- Zur Geschichte der liberalen Ideologie - Taktiker, 04.08.2002, 01:31
- merci fürs reinstellen (owT) - PuppetMaster, 04.08.2002, 12:41
- Re: Zur Geschichte der liberalen Ideologie - Hirscherl, 04.08.2002, 12:44
- Ein bemerkenswerter Beitrag... - silvereagle, 04.08.2002, 14:51
Ein bemerkenswerter Beitrag...
Am besten hat mir folgendes gefallen:
Wir haben die Aufgabe, für das 21. Jahrhundert den alten Begriff der"sozialen Freiheit" gegen die"Orwellsche Freiheit" des Liberalismus neu zu erfinden.
Das gefällt mir deshalb so gut, als es nichts anderes bedeutet als
"Time to say good bye. Und zwar zum"Kollektiv". Jetzt kommt die Gemeinschaft!" Remember? ;-) Oder anders gesagt: Schluss mit künstlich herbeigeführten bzw. herbeigelogenen"Sammelaktionen","Kollektiven" und in Wahrheit gar nicht existierenden"Gesellschaften".
Aber sehen wir uns den Text weiter an:
> [...] Die alten Griechen bezeichneten ihre dämonischen Göttinnen der Rache, deren Haare züngelnde Schlangen waren, aus purer Angst als"die Wohlgesinnten". Vielleicht ist der Begriff des Liberalismus in einem ähnlichen Zusammenhang entstanden.
Gut möglich.
>[...] und wenn sie in ihren zahllosen Revolten der Fahne der"Freiheit" folgten, dann meinten sie damit immer ihre soziale Autonomie sowohl gegen die Übergriffe der absolutistischen Bürokratie als auch gegen die Zwänge der neuen anonymen Märkte.
Mit den"Zwängen" wäre ich ein wenig vorsichtig, da die Institution"Markt" eben niemand"zwingen", sondern - und das gestehe ich problemlos zu -"lediglich" einen starken Druck ausüben kann."Freier" Markt PLUS (z.B. staatlicher) Zwang ist demnach ein wahrlich diabolisches Gemisch...
Des weiteren ist auch beim Begriff"sozial" ein oben beschriebener"Euphemismus" nicht auszuschliessen, weshalb mir gegenständlich menschliche Freiheit als Begriff lieber wäre.
> Sie wollten nicht bis auf die Haut von einem fremden Prinzip bedrängt werden, sondern die Kontrolle über ihre unmittelbaren Lebensbedingungen behalten.
Vor diesem Hintergrund, lieber Taktiker, hätte ich dann gerne ein klares Bekenntnis, dass Marx, Lenin und Co. für die"gemeinen Menschen" ein Danaer Geschenk bzw. ein Trojanisches Pferd waren.
Unabhängig davon, ob Du dies eingestehen kannst, erkläre ich hiermit:
"Ein ISMUS, der sich nach blosser MATERIE orientiert (z.B."KAPITAL"), und stattdessen den MENSCHEN (zunächst) links liegen lässt, ist (zumindest in seiner historischen Wurzel) menschenverachtend."
Zufrieden damit?
>[...] Im Gegenteil stimmten sie mit dem Absolutismus vollständig überein in dem Interesse, die Masse der Produzenten zum"Menschenmaterial" der Weltmärkte zu machen, sie von der Kontrolle über die Produktionsmittel zu enteignen und zu blossen"Arbeitnehmern" unter dem Diktat des Investitionskapitals zu degradieren.
Hierzu fällt mir wieder ein: Ziel der"Macht" sind immer Menschen ohne jeden Halt. Die Zerschlagung der großfamiliären, bäuerlichen Strukturen, die fortschreitende Materialisierung des Denkens und damit verbundene Abkehr von Religiosität haben ganze Arbeit geleistet, oder?
Da stellt sich wieder einmal die Frage: Alles nur Zufall - oder eine konzertierte Aktion?
> Deswegen wären die frühen Liberalen nicht einmal im Traum auf die Idee gekommen, dass das"Menschenmaterial" der Marktwirtschaft irgendein eigenes Recht auf"Freiheit" haben könnte. Unter ihnen gab es sogar Sklavenhalter und Grossgrundbesitzer, die gewaltsam Bauern von ihrem Land verjagten, um es in Viehweide zu verwandeln.
Auch wenn es wohl nicht vom Autor beabsichtigt war, aber nachdem ich unseren Taktiker und seine Denkstruktur einigermassen zu kennen glaube, möchte ich mit Nachdruck davor warnen, diese niedere Motivation auch heutigen Menschen zu unterstellen, welche (auf mir sympatische Weise, aber womöglich gefangen in dialektischer Manipulation) die"Marktwirtschaft" bevorzugen und gegen Angriffe (des dialektischen Gegenpols: Planwirtschaft!) rhetorisch brilliant zu verteidigen wissen... ;-)
> Wenn sie von"Freiheit" sprachen, dann meinten sie damit immer nur ihre eigene ökonomische Bewegungsfreiheit als Investoren und"Unternehmer", die sie durch die staatsbürokratische Bevormundung der absolutistischen Apparate eingeengt fühlten.
Es würde mich wirklich freuen, wenn auch diese Verallgemeinerung ab nun der taktischen Vergangenheit angehören würde... ;-)
> Ihre Opposition gegen den Absolutismus hatte also einen ganz anderen Charakter als der soziale Widerstand der Produzenten. Deshalb machten sie auch immer gemeinsame Sache mit dem Absolutismus gegen die sozialen Revolten"von unten". Der Konflikt der ursprünglichen liberalen Ideologie und ihrer Klientel mit dem"Gottesgnadentum" des absolutistischen frühmodernen Staates war immer nur ein relativer, innerkapitalistischer Familienstreit um die weitere Entwicklung der gemeinsamen Geschäftsgrundlagen.
Leider fehlt mir hier die - mindestens ebenso notwendige - Abrechnung mit dem Marxismus, der sich mit dem"Kapitalismus" einen (sehr"erfolgreichen") Wettlauf (Wettbewerb!) um die Totalhinwendung zu materiellen Werten geliefert hat...
>[...] Umgekehrt vertritt der Liberalismus zwar einerseits die ökonomische"Eigeninitiative" des kapitalistischen Individuums gegenüber dem Staat; gerade dadurch aber wird andererseits der Anspruch einer Souveränität des menschlichen Willens gegenüber dem System von Markt und Geld restlos aufgegeben. Dieses System verselbständigt sich also, es wird zum blinden Gesetz des Handelns und der Mensch zum Spielball"ökonomischer Strukturen" und ihrer ziellosen Dynamik.
Wiederum: So"böse" der Alt-Liberalismus einmal gewesen sein mag, der Silberadler (und wohl auch andere hier) haben vom Prinzip des Self-Ownership, der Individualität ALLER Menschen letztlich die Sichtweise von Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Menschen entwickelt, abseits aller materieller Willkür (wohin mE sowohl"Kommunismus" und"Kapitalismus" zu zählen sind).
> Der Liberalismus ist auf diese Weise durch einen ungeheuren Widerspruch gekennzeichnet: Die gesellschaftliche"Freiheit" des Individuums ist immer identisch mit der bedingungslosen gemeinsamen Kapitulation aller Individuen vor einer blinden, nicht verhandelbaren Gesellschafts-Maschine, dem säkularisierten Baal des Kapitals.
Oha, eine religiöse Komponente, die da ins Spiel kommt! Der Baal des Kapitals. Nicht schlecht. Nur ist fraglich, ob Religion und Kapital nicht eine totaler Widerspruch sind... ;-)
Und zum behaupteten"Widerspruch des Liberalismus": ALT-Liberalismus wäre richtiger.
> Man kann es auch so sagen: Durch seine masslosen Ansprüche an die Gesellschaft hat der Absolutismus das subjektlose Monstrum eines verselbständigten ökonomischen Automatismus hervorgebracht, das er selbst nicht mehr beherrschen konnte und das sich schon bald seiner"Souveränität" entzog. Der Liberalismus, der vordergründig die"Freiheit" des Individuums einklagte, hat in Wirklichkeit nur die Verselbständigung dieser"Maschine" exekutiert.
Auch dieser ALT-Liberalismus hatte sich"leider" zwischenzeitig verselbständigt, wie z.B. die österreichische Schule eindrucksvoll beweist. Die"liberal-interne" Diskussion wandte sich folglich auch immer mehr der menschlichen Würde zu und entdeckte unter anderem den schamlosen Missbrauch des Wortes"sozial" durch"Macht" und"Marx".
> Für die Mehrheit der Menschen ist der Gegensatz von Absolutismus und Liberalismus irrelevant: Es läuft für sie auf dasselbe hinaus, ob sie von einer Staatsbürokratie oder von den subjektlosen Mechanismen des Marktes drangsaliert und gedemütigt werden.
Ich gehe mit dottore weitgehend d'accord, dass die Bildung von Märkten wesentlich von der"Macht" initiiert wurde. Irgendwann hat sie aber erkannt, dass diese Märkte eine Gefahr für sie darstellen, weil sie auf sehr praktische Weise die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Menschen als solche vor Augen führten. Folglich die immer stärkere Einmischung in diese samt Monopolisierung der"Rechtsgrundlagen". Ich bleibe dabei: Erst die Kombination Markt - Macht erzeugt den Teufel, den letztlich sowohl"Linke" als auch"Rechte" mit Hilfe des Belzebubs namens"Staat" austreiben wollen: Die einen fordern Totalentmündigung durch"aktive Arbeitsmarktpolitik", die anderen"strenge Bestrafung von Eigentumsdelikten" (als plakative Beispiele, wohlgemerkt).
>[...] Deshalb begann der Liberalismus, die Repression mit Volks- und Industrie-"Pädagogik" zu verbinden.
Die Geburtsstunde des NEUEN Liberalismus, siehe vorhin. ;-)
> Darin liegt ein ungeheurer Zynismus: Die von jeder Kontrolle über ihre eigenen materiellen und sozialen Lebensbedingungen restlos enteigneten Menschen sollen"selbstverantwortlich" gerade darin sein, dass sie sich freiwillig zum"Arbeitsvieh" der Märkte machen und würdelos nach"Arbeitsplätzen" gieren, selbst unter den miserabelsten Bedingungen.
Lieber Herr Kurz, von den"materiellen" Lebensbedingungen waren sie NICHT mehr enteignet, im Gegenteil. Nur leider war das halt viel zu wenig und ein schwacher Trost für Entrechtung als Mensch.
> Einer der grossen Ideengeber für diese liberale"Volkspädagogik" wurde Jeremy Bentham (1748-1832),
Zu diesem"Herrn" (sofern auch nur ein Teil davon stimmt, was da geschrieben steht) brauche ich wohl kein Wort verlieren.
> Bentham hat Orwells Alptraum von"1984" um fast 200 Jahre vorweggenommen, aber als reales Projekt. Ironischerweise versteht die liberal-demokratische Welt heute"1984" als Warnung vor dem (staatlichen) Totalitarismus, ohne zu erkennen, dass sie selber längst das Produkt einer totalitären liberalen Gehirnwäsche ist.
Das ist jetzt leider ziemlicher Humbug. Das Panoptikon-Gefängnis des Herrn Bentham hatte ganz klar staatlich-hoheitlichen Charakter, nicht privaten, oder gar liberalen (in meinem Sinne). Die"Gehirnwäsche" wurde - wie dargelegt - innerhalb"der Liberalen" schon längst überwunden. Heute gibt es eine ganz andere Form von Gehirnwäsche, die an Intensität die damalige weit hinter sich lässt.
> Jener ältere Begriff von"Freiheit" dagegen, der auf soziale Autonomie zielte, gilt als vorindustriell und primitiv.
Nein, er wird mit"Anarchie" verunglimpft.
> Ist die Menschheit wirklich unfähig, die modernen Produktivkräfte durch soziale Selbstbestimmung und bewusste Verständigung zu regulieren, statt sich einem blinden ökonomischen Automaten auszuliefern?
Es wäre wirklich sehr nützlich, hier nochmals mein Eingangsstatement zu lesen. Die"Menschheit" des Herrn Kurz ist halt leider im Moment mindestens soweit weg wie die Erde von der nächsten Galaxis. Zeit für RE-LIGIO.
Gruß, silvereagle
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