- Zinsentstehung in der Praxis - netrader, 21.08.2002, 20:56
Zinsentstehung in der Praxis
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Da ich historisierenden Betrachtungen nur folgen möchte, wenn sie tatsächlich nutzbringend erscheinen, sei im folgenden anhand eines alltäglichen Falles aus der Praxis dargestellt, ob und wann Zinsen vereinbart oder nicht vereinbart werden.
Folgender Fall:
Eltern, die zwei oder mehr Kinder haben, wollen ihr Hausgrundstück auf eine unverheiratete Tochter überschreiben. Die Eltern bekommen Wohnrecht (Altenteil) im Erdgeschoß; die Tochter erhält das Obergeschoß, baut dieses aus (Darlehensaufnahme, Eigenheimzulage) und übernimmt die Pflege der Eltern. Die anderen beiden Kinder, eins davon ledig und eines verheiratet, sollen abgefunden werden.
Hier findet man in der Praxis, d.h. in diesem Falle aus der Mitte des Lebens heraus und ohne Rückgriff auf historisches, viele denkbare Lösungen:
1. Autoritäres: kein Zins
Vater bestimmt, dass jedes andere Kind in drei Jahren 10.000 EUR erhält und keinen Pfennig mehr, basta. Keiner wagt Widerspruch.
Gleiches Ergebnis: Zinsfreiheit aus zinsverhinderungsethischen Gründen:
Die Geschwister brauchen das Geld aktuell nicht und wollen ihre arme Schwester nicht über Gebühr durch Zinsen melken; sie sind der Schwester dann zumeist auch durch niedrige Festsetzung der Abfindungen entgegengekommen.
2. Bloße Wertsicherung: kein Zins
Die anderen Kinder bekommen mehr, dies aber erst nach dem Tode der Eltern. Bis dahin sorgt eine Indexklausel dafür, dass der Geldwert der vereinbarten Summe erhalten bleibt. Die erwerbende Tochter kann diese Abfindungen dann mit einem Kredit finanzieren und diesen über Mieteinnahmen aus einer Wohnung bedienen.
3. Niedriger Zins als Schadenspauschalierung
Fälligkeit der Abfindungen in 5 Jahren (Indexklausel nicht möglich). Die Beteiligten vereinbaren zum pauschalen Ausgleich der zu erwartenden Geldwertverschlechterung einen niedrigen Zins von 2 vH.
4. Normaler Zins nach Steuerberaterempfehlung: 5,5 %
Der Abfindungsbetrag wird auf mehrere Jahre als Vereinbarungsdarlehen geschuldet. Die marktübliche Verzinsung soll in der Familie bleiben. Alternativ müßte die Tochter die Summen als Bankdarlehen aufnehmen und Zinsen an die Bank zahlen.
5. Hoher Zins (Konfliktsituation), eher selten
Eines der anderen Kinder hat
- zB hohe Schulden oder Ansprüche,
- oder zB einen anspruchsvollen Ehepartner (Handeln auf Druck)
und verlangt höhere Zinsen, zB in der Höhe, die der Betreffende selbst an seine Bank zahlen muss. Druckmittel ist die Drohung, nach dem Tode der Eltern anderenfalls Pflichtteilsansprüche geltend zu machen.
Was machen alle diese Fälle klar?
1. Alle gehen instinktiv davon aus, dass"Jetztgeld" mehr wert ist als"Zukunftsgeld", da man mit Jetztgeld Schulden tilgen oder vermeiden kann, Bauland günstiger kaufen kann, Zinserträge einfahren kann, alternativen Erwerb (Arbeit) unterlassen kann.
2. Zins wird als Nachteilsausgleich hierfür vereinbart.
3. Ethische Zinsverhinderungsgründe können sich absolut, mäßig oder gar nicht auswirken.
Im Ergebnis entsteht Zins unter den Vertragspartnern aus vielerlei Motiven, keinesfalls"automatisch" und grundsätzlich auch nicht"historisch" bedingt.
Hilft dottores Geld- und Zinstheorie hier also nicht weiter?
M.E. hilft sie doch, und zwar wie folgt:
Früher, als alle Werte, insbesondere die Grundstückswerte, viel niedriger waren, waren die Abfindungen in vergleichbaren Verträgen viel häufiger als heute zinslos.
Die Vostellung, einen Zins vereinbaren zu können oder gar zu müssen, kann m.E. ohne zinstreibende staatliche Einflüsse (Abgabengläubiger, Aufschuldner), nicht in das allgemeine Wirtschaftsleben induziert worden sein, insbesondere nicht in den"an sich" zinsfreien Raum familiärer Ausgleichsregelungen.
Gruesse
netrader </font>

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