- Goldman Sachs (Jim O'Neill) Zum US-Dollar - Popeye, 30.08.2002, 10:31
Goldman Sachs (Jim O'Neill) Zum US-Dollar
-->Goldman Sachs plädiert für
schwachen Dollar
FRANKFURT, 29. August."Wir bräuchten eine
Wiederauflage des Plaza-Abkommens", sagt Jim O'Neill,
"nur viel umfassender als damals. Andernfalls droht die
amerikanische Wirtschaft mittelfristig in eine scharfe
Rezession abzugleiten, und mit ihr die Weltwirtschaft." Mit
dem Hinweis auf den"Plaza Accord" spielt der
Chefvolkswirt der amerikanischen Investmentbank Goldman
Sachs auf den September 1985 an, als Spitzenpolitiker der
großen Industrieländer vereinbarten, gemeinsam auf eine
Abwertung des Dollar hinzuwirken. Auch derzeit brauche die
Weltwirtschaft einen schwächeren Dollar, meint O'Neill.
Außerdem müßten die Regierungen in Europa und Asien das
Wirtschaftswachstum kräftig stimulieren. So solle die
Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins senken und
die EU die Begrenzung der staatlichen
Nettoneuverschuldung auf 3 Prozent des
Bruttoinlandprodukts (BIP) fallen lassen.
Hintergrund der provokanten Forderungen sind die
wachsenden Sorgen, daß der Aufschwung der Wirtschaft
bald versanden könnte. Um dies zu verhindern, müsse sich
die Politik neu ausrichten, meint O'Neill. Nötig sei vor allem
eine handelsgewichtete Abwertung des Dollar um 15 bis 20
Prozent. Denn nur dies könne der erlahmenden Konjunktur in
Amerika Rückenwind verschaffen, würde zudem die übrigen
Länder zwingen, mehr für das Wachstum ihrer eigenen
Volkswirtschaften zu tun.
Erreicht werden könnte die Dollar-Abwertung nach Ansicht
von O'Neill durch eine Ankündigung der amerikanischen
Regierung, die bisherige"Politik der Dollar-Stärke" nicht
weiterzuverfolgen. Wenn nötig, könnten die großen
Notenbanken zudem gemeinsam an den Devisenmärkten
intervenieren. Sehr wichtig sei ferner, daß China gleichzeitig
die feste Anbindung der Landeswährung Renminbi an den
Dollar aufgebe. Denn durch diese Anbindung sei der
Renminbi unterbewertet, was Exporte aus China begünstige -
zu Lasten der amerikanischen Wirtschaft, aber auch zu
Lasten der Exporte asiatischer Nachbarstaaten, allen voran
Japan. Zudem erschwere die Renminbi-Anbindung die
erforderliche handelsgewichtete Abwertung des Dollar, sei
China doch der viertwichtigste Handelspartner Amerikas,
noch vor Deutschland auf Rang fünf.
Warum sollten die Regierungen in die Devisenmärkte
eingreifen? Erzwingen freie Märkte die notwendigen
strukturellen Anpassungen nicht ohnehin? Im Prinzip schon,
erwidert O'Neill. Doch sei zu befürchten, daß die
Entwicklung der Devisenkurse zunächst noch in die falsche
Richtung laufe, dann aber plötzlich umschlage. Das aber
könne Turbulenzen an den Finanzmärkten auslösen, die dann
eine scharfe Rezession verursachen könnten. Dadurch
würden die Wachstumsraten der Wirtschaft geringer, als es
eigentlich möglich wäre. Dem gelte es durch eine
vorausschauende Politik vorzubeugen.
Aber könnte nicht gerade eine offiziell verkündete"Politik
der Dollar-Schwäche" Finanzmarkt-Turbulenzen auslösen?
Schließlich müßten Besitzer von Dollar-Anlagen dann davon
ausgehen, in nächster Zeit Abwertungsverluste zu erleiden.
"Ein berechtigter Einwand", räumt der fünfundvierzigjährige
Chefökonom ein, der seit 1995 in Diensten von Goldman
Sachs steht. Vermutlich sei Washington deshalb bislang vor
solch einer Ankündigung zurückgeschreckt. Doch gebe es
auch beträchtliche Risiken, wenn die bisherige Politik
weiterverfolgt werde. Denn die anhaltende Stärke des
handelsgewichteten Dollar sei einer der Gründe, weshalb
sich die monetären Rahmenbedingungen für
Unternehmensinvestitionen in Amerika seit Anfang 2001
trotz der Leitzinssenkungen nicht verbessert hätten. Das aber
lasse für die Zukunft allenfalls flaues Wirtschaftswachstum
erwarten - und einen weiteren Aufbau der strukturellen
Defizite wie dem Ungleichgewicht im Außenhandel und der
überhohen Verschuldung der amerikanischen Haushalte.
Mittelfristig führe nichts an einer Dollar-Abwertung vorbei,
meint O'Neill - der freilich schon seit Jahren ein
Dollar-Baissier ist.
Auch zur Politik in Europa hat der selbstbewußte Engländer
seine eigene Meinung. Die EZB sei zu sehr auf die
Vermeidung von Inflation fixiert. Daß Preisstabilität auch
bedeute, einer Deflation vorzubeugen, bleibe darüber
unterbelichtet. Dies werde es der britischen Politik übrigens
schwermachen, der Währungsunion beizutreten, meint
O'Neill. Um die Anerkennung der Finanzmärkten zu
gewinnen, dürfe die EZB nicht auf Dauer eine
übervorsichtige Defensiv-Strategie verfolgen, sondern müsse
ihren derzeit durchaus bestehenden Spielraum für eine
Leitzinssenkung nutzen.
Geradezu bizarr mutet O'Neill die derzeitige Diskussion über
den Stabilitäts- und Wachstumspakt an. Wann sonst, fragt er,
sollte ein Staat wie Deutschland seine Ausgaben steigern,
wenn nicht jetzt: die Konjunktur sei schwach und die
Flutkatastrophe habe einen ganzen Landstrich verwüstet.
Aber auch abgesehen von der aktuellen Lage sei die
Neuverschuldungsquote von durchschnittlich null Prozent im
Pakt zu niedrig angesetzt, meint O'Neill. Über den
Konjunkturzyklus sei vielmehr ein strukturelles Etat-Defizit
von durchschnittlich 1,5 Prozent des BIP angemessen.
Was rät O'Neill einem international anlegenden Investor?
"Bevorzugen Sie Euro-Anleihen mit Laufzeiten zwischen
zwei und fünf Jahren Laufzeit", empfiehlt der Ã-konom.
Aktien seien generell noch zu teuer; nur in Asien, mit
Ausnahme Japans, seien Beteiligungswerte attraktiv.
BENEDIKT FEHR
Jim O'Neill Goldman Sachs
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.08.2002, Nr. 201 / Seite 19

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