- Der Club der Trickser - Seher, 14.08.2002, 15:36
- Blendende Aussichten für den Euro. - Koenigin, 14.08.2002, 17:50
Der Club der Trickser
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Der Club der Trickser
Mit immer neuen Mogeleien höhlen Europas Regierungen den Stabilitätspakt aus
Von Petra Pinzler
Alles schien so einfach. Hier an den Zahlen feilen, dort großzügig schätzen, Warnungen und Fakten ignorieren - und schon stimmte die Statistik. Zumindest bis zu den Wahlen. Danach sollte sich die Sache in ein paar Jahren schon wieder hinbiegen lassen. Stattdessen nun das: die Wahl verloren. Die Macht verspielt. Und den Ruf verdorben - durch Mogeleien mit den Staatsfinanzen und durch die Irreführung Brüssels.
Was Portugals Sozialisten derzeit erleben, verdrängen deutsche Sozialdemokraten mit allen Mitteln."Wir sind nicht Portugal", antwortet der Sprecher von Bundesfinanzminister Hans Eichel ungefragt und verrät damit doch den Berliner Albtraum: Die Geschichte aus dem kleinen Land am Rande Europas könnte sich für den Riesen im Zentrum der Union wiederholen. Wie Portugal steuert auch Deutschland immer schneller auf ein Haushaltsdefizit von über drei Prozent zu und daher auf einen Verstoß gegen den Stabilitätspakt. Vor der Wahl will die Bundesregierung es keinesfalls wahrhaben: Dem Land droht der Offenbarungseid.
Doch das europäische Problem ist größer. Portugal mag ein besonders auffälliger Sünder sein und Deutschland nur ein freiwilliger Blinder. Aber die beiden sind nicht allein. Tricksen, Schönen und Wegsehen sind Disziplinen, die inzwischen in vielen EU-Ländern geübt werden. Je länger der Stabilitätspakt gilt, desto dreister legen die Regierungen seine Worte aus. Frankreich macht aus seiner Verachtung keinen Hehl mehr, Italien stimmt ein. Finnland, Irland und Ã-sterreich sind überführt, ihre Haushaltslöcher durch kreative Buchführung geschönt zu haben. Und auch Griechenland macht Schule mit verwegenen Haushaltstricks. Nun kommen die Kniffe ans Licht, und es zeigt sich: Das Schummeln ist zum Teil der Maastricht-Kultur geworden - und die EU-Kommission vermag wenig dagegen auszurichten.
Erst im Januar hatte es wegen des Paktes zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der EU-Kommission heftig gekracht. Weil die Deutschen bedrohlich nah an die magische Drei rückten, drohte ein blauer Brief. Auf diese Verwarnung können Strafen in Milliardenhöhe folgen. Damals ließ der Kanzler die Muskeln spielen, verhinderte den Brief, musste dafür aber schmerzhafte Auflagen hinnehmen: Bis 2004 soll der Haushalt ausgeglichen werden, Länder und Kommunen müssen kräftig sparen.
Ein halbes Jahr später ist das Makulatur. Konjunkturkrise und Steuerausfälle trüben die Kassenlage. Die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU, Gerda Hasselfeldt, prognostiziert wegen der"desolaten Entwicklung" Ärger mit Brüssel. Auch das Wirtschaftsforschungsinstitut IWH in Halle sieht schwarz. Und selbst im Finanzministerium munkelt man von politischem Wunschdenken. Allein im Juni brachen die Steuereinnahmen um zehn Prozent ein. Und woher sollte der Aufschwung kommen, den Schröder und Eichel beschreien?
Nach Brüssel werden sie die Lage aber kaum melden. Dann nämlich würde ihnen erneut eine Verwarnung drohen. Also argumentieren Eichels Ã-konomen: Die Zahlen der letzten Steuerschätzung im Mai deuteten auf Grün, und für deren Revision sei"die Datenlage zu schwach". Folglich bleibe das Haushaltsdefizit unter drei Prozent - basta! Eine allenfalls formal haltbare Position. Vom Geist des Stabilitätspaktes oder den Versprechen des Frühjahres wird sie nicht mehr gedeckt. Nähme Eichel diese ernst, müsste er längst neue Sparpakete entwerfen oder Geldquellen auftun. Doch wer will sich in Wahlkampfzeiten schon beim Berechnen von Rentenkürzungen oder der Erhöhung der Mehrwertsteuer erwischen lassen?
"Das ginge bei keiner Bank durch"
Lieber auf Zeit spielen. Schließlich, so wissen die Regierungen, muss Brüssel die deutschen Schätzungen erst einmal hinnehmen. Außerdem, und das ist das gefährlichere Argument, nehmen es andere mit dem Pakt auch nicht so genau. Wenn europäische Regierungen so kreativ reformierten, wie sie mit Statistiken umgehen - ihre Gemeinwesen müssten blühen.
Nun schält sich anhand von Brüsseler Dokumenten erstmals das Ausmaß der Trickserei heraus. Beispiel Griechenland: Bei den Hellenen scheint der strenge Pakt die Fantasie besonders anzuregen. Den Einlass in den Euro-Raum schafften sie nur knapp. In diesem Jahr fallen sie wieder unrühmlich auf.
Um das aktuelle Haushaltsloch zu stopfen, gründeten die Regierenden in Athen Firmen mit schönen Namen wie Atlas oder Ariadne. Diese besorgten Geld auf dem Luxemburger Kapitalmarkt - gesichert durch Einnahmen, die der Regierung irgendwann einmal aus dem EU-Strukturfonds zustehen. Jährlich erhält Griechenland aus diesem Topf 3,7 Milliarden Euro.
"Die Griechen benehmen sich wie ein Privatmann, der knapp bei Kasse ist und sein künftiges Einkommen verpfändet. Nur würde der bei keiner Bank durchkommen", spottet ein EU-Beamter - und schwankt zwischen Faszination und Fassungslosigkeit. Nun droht den Griechen im Herbst eine peinliche Prozedur: Sollte der Olymp nicht noch helfen oder Athen Einsicht zeigen, werden die ökonomischen Daten von europäischen Statistikern selbst berechnet - um wenigstens größere Mogeleien auszuschließen.
So war das nicht geplant. Um die Regierungen auf eine solide Wirtschaftspolitik zu verpflichten, setzten die Schöpfer des Stabilitätspaktes bewusst auf die Statistik. Sie legten Höchstgrenzen für wichtige Indikatoren fest und verpflichteten die Regierungen, ihre Daten regelmäßig der EU-Kommission zu melden. Lag ein Land etwa unter dem Schwellenwert von drei Prozent für das Haushaltsdefizit, so sollte das belegen: Die Regierung wirtschaftet solide. Ende der politischen Debatte.
Doch die Debatte fing damit erst an. Die Väter des Paktes hatten die Brisanz der Zahlen und damit den Anreiz vergessen, an der Statistik zu drehen.Besonders für Italien. Auch im Ã-konomischen mangelt es der Berlusconi-Truppe nicht an Chuzpe, und so verkaufte Finanzminister Giulio Tremonti die Lottoeinkünfte von morgen, verbuchte die künftigen Einnahmen aber in der Gegenwart. Zunächst mit sichtbarem Erfolg."Diese Einkünfte reduzierten das Budgetdefizit nachhaltig", konstatierte die Kommission in ihrem Bericht über die öffentlichen Finanzen 2002. Vor wenigen Wochen flog das Ganze auf. Dennoch konnte den italienischen Finanzakrobaten nur Fantasie, aber kein echtes Vergehen vorgeworfen werden. Dem Regelwerk der europäischen Statistik fehlten nämlich bis dato ganz einfach die Paragrafen, die solche Buchungstricks ausschließen.
Nur ganz krasse Versuche fallen auf. Zwar werden die Wirtschaftsdaten der nationalen Regierungen regelmäßig vom Europäischen Amt für Statistik (Eurostat) in Luxemburg überprüft. Aber erstens dürfen dessen Mitarbeiter nur gesicherte Zahlen aus der Vergangenheit unter die Lupe nehmen: Wenn also in diesem August die nationalen Finanzministerien ihre Kennziffern schicken, muss Brüssel die aktuellen Schätzwerte einfach glauben. Und zweitens hat Eurostat selbst für die Kontrolle der historischen Zahlen kaum die nötigen Ressourcen. Die Behörde ist chronisch schlecht mit Personal versorgt."Wir rennen immer hinterher", sagt Dieter Glatzel, der als Abteilungsleiter bei Eurostat für die politisch sensiblen Zahlen zuständig ist. In seiner Abteilung arbeiten gerade mal fünf Ã-konomen. Die Folge: Trotz Wochenendarbeit und Hilfe aus nationalen Ämtern fallen viele Merkwürdigkeiten erst spät auf. Manchmal auch erst nach einer Wahl, wie in Portugal.
Operation"Blaue Donau"
Die Kontrolleure konzentrieren sich inzwischen auf besonders auffällige Operationen, wie die"Blaue Donau". Die niederösterreichische Landesregierung verkaufte künftige Zinseinnahmen aus 150 000 Hausbaukrediten an eine Immobilienfirma mit dem schönen Namen Blaue Donau und schrieb dem eigenen Hauhalt dafür 2,3 Milliarden Euro gut. Das war ein Scheingeschäft, denn die Firma gehörte dem Staat, der so auch weiterhin das finanzielle Risiko behielt. Eurostat konnte den Trick noch entdecken. Den nächsten Disput verloren die Statistiker jedoch: Im April lehnte die Behörde die österreichischen Zahlen wegen neuer Buchungsmethoden der Steuereinnahmen ab. Daraufhin klagte die Wiener Regierung heftig in Brüssel und setzte sich im zuständigen Schlichtungsausschuss durch. Seither ist die Atmosphäre zwischen Euro-Statistikern und nationalen Beamten vergiftet. Dabei ist Ã-sterreich weit weg von der Dreiprozentmarke. Die Regierung wollte nur ihr Wahlversprechen halten, die Verschuldung massiv zu senken - scheinbar jedenfalls. Selbst Finnland, dessen Staatshaushalt im Plus steht und das als Wunderkind der EU-Wirtschaft gilt, bucht kreativ.
Die Fronten sind klar: Auf der einen Seite stehen die Finanzministerien, fest unter politischer Kuratel ihrer Minister und bei allen Rechenkünsten an deren Weisungen gebunden. Auf der anderen Seite warten die Hüter der Statistik: Ämter, die der Datentreue verpflichtet sind, um ihren Ruf und ihre Unabhängigkeit bangen - und die Politisierung ihrer Ergebnisse mit Unbehagen beobachten.
So manche Debatte über Prozentzahlen hinter dem Komma sei übertrieben, sagt Heinrich Lützel, stellvertretender Leiter des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden. Das Wesentliche, nämlich die Finanzsituation der Länder, gerate da schnell außer Acht. Mit einem geheimen Diskussionspapier will Eurostat im Herbst auf das Elend der Statistik aufmerksam machen. Die Fachleute wollen, dass die Finanzministerien bei"fiskalpolitischen Maßnahmen, die das Ziel haben, Schuldenstand oder Haushaltsdefizit zu beeinflussen", die Ämter konsultieren. Das vorsichtige Statistikerdeutsch heißt im Klartext:"Bitte teilt uns mit, wenn ihr mogeln wollt."
Dafür stehen die Chancen schlecht. Das musste EU-Kommissar Pedro Solbes erfahren, der noch vor der Sommerpause"mehr Aufmerksamkeit" der Mitgliedsstaaten für die Budgetüberwachung einforderte - und auf beredtes Schweigen traf.
(c) DIE ZEIT 33/2002
Frage: Wem soll man noch trauen? Meine Oma hatte Recht, als Sie immer Goldmünzen kaufte. Und das jahrelang.
seher

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