- FR zum Nahen Osten: Ein Krieg, den nur die US-Regierung will - stocksorcerer, 29.08.2002, 14:39
FR zum Nahen Osten: Ein Krieg, den nur die US-Regierung will
-->Ein Krieg, den nur die US-Regierung will
Von Iraks Ungefährlichkeit möchte Bush gar nichts wissen / Von Hans von Sponeck
Während der 17 Monate der Bush-Administration ging für die US-Regierung bei den Versuchen, die Ã-ffentlichkeit auf Militärschläge gegen Irak vorzubereiten, fast alles schief. Auch die Überzeugungsarbeit bei freundlich gesinnten Regierungen und Verbündeten war nicht viel erfolgreicher. Terroranschläge gegen US-Einrichtungen im Ausland und die Anthrax-Bedrohung zu Hause konnte nicht mit Irak in Verbindung gebracht werden. Beweise für eine Al Qaeda/Irak-Kollaboration gibt es nicht, weder bei der Ausbildung noch bei der Unterstützung von Ansar-al-Islam, einer kleinen fundamentalistischen Gruppe, die angeblich Al-Qaeda-Elemente beheimatet und versucht den irakischen Teil Kurdistans zu destabilisieren.
In Folge des Blutbads vom 11. September hat sich die politische Landschaft im Nahen und Mittleren Osten dramatisch verändert. Jahre der Doppelmoral der USA im Umgang mit dem palästinensisch-israelischen Konflikt haben einen hohen Preis gefordert. Die arabische, türkische und kurdische Ã-ffentlichkeit in der Region befürchtet mehr Unruhe, Leiden und Unsicherheit.
Der Beiruter Gipfel der Arabischen Liga im März zeigte, dass alle 22 Regierungen ein Ende des Konflikts mit Irak wollen. Saudi-Arabien und Irak haben seither die Grenze bei Arar wiedereröffnet, und Saudi-Geschäftsleute verkaufen ihre Waren in Bagdad. Irak hat zugestimmt, Kuwaits Nationalarchiv zurückzugeben und will über verschwundene Kuwaiter sprechen. Iran und Irak haben den Austausch von Flüchtlingen beschleunigt. Syrien hat die Beziehungen mit Irak normalisiert, ebenso Libanon. Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass türkische oder jordanische Regierungsbeamte oder Geschäftsleute Irak besuchen. (...) Irakisch-Kurdistan pflegt wissenschaftliche, kulturelle und sportliche Kontakte mit Bagdad und versucht, das Beste aus der derzeitigen (fragilen) örtlichen Stabilität zu machen.
Iraks politische und wirtschaftliche Isolation im Nahen und Mittleren Osten ist mehr als vorüber. Eine Reihe von hochrangigen US-Besuchern hat versucht, diesen Trend der Normalisierung und Versöhnung in der Krisenregion zu stören. Die US-Administration hat den UN-Generalsekretär vor seinen Treffen mit irakischen Behörden an die kurze Leine genommen. Das einzige Thema, das nach amerikanischer Lesart diskussionswürdig ist, ist die Rückkehr der UN-Waffeninspektoren nach Irak. Das wurde bei den jüngsten Gesprächen mit den Irakern in Wien offensichtlich.
Europa aber fühlt sich zunehmend unbehaglich mit dem unilateralen Beharren darauf, den Konflikt mit Irak militärisch zu lösen. In unterschiedlichen Stufen trifft das auch für Länder des Nahen und Mittleren Ostens zu. Saudi-Arabien hat bekannt gegeben, dass die Sultan-Luftwaffenbasis nahe Riad für eine neue US-Offensive gegen Irak nicht zur Verfügung steht. Erst unter massivem US-Druck hat Katar dem Transfer logistischer Einrichtungen von Saudi-Arabien auf sein Territorium zugestimmt. In Amman entspinnt sich eine politische Krise als Folge von US-Forderungen, Jordanien als Ausgangspunkt für einen Krieg gegen Irak zu benutzen. Ein ähnliches Debakel steht der türkischen Regierung bevor. (...) Eine gesamte Region wird als Folge des amerikanischen Wunschs nach einem politischen Wechsel in Irak destabilisiert.
Derzeit wird eine systematische Kampagne der Falsch- und Fehlinformationen - die größte, die je von US-Behörden unternommen wurde - intensiviert. Der US-amerikanischen und der internationalen Ã-ffentlichkeit wird täglich eine ansteigende Propaganda-Dosis darüber verabreicht, welche Bedrohung Irak für die Welt im Jahr 2002 darstellt. An der Spitze der Befürworter eines Kriegs gegen Irak steht der Vize-Verteidigungsminister der USA, Paul Wolfowitz, der eine militärische Lösung als einzige Option sieht. Am 14. Juli bemerkte er in Istanbul:"Präsident Bush hat es deutlich gemacht, wie gefährlich das irakische Regime für die Vereinigten Staaten ist und dass es für eine Gefahr steht, mit der wir nicht weiter leben können." Eine solche Äußerung ohne Beweise ist unverantwortlich. Sie befördert eine von der Regierung ausgelöste Massenhysterie in den USA und zielt darauf, eine Unterstützung für militärische Aktionen zu erlangen. Ein Krieg gegen Irak, der durch Mutmaßungen gerechtfertigt wird, ist töricht und moralisch verwerflich. Mit den Worten des neuen Oberhaupts der anglikanischen Kirche, des Erzbischofs Rowan Williams:"Es ist beklagenswert, dass die machtvollsten Nationen der Welt weiterhin Krieg und die Androhung von Krieg als ein annehmbares Instrument der Außenpolitik sehen."
Das US-Verteidigungsministerium und die CIA wissen ganz genau, dass das heutige Irak keine Bedrohung für die Region, geschweige denn für die Vereinigten Staaten darstellt. Jede andere Behauptung ist unehrlich. Sie wissen beispielsweise, dass al-Dora, ein ehemaliges Produktionszentrum für Impfstoff gegen Maul- und Klauenseuche am Stadtrand von Bagdad, und al-Fallujah, eine Pestizid- und Herbizid-Fabrik in der westlichen Wüste, zerstört sind und nicht mehr repariert werden können. Die Vereinten Nationen hatten festgestellt, dass al-Dora in die Forschung und Entwicklung von biologischen Wirkstoffen verwickelt war und al-Fallujah in die Produktion für Material für chemische Kampfstoffe. Das UN-Abrüstungspersonal hat 1996 al-Dora dauerhaft unbrauchbar gemacht. Während eines Besuchs mit einem deutschen Fernseh-Team in al-Dora Mitte Juli - der Ort war von mir ausgesucht worden, nicht von den irakischen Behörden - habe ich die Anlage in dem zerstörten Zustand gesehen wie zuletzt 1999. Al-Fallujah war zum Teil 1991 während des Golfkriegs zerstört worden und weiter im Dezember 1998 während der Operation"Desert Fox". Zwischenzeitlich hat ein UN-Abrüstungsteam alle Einrichtung unbrauchbar gemacht, die in irgendeiner Weise mit Massenvernichtungswaffen in Verbindung gebracht werden können, einschließlich Rizinusöl-Anlagen. Meine Besuche in diesem Monat belegen ohne jeden Zweifel, dass die Rizinusöl-Einheit nicht funktionstüchtig war. Reste anderer Produktionsstätten werden zur Herstellung von Herbiziden und Pestiziden zum Pflanzenschutz oder für den Hausgebrauch benutzt.
Man muss kein Spezialist für Massenvernichtungswaffen sein, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass diese Produktionsstätten harmlos gemacht wurden und seither in diesem Zustand geblieben sind. Wirklich besorgniserregend ist, dass das US-Verteidigungsministerium über all diese Informationen verfügt. Warum dann, muss man fragen, hält die Bush-Administration daran fest, Irak in ihren Kampf gegen den Terror einzubeziehen? Geht es zu weit, wenn man vermutet, dass die US-Regierung UN-Waffeninspekteure überhaupt nicht wieder in Irak sehen will? Hat sie vielleicht Angst, dass dies zu einem politischen Drama führen würde, sollten die Inspektoren bestätigen, was Leute wie Scott Ritter schon seit langem sagen: dass Irak keine Kapazitäten hat, Massenvernichtungswaffen zu produzieren. Das wäre tatsächlich der endgültige Schlag gegen die"Krieg gegen Irak"-Politik der Bush-Administration. Eine Politik, die sonst niemand will. Die Iraker wären gut beraten, die Gelegenheit zu nutzen und ihre Tore ohne Verzögerung für Waffeninspektoren zu öffnen, um zu belegen, dass sie tatsächlich nichts zu verstecken haben.
Dies würde den US-Krieg gegen Irak schier unmöglich machen und eine lange Reise des Landes hin zur Normalität einleiten. Was hat Paul Wolfowitz am 15. April vor dem Westflügel des Kapitols gesagt?"Möge Gott all die Friedensstifter der Welt segnen." Er hat immer noch die Chance, zu ihnen zu gehören.
Hans von Sponeck war Koordinator der Vereinten Nationen für humanitäre Hilfe in Irak von 1998 bis 2000. Er ist gerade von einem zweiwöchigen Aufenthalt in Irak zurückgekehrt.
Frankfurter Rundschau, 30.07.2002
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Der Beitrag ist zwar einen Monat alt, das macht ihn aber nicht uninteressant oder gar hinfällig.
Ganz im Gegenteil finde ich es immer noch erschreckend, wie oft Journalisten oder UN-Mitarbeiter (die vermutlich mit den Amis im gleichen Boot sitzen oder gar für ihre Mühen entlohnt werden) noch immer behaupten, dass der Irak noch immer über Möglichkeiten verfügt, Massenvernichtungswaffen herzustellen. Die riesige US-Propagandamaschine rollt mir noch immer zu sehr über unsere Medien und Meldungen und Wendungen werden immer noch nicht akribisch genug hinterfragt. Das ist traurig udn gefährlich. Gut, dass es Leute wie Sponeck und Ritter gibt und gut, dass sie diese Engelsgeduld aufbringen, ihre Beobachtungen immer und immer wieder zu schildern und so die US-Propaganda unterhöhlen.
winkääää
stocksorcerer

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