will dich als letzten deiner Mannschaft verschlingen, das soll mein Gastgeschenk für dich sein.“ (Odyssee, 9, 370.) In einer Welt voller Fremde und Feinde waren Geschenke Ausdruck gegenseitigen Respekts, der erst friedlichen Verkehr miteinander erlaubte.
Für Geschenke wurde eine Gefälligkeit oder ein Gegengeschenk erwartet, es war also ein Güteraustausch wie ein Handel. Bei Aristoteles heißt es, dass „man dem, der uns gefällig gewesen ist, Gegendienste erweisen und auch seinerseits mit Freundlichkeiten begegnen muss.“ (Nikomachische Ethik 1133a 4-5.)
Bei Homer wird einer kritisiert, der den Sohn des vermeintlich toten Odysseus reich beschenkt hatte und damit einen „Kredit“ eingegangen war, der wahrscheinlich nicht „zurückgezahlt“ werden konnte: „Mit den Geschenken aber, die du zehntausendfältig dargereicht, hast du eine vergebliche Gunst erwiesen. Ja, wenn du ihn (Odysseus) lebend im Gau von Ithaka angetroffen hättest, dann hätte er es dir mit Geschenken gut vergolten und dich auch mit guten Gastgeschenken hinweggeschickt, denn das ist der Brauch, wenn einer damit vorangegangen.“ (Odysseus, 24, 283-86).
Die westliche Entrüstung über die Rolle, die Geschenke heute noch in China zur Anbahnung von Geschäften spielen, ist Ausdruck moderner kapitalistischer Denkweise, die vergessen hat, dass es früher auch bei uns normal und selbstverständlich war, dass man Geschäfte nicht mit Fremden, sondern nur mit „Geschäftsfreunden“ macht.
Im Unterschied zum Handel war es beim Schenken nicht Ziel, gleiche Werte zu tauschen. Der Wert eines Gegengeschenks repräsentierte nicht ein bestimmtes Quantum von Arbeitszeit, sondern den sozialen Status des Gebers und den Respekt, dem er dem Empfänger entgegenbrachte. Der Name des Gebers blieb daher immer mit einem Geschenk verbunden und verlieh ihm seinen Wert. (Odysseus 4, 613 ff, wiederholt 15, 113 ff ) So hatte z.B. Menelaos vom König von Sidon einen silbernen Mischkrug erhalten, den er später dem Telemachos weiterverschenkt, indem er ihm dabei die ganze Vorgeschichte des Kunstwerks erzählt, um seinen Wert deutlich zu machen. (Odyssee 15, 113-19)
Es war also nicht nur möglich, sondern die Regel, dass im Wert völlig unterschiedliche Dinge ausgetauscht wurden. Als Homer von so einem ungleichen Tausch auf dem Schlachtfeld vor Troja berichtet, missversteht er diesen Austausch als missglückten Handel, der den Tausch gleicher Werte zum Ziel hat. Daher lässt er sich zu einem bei ihm sonst seltenen persönlichen Kommentar hinreißen, um sein Unverständnis auszudrücken: „Aber dann nahm Zeus der Kronide ihm seinen Verstand, dass er seine goldene Rüstung mit Diomedes,... gegen eine aus Bronze vertauschte, den Wert von hundert Ochsen gegen den Wert von neun Ochsen.“ (Ilias, 6, 234-236.)
Das Schenken konnte sogar zum aristokratischen Wettbewerb werden: „Die eine edle Frau und Tochter eines reichen Mannes heimführen wollen und miteinander streiten, die bringen selber als Schuldigkeit Rinder herbei und fette Schafe zum Schmaus für der Jungfrau Anverwandte und geben glänzende Geschenke.“ (Odyssee, 18, 274ff.) Dieser Brauch, die Eltern der Umworbenen zu beschenken, geht im klassischen Griechenland verloren. Statt dessen entwickelt sich der Brauch der elterlichen Mitgift für die Braut. (vgl. Murray, S. 56.)
4.2.2.2. Geschenke unter ungleichen Partnern
Geschenke hatten nicht immer den Charakter der Freiwilligkeit. Bei Homer finden wir auferlegte Geschenke mit einem Beigeschmack von Strafe, so das Versöhnungsgeschenk Agamemnons für Achilles. Wir finden „Geschenke“, die Aristokraten dem Volk als Abgaben auferlegen, um ihre Ausgaben für Gastfreunde zu decken: „Lasst uns noch jeden ein groß dreifüßig Geschirr und ein Becken ihm verehren. Wir fordern uns dann vom versammelten Volke wieder Ersatz; denn einen einzelnen belästigen solche Geschenke.“ (Odyssee 13, 13-15.) Bei Hesiod hatten wir schon gesehen, dass er wegen solcher Bräuche die Könige als „Geschenkefresser“ verflucht.
Wir finden Geschenke, die als Darlehen gedacht sind. Als der Sohn von Odysseus sich von Noemon ein Schiff auslieh, rechtfertigte sich der hinterher, es wäre ja schwer, ein solches „Geschenk“ zu verweigern. (Odyssee 4, 651) Hier ist als „Geschenk“ nicht eine dauernde Eigentumsübertragung gemeint, sondern eine zeitlich befristete Nutzung des Schiffes, eine Leihgabe.
Wir finden schließlich Geschenke, die als Tribut an einen Sieger zu zahlen sind. Immer verwendet Homer dafür das Wort „Geschenk“: So bietet Agamemnon als Versöhnungsgeschenk an: „Und sieben gutbewohnte Städte will ich ihm geben... Und dort wohnen Männer mit vielen Schafherden und Rinderherden, die ihn wie einen Gott mit Geschenken ehren werden.“ (Ilias 9, 149-155, wörtlich wiederholt in 9, 291-297)
Die Geschenkkultur des frühen Griechenlands übernahm also nicht nur soziale Funktionen, sondern erfüllte auch vielfältige wirtschaftliche Zwecke, die später von anderen Formen der Güterübertragung, der Steuer, dem Tauschhandel usw. übernommen worden sind. Dabei handelte sich nicht um eine spezifisch griechische Eigenart. Über das sogenannte Wüstentor der Stadtmauer von Ninive lesen wir in einer Keilschrift unter Sanheribs Herrschaft: „Die Begrüßungsgeschenke von Schumuil und Tema kommen hier herein.“ (zit. n. Scheck, Weihrauchstraße S. 92.)
Die Ausdehnung der Geschenkkultur machte die Griechen mit der verlockende Welt fremder Kulturen und fremder Reichtümer in Kleinasien, Syrien und Ägypten bekannt, bevor sie in geregelte Handelsbeziehungen, dem Tausch gleicher Werte, mit diesen Ländern eingetreten sind. Aristokratische Raubzüge können da nur eine vorübergehende Form der Aneignung gewesen sein. Als zusätzliches und wichtigeres Element des Kontakts mit fremden Welten, an der sich große Bevölkerungsteile der Griechen beteiligten, entwickelte sich die Kolonisation. Damit machten sich die Griechen zu ständigen Nachbarn dieser fremden Völker. Die Kolonisation ist das Erfolgsgeheimnis des wirtschaftlichen und kulturellen Aufstiegs des antiken Griechenlands.
Herausbildung der Warengesellschaft in Griechenland (Bisheriger Text)
Wird fortgesetzt, Wal Buchenberg
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