- aus der"welt" - orwell, 21.08.2002, 08:40
- Re: aus der"welt"--HALLO! HALLO! HALLO! Soviel zur Information durch die Medien! (owT) - Galiani, 21.08.2002, 13:20
aus der"welt"
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Von Thomas Delekat
Der Moderator im MDR-Funkhaus Halle denkt, man wolle ihn verladen:"Verstehe ich Sie richtig:
Keine Überschwemmung in Bitterfeld?!" -"Nein", sagt der MDR-Reporter,"ich weiß es genau, weil
ich stehe doch hier." Der Stadtrand sei ein bisschen eingenässt, maximal 15 Prozent von Bitterfeld
stünden unter Wasser, und wenn er hier von einer Stimmungslage berichten sollte im
staubtrockenen, heißen Bitterfeld, sagt der MDR-Reporter live über den Sender, dann hätte er
allseits" Wut und Empörung" ausgemacht. Ganz Bitterfeld sei stocksauer: Alles hätten sie aus
sich herausgeholt und tatsächlich sei ihre Stadt jetzt gerettet.
Aber unbeirrbar behaupte alle Welt, Bitterfeld sei untergegangen. Landunter im Fernsehen sogar,
mit eindrucksvollen Wasserbildern, und der TV-Reporter berichtet dazu, niemand könne mehr in
die Stadt, auch kein Journalist. Es gibt aber wirklich keine Überschwemmung in Bitterfeld, erst
Montag dringt die Wahrheit durch. Die Zeitungen korrigieren sich in dürren Worten.
Ein Mumpitz auch, die Städte Wittenberg und Torgau lägen jetzt nicht länger an der Elbe. Sie seien
schon so gut wie dabei hinein zu fallen, während zur gleichen Stunde weitere überschüssige
Wassermassen abgeflossen seien, um das Weltkulturerbe Wörlitzer Park ins Flussbett
einzugemeinden. Ein Info-Sender versicherte am Dienstag Vormittag jede halbe Stunde, die
Wasserschlacht um Wörlitz sei bereits verloren gegangen.
Und Magdeburg! Kein Spritzer streifte auch nur den Geringsten seiner Bürger. Nur die Keller ein
paar elbnaher Einzelhäuser soll die Elbe besucht haben. Vielleicht aber auch nicht einmal das.
Nach Dresden und Bitterfeld war in Magdeburg das Entsetzen am Größten. Niemand an der Elbe
zwischen Dresden und Hamburg hat mehr und glaubwürdiger ein Elend beklagt, das elbaufwärts
wirklich eintrat und nach Magdeburg dann doch nicht kam. Evakuierung Magdeburgs jetzt oder
gleich, so ging es über die Sender, durch die Zeitungen, Seuchen gewiss, nie
wiedergutzumachende Schäden, Elend und Hunger der tapferen Bevölkerung in den nächsten
Tagen und am besten legt die Bundesregierung schon einmal eine Magdeburg-Milliarde extra zur
Seite. So ähnlich klang es in Interviews und Reportagen.
Aber jedem Dorfbürgermeister, jedem Landrat ab Torgau elbabwärts war schon am Samstag
Mittag klar: die größte Flut kommt jetzt, in den nächsten 24 Stunden. Sie ist viel früher da, und sie
kommt so flach, dass die Magdeburger völlig leer ausgehen werden beim großen Elend. Trotzdem
schilderte noch am Montag früh erschütternd der MDR, man habe sich vom Magdeburger Elbufer
ins Studio Halle retten müssen unter Aufopferung, Rastlosigkeit und Zusammenrücken,
durcharbeiteten Nächten und furchterregenden Verhältnissen.
Die größte Wallung der Elbe war für die Stadt am Montag passé. Sie Magdeburger hatten es
schadlos, aber klagreich hinter sich gebracht. Dennoch hieß es Dienstag überall, in allen großen
Zeitungen: erst Mittwoch sei der Tag, an dem Magdeburg ganz sicher untergehen werde. So
meldeten die Agenturen.
Wie die Katastrophe wirklich verlief, ihren Zug die Elbe hinab, das haben nur wenige gewusst.
Niemand in der Bevölkerung, was allenthalben bitter aufstieß. Aber gewusst haben es die Chefs der
vielen Krisenstäbe entlang der Elbe, die sich den Ernst der Lage auf eigene Faust entschlüsseln
mussten, - und Journalisten. Die meisten davon allerdings vollauf beschäftigt, ein Drama zu
suchen, Grusel, Hoffnung, Angst und Gänsehaut.
So ist es wohl gekommen, dass 15 Prozent gewässertes Bitterfeld die ganze Stadt in die Fluten
versenkten, dass Wittenberg praktisch verloren war, obwohl der berühmte Dammbruch auf der
anderen Elbseite geschah, oder dass Dessau um das Weltkulturerbe Bauhaus zittere. Tatsächlich
standen nur ein paar Sandsäcke vor dem Bauhaus herum. Sie sahen aus wie
Katastrophen-Dekoration.

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