- Etwas mehr Inflation bitte! - Popeye, 23.08.2002, 08:36
Etwas mehr Inflation bitte!
-->Das Parkettgespräch:
Deflationsversicherung
FRANKFURT, 22. August."Etwas mehr Inflation ist die
beste Versicherung gegen das drohende Szenario einer
Deflation. Den Notenbanken, insbesondere der EZB, wird
somit wohl nichts anderes übrigbleiben, als die Zinsen noch
weiter zu senken", sagt John Butler. Des Stirnrunzelns, das er
mit seiner weichen Inflationshaltung gerade in Deutschland
hervorruft, ist er sich bewußt."Ich weiß, daß Inflation
hierzulande kein nettes Wort ist", beschwichtigt er. Doch dem
Leiter der Rentenmarktanalyse bei Dresdner Kleinwort
Wasserstein (DrKW) geht es auch nicht um hohe
Inflationsraten."Aber verglichen mit den jetzigen
Inflationserwartungen von rund 1 Prozent diesseits und jenseits
des Atlantiks wären 2 bis 3 Prozent schon eine spürbare
Entlastung für die Wirtschaft", stellt er fest.
Wie kommt Butler zu dieser Einschätzung? Der
Verschuldungsgrad der Unternehmen sei so hoch, daß ohne
weitere Zinssenkungen, die die Zinslast drücken, und wieder
steigende Inflationsraten, die die reale Last der Schulden
verringern, mit großen Zusammenbrüchen zu rechnen sei."Die
globale Expansion der zurückliegenden Jahre haben die
Unternehmen nicht aus dem eigenen Cash-flow finanziert,
sondern durch Fremdkapitalaufnahme in großem Umfang,
wodurch die Eigenkapitalquote bedenklich sank", beschreibt er
die Entstehung des Problems. Jetzt sei das Gegenteil
erforderlich, denn die Zinslast sei immer noch sehr hoch, sagt
er mit Blick auf die großen Renditeabstände (Spreads)
zwischen Staats- und Unternehmensanleihen.
Den Unternehmen stehen zwei Möglichkeiten offen, um ihre
Fremdkapitalquote zu drücken: der Verkauf von Aktiva und die
Aufnahme von Eigenkapital."Beides findet auch statt, wird
allein aber nicht reichen. Deshalb brauchen wir die
Zinssenkungen als Unterstützung", sagt Butler. Er erwartet, daß
die amerikanische Notenbank Fed bis zum Jahresende ihren
Leitzins von 1,75 auf 1,25 Prozent senken wird. Bei der EZB
rechnet er bis zum Jahresende mit einem Leitzins von 3
Prozent und bis Mitte 2003 von 2,75 oder gar 2,50 Prozent.
In der Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Lage macht
Butler gravierende Unterschiede zwischen den beiden großen
Notenbanken aus."Die EZB sieht das gesamtwirtschaftliche
Bedrohungspotential noch nicht. In ihrem Juli-Monatsbericht
geht sie noch immer von einem moderaten Aufschwung in
Europa zum Jahreswechsel als Hauptszenario aus", sagt er.
Seither seien jedoch alle maßgeblichen Frühindikatoren für
Europa stark gefallen. In Amerika sei die konjunkturelle Lage
angespannter, weshalb die Fed auch bereits in den Startlöchern
für eine weitere Zinssenkung stehe."Die Fed weiß, daß
angesichts des japanischen Beispiels keine Notenbank weiß,
wie man aus einer Deflation herauskommt, wenn man erst
einmal in ihr steckt", stellt er fest. Die EZB schaue immer noch
zu sehr auf mögliche Inflationsgefahren."Sie sollte viel eher
Angst vor der Deflation als vor der Inflation haben", ergänzt er.
Der Vorstellung, daß seine Medizin nicht mit Kosten verbunden
sei, erliegt Butler nicht."Das muß bezahlt werden, zum Beispiel
von Anleihe-Eignern, denen mittelfristig wieder steigende
Inflationserwartungen vor allem am langen Ende sinkende
Kurse bescheren". Auch ist er sich bewußt, daß sein Rezept
nicht der Auslöser einer Aktienhausse ist."Ein Bullenmarkt ist
in den kommenden zwei bis drei Jahren angesichts der im
historischen Vergleich noch hohen Bewertungen nicht in Sicht.
Die Unternehmen werden auch bei niedrigeren
Refinanzierungskosten nicht über Nacht schon wieder
hochprofitabel", sagt er.
Doch was empfiehlt der Kapitalmarktexperte in dieser Situation
mit Blick auf ein Engagement in Anleihen?"Das hängt vom
Zeithorizont ab. Auf der Basis meiner Zinserwartungen halte
ich Staatsanleihen im mittleren Laufzeitenbereich auf Sicht von
sechs Monaten für die sinnvollste Anlage. Dort ist noch am
ehesten mit Kurssteigerungen zu rechnen", sagt er. Mit Blick in
das kommende Jahr hinein empfiehlt Butler aber bereits wieder
den von Telekom-Unternehmen und Automobilherstellern
dominierten Markt für Unternehmensanleihen. Butler begründet
dies mit der durch eine expansivere Geldpolitik verringerten
Schuldenlast. Das werde zu wieder geringeren
Renditeabständen zwischen Staats- und Unternehmensanleihen
und damit ansehnlichen Kurssteigerungen führen, erwartet er.
"Die Musik spielt in den kommenden zwölf Monaten am
Anleihemarkt", prognostiziert Butler.
MARTIN T. ROTH
Befragt: John Butler, DrKW
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.08.2002, Nr. 195 / Seite 21

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