- Nachhaltigkeit? - Jochen, 15.08.2002, 21:01
- Re: Nachhaltigkeit? / Diogenes - --- ELLI ---, 15.08.2002, 21:04
- Re: Nachhaltigkeit? / Diogenes - Jochen, 15.08.2002, 21:42
- Re: Nachhaltigkeit? / Diogenes - --- ELLI ---, 15.08.2002, 21:04
Nachhaltigkeit?
-->aus der WELT - leicht gekürzt
"Diogenes in der Konservendose
Das Leitbild der Nachhaltigkeit nimmt freiheitsfeindliche Züge an: Der Mensch soll auf niedrige Erwartungen eingestimmt, er soll zum nachhaltigen Untertan erzogen werden - Essay
Von Dirk Maxeiner
Zum Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg werden rund 60 000 (!) Teilnehmer erwartet, um eine Zehnjahres-Bilanz zu ziehen. 1992 verständigten sich die Staaten beim Erdgipfel von Rio auf das Leitbild der Nachhaltigkeit. Sechzig Nationen haben inzwischen nationale Nachhaltigkeits-Strategien vorgelegt.
Man wüsste nun gern, welche Idee hier lokal und global befördert werden soll. Mit der Nachhaltigkeit ist es wie mit dem lieben Gott: Keiner weiß Genaues, aber alle sind sich einig, dass es ohne nicht gehe[...]Der Begriff ist eine Leerformel für das Wahre und Gute, ähnlich wie"soziale Gerechtigkeit".
Nachhaltigkeit kommt aus dem Waldbau und meint, nicht mehr Holz einzuschlagen als nachwächst. Dies ist kein natürliches, sondern ein unnatürliches Prinzip. Preußische Forstmeister verhalfen ihm erstmals zur Geltung. Die Natur selbst hat keine Ahnung von Nachhaltigkeit. Sie kennt kein Gleichgewicht. Wald dehnte sich im Verlauf der Erdgeschichte immer wieder aus oder schrumpfte...
In den achtziger Jahren führte die Weltnaturschutz-Organisation IUCN den Begriff"nachhaltige Entwicklung" ("sustainable development") ein. Erfolgreicher Naturschutz sei in armen Ländern nur möglich, wenn Wälder und Tiere in beschränktem Umfang nutzbar seien ("sustainable use"). Statt Anwohner auszusperren, sollte nachhaltiger Holzeinschlag und Jagd möglich sein. Für Not leidende Regionen mit Naturschätzen war das sinnvoll: Nur wer Nutzen aus der Natur zieht, hat ein Interesse, sie zu bewahren.
...Seit man die Chance wittert, mit Nachhaltigkeit die Wirtschaft an die Kandare zu nehmen, gibt es aber kein Halten mehr. Was für das Management von Tropenwäldern oder Elefantenherden gilt, soll jetzt auch für Autos oder Waschmaschinen, Urlaubsreisen und Aktienfonds, die Müllabfuhr und den Pizzaboten gelten. Selbst Forschung und Bildung sollen dem Primat der Nachhaltigkeit unterworfen werden. Ein progressives Naturnutzungs-Konzept wurde in ein Weltbeglückungsmodell umgedeutet. Die Idee planwirtschaftlich gesteuerter Ressourcenbewirtschaftung wird im Gewande der Nachhaltigkeit wieder salonfähig. Elmar Altvater, Politikwissenschaftler und Mitglied der"Enquete-Komission des Deutschen Bundestages zur Globalisierung der Weltwirtschaft", konstatierte:"Nachhaltigkeit in der kapitalistischen Industriegesellschaft - das ist wie die Neuauflage der Konstruktionsversuche eines Perpetuum Mobile." Der Bundeskanzler forderte in der Bundestagsdebatte über Nachhaltigkeit, der Globalisierung eine politische Richtung zu geben, welche die Märkte ihr nicht geben könnten. Auch Honeckers Erben füllen alten Wein in neue Schläuche. Im PDS-Programmentwurf 2001 versichert die Partei:"Sozialismus heißt nachhaltiges Wirtschaften". Der Weg dorthin sei"im Grunde nur über eine demokratisch geplante, also über eine sozialistische Wirtschaftsweise verwirklichbar". Der in Wirtschaftskreisen verbreitete Versuch, den Begriff in ein offenes, wachstumsfreundliches Konzept umzudeuten, erscheint naiv. Gremien wie das"Forum nachhaltige Entwicklung" der deutschen Wirtschaft werden sich wundern; die Deutungshoheit haben längst jene erobert, denen westlicher Lebensstil und Marktwirtschaft ein Dorn im Auge sind:"Reichtum ist giftig", fasste eine Wochenzeitung treffend den Inhalt der neuesten Literatur zur Nachhaltigkeit zusammen.
Die bekannteste Definition der Nachhaltigkeit stammt von der"Weltkommission für Umwelt und Entwicklung" ("Brundtland-Kommission") der Uno 1987. Eine Entwicklung sei nachhaltig, wenn sie"die Bedürfnisse der gegenwärtig lebenden Menschen befriedigt, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen in Frage zu stellen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen." Als Appell an Verantwortung und schonenden Umgang mit Ressourcen würde das jeder an der Haustür unterschreiben. Als Ziel ist es selbstverständlich. Problematisch ist die Vorgabe des konkreten Weges samt quantifizierbarer Schritte. Und dies wird immer unverhohlener versucht.
Im neuen grünen Grundsatzprogramm heißt es, die"Handlungsfreiheit des Einzelnen" solle von der"Handlungsmaxime der Nachhaltigkeit" eingeschränkt werden. Man ist neugierig, welche Bedürfnisse gerechtfertigt sind. Eine vollwertige Mahlzeit pro Tag? Oder drei? Steht uns Urlaub zu? Ein Mercedes oder nur ein Fahrrad? Es könnte praktisch jede Beschränkung mit Blick auf künftige Generationen notwendig werden. Solchem Geist entspringen Dusch- und Urlaubsflugverbote (Zur Erinnerung: Beides wurde schon von Grünen vorgeschlagen)."Bestimmte Angebote wird es nicht mehr geben. Die freie Entscheidung jedes Einzelnen ist ein Mythos. Die Verfügbarkeit ist das Entscheidende", macht sich auch Professor Edda Müller, Vorstand des Bundesverbandes der deutschen Verbraucherzentralen, die Forderung nachhaltiger Beschränkungen zu eigen.
Prägend für solches Denken war die Studie"Zukunftsfähiges Deutschland" (1995), herausgegeben von Misereor, dem BUND Naturschutz und dem Wuppertal Institut. Für ein fiktives, sozial gerechtes ökologisches Paradies bemühen die Wuppertaler Autoren das Konzept des"Umweltraumes", ein Nutzungskonzept mit weltweit gleichen Pro-Kopf-Zugriffsrechten auf physische Ressourcen. Dabei kommt zum Beispiel heraus, dass ein Deutscher jährlich für maximal 2,3 Tonnen Kohlendioxid verantwortlich sein darf. Dies erfordere im Interesse global gerechter Lebenschancen eine Verringerung um 80 Prozent. Das klingt sympathisch, ist aber eine Milchmädchen-Rechnung. Das beste wäre demnach, wenn die Deutschen ihre Industrie abschalten und kollektiv das Atmen einstellen. Durch diese heroische Tat würde freilich kein Kind weniger verhungern, kein Baum weniger gerodet, keine Tierart gerettet. Im Gegenteil: Die Armen würden noch ärmer, weil sie nicht einmal mehr Rohstoffe verkaufen könnten. Ein Prozent weniger Inlandsprodukt in Industrienationen heißt für Entwicklungsländer 60 Milliarden Dollar Exportausfall. Dies würde sofort einen Zustand herbeiführen, vor dem wir künftige Generationen bewahren wollen.
Apropos künftigen Generationen: Welche sind überhaupt gemeint? Die in fünfzig Jahren, in hundert, in tausend? Und was sollen wir ihnen aufheben? Glaubt jemand im Ernst, dass sie noch mit Heizöl hantieren? Entweder Ressourcen sind endlich, oder sie sind es nicht. Wenn wir Rohstoffe aufheben wollten, müssten wir aufhören, sie zu konsumieren. Was ist vorzuziehen: Zehn Millionen Familien für die nächsten hundert Jahre gut zu versorgen oder hundert Familien für die nächsten zehn Millionen Jahre? Könnte es sein, dass die Menschen in hundert Jahren reicher sind als wir, so wie wir reicher sind als unsere Großeltern? (Vieles spricht dafür). Sollen die Armen von heute zu Gunsten der Reichen von Morgen verzichten? Es ist schon ungeheuer schwierig, Maßstäbe für ein vertretbares Miteinander der heute Lebenden zu finden. Diese Frage für kommende Generationen beantworten zu wollen ist utopisch...
Nachhaltigkeit bedeutet gemäß der Ursprungsidee Erhaltung eines Bestandes. Entwicklung im Kontext der Menschheitsgeschichte hingegen heißt Veränderung des Bestehenden. Nachhaltige Entwicklung wäre eine Zukunft ohne Veränderung. Die Auffassung, man müsse die Menschheit pseudo-naturalistischer Bestandswahrung unterwerfen, degradiert die Zukunft zur Energiesparvariante...
Das Leben war nie nachhaltig und wird es nie sein. 98 Prozent aller je existenten Arten sind ausgestorben, bevor der Mensch erschien. Geschützte Landschaften wie die Lüneburger Heide verdanken ihre Existenz nicht nachhaltigem Wirtschaften, sonder extremer Beweidung und Abholzung. Die Tatsache, dass der Wald in Mitteleuropa nicht verschwunden ist, verdankt er der nicht nachhaltigen Ausbeutung der Kohle als Brennstoff. Grenzen des Wachstums konnten nur durch Veränderung und neuartigen Einsatz von Technik durchbrochen werden. Anders wird das nie sein.
Die im Frühjahr vorgestellte"Nationale Nachhaltigkeitsstrategie" der Bundesregierung enthält"21 Schlüsselindikatoren" - Energieproduktivität, Flächenverbrauch, Staatsverschuldung, Anteil des ökologischen Landbaus. Der zentrale Indikator für die gedeihliche Zukunftsentwicklung fehlt: der Grad der Freiheit. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen sagt über dessen Rolle:"In keinem unabhängigen Land mit einer demokratisch gewählten Regierung und einer freien Presse hat jemals eine Hungernot gewütet." Hungersnöte kennzeichneten Despotien, technokratische Diktaturen und autoritäre Gesellschaften.
Das Leitbild der Nachhaltigkeit nimmt zunehmend freiheits- und entwicklungsfeindliche Züge an. Fast alle Parteien haben eine fragwürdige Ideologie aufgesogen. Dem Menschen wird die Veränderungsfähigkeit zum Besseren abgesprochen, er soll auf einen Horizont niedriger Erwartungen eingestimmt, kurz: zum nachhaltigen Untertan erzogen werden."Entweder man entscheidet sich als verantwortungsvoller, aus Einsicht in das allgemeine langfristige Interesse der Menschheit handelnder Bürger, das zu tun, was man tun soll. Oder man orientiert sich unverantwortlicher Weise nur an eigennützigen kurzfristigen Interessen und grenzt sich damit selbst aus der Gemeinschaft vernünftig handelnder Bürger aus", sagt die Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld. Sie weiß als ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin, wovon sie spricht:"Damit könnte man die Nachhaltigkeitsforderung als eine Fortsetzung kommunistischer Zwangsbeglückungsphantasien mit modernen Mitteln betrachten."
Wer an die offenen Gesellschaft glaubt, sollte genau prüfen, was ihm unter dem Begriff Nachhaltigkeit angeboten wird. Die Idee dahinter ist entweder eine Selbstverständlichkeit, oder totalitär.

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