- Griechische Kolonisationsbewegung (Überblick) - Warengesellschaft 08 - Wal Buchenberg, 22.07.2002, 07:44
Griechische Kolonisationsbewegung (Überblick) - Warengesellschaft 08
5. Griechische Kolonisation
Kolonisation neuer Gebiete war eine Lebensweise, die die Griechen aus alter Zeit gewohnt waren. Man erinnert sich vielleicht noch daran, dass Thukydides davon sprach, dass die Griechen in ihrer Frühzeit „ohne Bedenken ausgewandert sind“. Bis im gebirgigen Griechenland jede der kleinräumigen Zonen bewohnt und alle ägäischen Inseln und um 1000 v. Chr. die Griechenland gegenüberliegende kleinasiatische Küste von Griechen besiedelt waren, verging muss einige Zeit vergangen sein, aus der wir nur spärliche archäologische Funde und linguistische Indizien zur Verfügung haben. Die Geschichtswissenschaft nennt diese Zeit auch das „Dunkle Jahrhundert“. Diese ältere Expansion der Griechen verlief wohl nicht in kleinen Gruppen, sondern im Rahmen eines oder mehrerer Volksstämme. Die ionischen Städte in Kleinasien weisen noch in späterer Zeit Reste einer Stammesorganisationen auf, einen „König der Ionier“ und einen „Rat der Ionier“, die wohl anzeigen, dass die einzelnen Städte erst nach einer gemeinsamen Wanderungszeit ihre Selbständigkeit entwickelt haben (vgl. Gschnitzer, S. 43.). Im achten Jahrhundert waren die meisten ostgriechischen Stadtgemeinden an der kleinasiatischen Küstenlinie schon relativ wohlhabend.
Die anderthalb vorchristlichen Jahrhunderte von ca. 734 bis etwa 580 erlebten die zweite, jüngere Phase der griechischen Expansion. Doch diese zweite Siedlungsbewegung war in relativ kleinen und selbständigen Gruppen organisiert, die mit höherer Frequenz Stadtkolonien in viel weiteren Entfernungen gründeten, was die Zahl der Mittelmeerstädte in dieser Zeit fast verdoppelte. Auch in Griechenland selbst wurde die Zahl der Stadtsiedlungen verdoppelt. (vgl. Murray S. 132.)
Die Entwicklungsrichtung der älteren Kolonisationsbewegung verlief in Richtung Osten zu den Randzonen der asiatischen Hochkulturen. Die jüngere Kolonisation der archaischen Zeit hatte zwei Hauptrichtungen: Einmal nach Norden entlang der nordägäischen Küste und nach Nordosten ans Schwarze Meer und eine zweite Richtung nach Westen, nach Sizilien und Unteritalien. Diese Reihenfolge der Kolonisationsrichtung spiegelt sich auch in den Epen Homers wieder: die ältere Ilias ist nach Osten gerichtet, die spätere Odyssee nach Westen. (Finley, Odysseus, S. 30.) Die westliche Kolonisierung expandierte meist in Gebiete, die gegenüber den Griechen wirtschaftlich und kulturell noch rückständig waren, aber neben gutem Ackerland auch über wichtige Metallvorkommen verfügten.
Militärisch wurde der Erfolg der älteren Kolonisationsbewegung in der Ägäis und in Kleinasien wohl durch die Schwächung des Hethiterreiches in Kleinasien ermöglicht, das um diese Zeit von vordringenden Nomadenvölkern aus dem Norden bedrängt und zerstört wurde.
Der militärische Erfolg der jüngeren Kolonisation beruhte auf einer „Nadelstichtaktik“: Die Neusiedler besetzten mit zahlenmäßig geringen Kräften, jeweils nur vielleicht 100 bis 300 Mann, nur einen eng begrenzten Ort. Da die jüngere Siedlungsbewegung in Räume stieß, die noch keine zentralisierten und mächtigen Staatsgebilde kannten, blieb auch der einheimische Widerstand lokal und begrenzt. Dort bewies die von den Griechen entwickelte kollektive Kampfesweise eines geschlossenen Rechtecks („Phalanx“) mit mehreren Kampfesreihen von Bauernkriegern, die um Land und damit um ihre Existenz kämpften, eine deutliche Überlegenheit über die bis dahin üblichen Kampfesweise der aristokratischen Einzelkämpfer, die die Waffentechnik für sich monopolisiert hatten und daher im äußersten Notfall nur von schlecht bewaffnetem und militärisch ungeübtem Fußvolk unterstützt werden konnten.
Wo es die Griechen mit zentralisierten Reichen oder mächtigeren Einflussgebieten zu tun hatten, an der syrischen Küste, in Ägypten, oder in Norditalien (Etrurien), dort konnten die Griechen keine politisch selbständigen Kolonien gründeten. In Al Mina an der syrischen Küste und in Naukratis in Ägypten wohnten zwar mit Duldung der jeweiligen Machthaber griechische Siedler, sie lebten aber mit Einheimischen zusammen und erreichten keine volle politische Selbständigkeit. Die syrisch-palästinensische Küste stand seit dem späten 8. Jahrhundert unter der sicheren Kontrolle erst der Assyrer dann der Perser. Dass die Griechen versucht hatten, sich dort festzusetzen, beweist ein Aufstand der Handelsstadt Tarsos mit griechischer Beteiligung im Jahr 696 v. Chr. Der assyrische Herrscher Sennacherib schlug den Aufstand nieder und zerstörte Tarsos. Die Quellen berichten auch von einer Seeschlacht zwischen Assyrern und den Ioniern, den kleinasiatischen Griechen. (vgl. Boardman, S. 49.)
In Mittel- und Oberitalien stießen griechische Expansionsversuche auf etruskischen und phönizischen Widerstand. Später übernahmen die Römer die Kontrolle über die etruskische Einflusszone. Teile Siziliens, Sardiniens und der spanischen und der nordafrikanischen Küste blieben unter phönizischen, bzw. Karthagischem Einfluss und die Karthager ließen ließen nur das griechische Kyrene an der nordafrikanischen Küste zu, ndere griechische Kolonisierungsversuche konnten sie abschlagen.
So konzentrierte sich die griechische Kolonisation auf die ägäischen Inseln, die kleinasiatische Küste, die Küsten am Schwarzen Meer und in Unteritalien und Sizilien. Als dann das neu gebildete Großreich der Perser erst die kleinasiatischen Kolonien und dann Griechenland selbst mit konzentrierter Kraft angriff, bewährte sich dieses Netzwerk ohne Machtzentrum in der Defensive, sofern und solange sich die griechischen Städte sich auf ein großes Verteidigungsbündnis einigen konnten.
Durch ihre Kolonisationsbewegung kamen die Griechen mit vielen verschiedenen Völkern und Kulturen in Kontakt, von denen sie bereitwillig lernten. Der Name „Barbaren“ („Stammler“), den die Griechen allen gaben, die eine ihnen unverständliche Sprache sprachen, bekam erst spät eine verächtliche Bedeutung. Vor allem die asiatischen „Barbaren“ hatten zunächst ein höheres kulturelles Niveau als die Griechen.
Das Mittelmeer wurde durch die griechische Kolonisation mit einem Netz von griechischen Siedlungen überzogen, was den Seeverkehr förderte, und die Griechen spielten im Seehandel in Konkurrenz mit den Phöniziern eine immer wichtigere Rolle. In vieler Hinsicht ist die Kolonisation das Geheimnis des griechischen wirtschaftlichen und kulturellen Aufstiegs. Im folgenden soll daher noch auf einzelne Aspekte dieser Bewegung näher eingegangen werden: Was waren die Triebfedern und aktuellen Anlässe der Kolonisation? Wer beteiligte sich daran? Wie lief eine Koloniegründung ab? Wie wurde die Vorbevölkerung von den Kolonisten behandelt? Welche allgemeinen Resultate brachte die griechische Kolonisation?
Herausbildung der Warengesellschaft in Griechenland (Bisheriger Text)
Wird fortgesetzt, Wal Buchenberg
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