- Zum Bookmarken: Seite mit Infos aus Nahost (E) - HB, 06.09.2002, 18:50
- Feierabendlektüre: Peter Scholl-Latour - Lügen im heiligen Land - HB, 06.09.2002, 19:48
- Noch ein Kapitel gefällig? Mutter der Schlachten - Mutter der Lügen - HB, 06.09.2002, 19:55
- Feierabendlektüre: Peter Scholl-Latour - Lügen im heiligen Land - HB, 06.09.2002, 19:48
Feierabendlektüre: Peter Scholl-Latour - Lügen im heiligen Land
-->Für Sparefrohs ist die 2,26 MB umfassende pdf-Version dieses aus 1998 stammenden 283 seitigen Buches auch bei eDonkey runter zu laden.
In folgendem Abschnitt beschreibt Peter Scholl-Latour, wie die Amerikaner den Irak ins offene Messer haben laufen lassen:
...Etwa eineinhalb Stunden habe ich mich bei diesem Treffen mit Tariq Aziz über Gott und die Welt
- im Orient kann die Religion ja nie ausgeklammert werden - zwanglos unterhalten. Der Vize-Premier
spricht ein vorzügliches Englisch. Natürlich habe ich versucht, Licht in jene oft kolportierte
Verschwörungstheorie zu bringen, der zufolge Saddam Hussein dem amerikanischen Präsidenten Bush in
die Falle gegangen sei. Das hartnäckige Gerücht, das sich in hohen Regierungskreisen Bagdads zur
Gewißheit verdichtet, besagt, die amerikanische Botschafterin April Glaspie, eine studierte Arabistin, habe
vor der Besetzung Kuweits durch die irakischen Streitkräfte am 2. August 1990 ein ausführliches Gespräch
mit dem Staatschef geführt. Wie denn Amerika auf eine solche Militäroperation reagieren würde, habe der
»Rais« gefragt, und die Antwort Glaspies, die eine solche Erklärung ja nicht ohne Instruktionen aus dem
Weißen Haus und dem State Department hätte abgeben können, sei eindeutig gewesen: Die Beziehungen
zwischen Irak und Kuweit seien eine innerarabische Angelegenheit, und die USA würden sich - bei allen
Vorbehalten gegen jede Expansionspolitik - aus diesem Konflikt herauszuhalten suchen.
George Bush, so heißt es weiter, habe zu jenem Zeitpunkt längst die Entscheidung gefällt, die
bedenklich anwachsende Regional-Hegemonie des Diktators von Bagdad, des »neuen Nebukadnezar«,
mit allen Mitteln zu brechen. Das reichhaltige Arsenal der Iraker an chemischen und bakteriologischen
Waffen, ihre Fortschritte bei der Entwicklung immer weiter tragender Raketen waren dem amerikanischen
Nachrichtendienst seit dem achtjährigen Krieg Saddams gegen die Islamische Republik Khomeinis
bestens bekannt. Nun kam die Befürchtung hinzu, der größenwahnsinnige Mesopotamier könne in den
kommenden zwei Jahren auch eigene Atomsprengköpfe fabrizieren.
Es war von zusätzlichen Geheimwaffen die Rede, und der Roman Frederick Forsyths »Die Faust Gottes«
ist vielleicht gar nicht so sehr aus der Luft gegriffen, wie manchem Leser erscheinen mag. Wenn der Rais
von Bagdad über ein halbes Dutzend Nuklearbomben, also über ein ausreichendes
Abschreckungspotential verfügt hätte, so spekulierte man im Pentagon, hätte er fast nach Belieben, ohne
vor einer exemplarischen Bestrafung bangen zu müssen, über das wehrlose Scheikhtum Kuweit, eventuell
sogar über die nahe gelegenen Erdöl-Förderungsgebiete Saudi-Arabiens am Persischen Golf mit weit
überlegenen Panzerkräften herfallen können.
Dem galt es - so lautet die Mär vom amerikanischen Komplott, das so gut in die orientalische
Vorstellungswelt vom »Mu'amara« hineinpaßt - mit List und Irreführung vorzubeugen. Saddam Hussein,
dessen mangelnde Kenntnis der internationalen Zusammenhänge notorisch ist - wo hätte er sie auch
erwerben können? -, sollte veranlaßt werden, nach dem kuweitischen Köder zu schnappen und somit
George Bush die Rechtfertigung zu verschaffen, ihn als ruchlosen Eroberer und Aggressor zu
brandmarken, den Irak vor das Tribunal der Vereinten Nationen zu zerren und einen Vernichtungsfeldzug
gegen dieses neue »Frankenstein-Monster« am Tigris, an dessen Hochrüstung Amerika während des
achtjährigen Krieges gegen die Mullahs von Teheran aktiv mitgewirkt hatte, in die Wege zu leiten.
Tariq Aziz ist meiner Frage ausgewichen. Das Eingeständnis, daß der mit allen Gaben
menschlicher Weisheit ausgestattete Präsident einer amerikanischen Diplomatin so plump auf den Leim
gehen könnte, wäre für dieses hochbejubelte Idol der irakischen Massen nicht gerade schmeichelhaft
gewesen. Zu einem klaren Dementi ist es dennoch nicht gekommen. Der agile Chaldäer mit dem weißen
Haar, den dichten schwarzen Augenbrauen und der dickgerandeten Brille hat in langen Jahren als
»Foreign Minister« des Irak all jene persönlichen Erfahrungen mit der Außenwelt sammeln können, die
seinem Chef fehlen. Er glaubt die Absichten des damaligen US-Präsidenten ergründen zu können. »Sie
müssen eines wissen«, hebt er an, »George Bush was a political animal.« Bush habe einen
bemerkenswerten, raubtierähnlichen Instinkt für die total veränderte Weltsituation nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion besessen. Der US-Präsident hatte das machtpolitische Vakuum klar
erkannt, das durch die Schwächung Moskaus entstanden war. Von einem Tag zum anderen befand sich
die Republik Irak ohne ihren traditionellen russischen Gönner völlig isoliert der Willkür der USA und der
von ihnen gegängelten Vereinten Nationen ausgeliefert. Die Kuweiti hatten - von Washington ermutigt -vor
dem schicksalhaften 2. August 1990 den irakischen Nachbarn pausenlos provoziert. Da forderte das
Scheikhtum der Dynastie El Sabah die eigenen Erdölexporte weit über die OPEC-Normen hinaus, so daß
die Preise sanken und der Irak das Nachsehen hatte. Da wagten die Kuweiti es sogar, Bohrungen und
Anzapfungen in jenen strittigen Grenzregionen vorzunehmen, auf die Bagdad seit langem Anspruch
erhob. Saddam Hussein war sich bewußt, daß er sein gesamtes Volk - inklusive der meisten Opponenten -hinter
sich hätte, wenn er das Scheikhtum Kuweit, diese Erfindung des britischen Imperialismus, zur
neunzehnten Provinz des Irak erklären würde.
Gorbatschow hatte den Amerikanern im Sommer 1990 freie Hand in der gesamten Golfregion
gewährt. Mehr als einmal wurde mir in Bagdader Gesprächsrunden versichert, der Vater der
»Perestroika«, der das Schicksal Erich Honeckers besiegelte, wäre auch bereit gewesen, die Rolle des
Totengräbers von Saddam Hussein zu übernehmen.
Die Chinesen wiederum, die im Weltsicherheitsrat ein Veto gegen den amerikanischen Feldzug
»WÜstensturm« hätten einlegen können, seien zu jenem Zeitpunkt noch durch die Folgen des Tian-An-men-
Dramas belastet und der damit verbundenen internationalen Ächtung ausgesetzt gewesen. Peking
taktierte vorsichtig in dieser undurchsichtigen Situation.
Um noch einmal auf April Glaspie zurückzukommen: Ein enger Vertrauter Saddam Husseins,
dessen Namen ich hier nicht nennen will, hat mir förmlich beteuert, daß die US-Botschafterin in Bagdad
das erwähnte Doppelspiel mit großem schauspielerischem Talent getrieben habe. Anschließend wurde sie
allerdings aller diplomatischen Aufgaben entbunden und aus dem Verkehr gezogen. Um ganz sicher zu
sein, daß sie keine nachträglichen Enthüllungen veröffentlichen könne, sei sie danach von Agenten der
CIA ermordet worden. Letzte Behauptung ist wohl aus freien Stücken erfunden. Nach Informationen, die
ich einholte, unterrichtet die ehemalige Diplomatin heute an einer amerikanischen Provinz-Universität. Zu
den Mutmaßungen, die sich um ihre Person und ihre Rolle ranken, hat sie sich seltsamerweise nie
geäußert.
»George Bush hatte seine Stunde erkannte, fährt Tariq Aziz fort.
»Der Weg war im Sommer 1990 frei für das >great design< der USA im Nahen und Mittleren Osten. Der
Iran war durch den extrem verlustreichen Krieg, den er gegen uns geführt hatte, ausgelaugt und
geschwächt. Es galt also nur noch, den Irak als Machtfaktor auszuschalten, und dann würden die
Amerikaner im Rahmen der feierlich angekündigten >Neuen Friedensordnung< die totale Kontrolle über
die ungeheuerlichen Petroleum-Reserven dieser gesamten Weltzone ausüben. Die USA wären dann
tatsächlich, wie es Präsident Clinton später formulieren sollte, zum >indispensable state - zum
unentbehrlichen Staat< geworden für ihre Gegner und für ihre Partner.« Nach der Unterwerfung des Irak
würde Washington - so spekulierte man - auch endlich in der Lage sein, den Frieden zwischen Zionisten
und Arabern zu erzwingen, auf Kosten der Palästinenser natürlich. Die israelischen Streitkräfte wiederum -deren Schlagkraft niemand in Bagdad unterschätzt - böten sich als verläßliches Werkzeug der Pax
Americana an.
Wir behandeln nicht länger das Thema der verpaßten Kompromiß-Chancen in dem Zeitraum
zwischen dem irakischen Truppeneinmarsch in Kuweit - zu Kämpfen ist es dabei ja nicht gekommen -und
der Auslösung des amerikanisch gesteuerten Luftkrieges der UN-Koalition gegen Bagdad am 17.
Januar 1991. In dieser Phase hatte Saddam Hussein in fataler Selbstüberschätzung wie ein Dilettant
taktiert.
Sein Stellvertreter Tariq Aziz schildert mir das letzte Gespräch, das er am 9. Januar in Genf mit James
Baker, dem US Secretary of State, geführt hatte. Baker, der Mann mit dem Poker-Face, muß wie ein
unerbittlicher römischer Pro-Consul aufgetreten sein. »We are going to bomb you back into the
preindustrial age - wir werden euch in das vorindustrielle Zeitalter zurückbomben«, hatte er Tariq Aziz
bedrängt.
»Wir werden das jetzige Regime von Bagdad zu Fall bringen.« Die Äußerung erinnert mich an einen
ähnlich lautenden Kraftspruch des einstigen Stabschefs der US Air-Force, Curtis LeMay, mit dem er zu
Beginn des Vietnam-Krieges die Gefolgschaft Ho-Tschi-Minhs einzuschüchtern suchte: »We are going to
bomb them back into the stone age - wir werden sie in die Steinzeit zurückbomben.«
Tatsächlich wurden nach Ausbruch der Kampfhandlungen zwischen dem 17. Januar und dem 18.
Februar 106 000 alliierte Luftangriffe gegen den Irak geflogen. Den Soldaten Saddam Husseins hingegen
gelang es lediglich, 68 Scud-B-Raketen mit sehr mäßigem Erfolg gegen Saudi-Arabien und gegen Israel
abzufeuern. Der Judenstaat hat - in kluger Abwägung der Vor- und Nachteile - auf eigene
Vergeltungsmaßnahmen verzichtet. Diese Zurückhaltung galt jedoch nur, solange Bagdad sich auf die
Verwendung konventioneller Sprengköpfe beschränkte. Wäre Tel Aviv von den Iraki mit Giftgas
beschossen worden, dann hätten sich unerträgliche Assoziationen mit den Gaskammern von Auschwitz
aufgedrängt und die »Israel Defense Forces« wären ohne Zweifel zum vernichtenden Atomschlag gegen
Bagdad übergegangen.
Seit dem zweiten Golfkrieg können zwei Feststellungen getroffen werden: Zunächst sind die USA
- heute unter Führung Bill Clintons - eisern entschlossen, ein weltumspannendes Energie-Monopol an sich
zu reißen. »We are in the Persian Gulf to stay«, so lautete schon die Carter-Doktrin. Im Zusammenhang
mit den amerikanischen Erdöl- und Erdgas-Prospektionen rund um das Kaspische Meer und in Zen-Erdgas-
Prospektionen rund um das Kaspische Meer und in Zentralasien hatte ich vor vier Jahren bereits
festgestellt: So wie zu Zeiten der Größe des Victorianischen Empire die Engländer einen Finger in das
Wasser des Ozeans zu tauchen pflegten mit der Bemerkung: »Tastes salty, must be British - schmeckt
salzig, muß deshalb britisch sein«, - so heißt es heute auf den Petroleumfeldern zwischen Algerien und
Hindukusch: »Smells oily, must be American - es riecht nach Ã-l, muß also amerikanisch sein«. Eine
andere Behauptung steht auf schwächeren Füßen, wird aber in amerikanischen Diplomaten-Kreisen, ja in
der Umgebung des Weißen Hauses immer wieder hinter vorgehaltener Hand geäußert: »Die Nahost-Politik
Washingtons wird in Jerusalem gestaltete, oder - in krasserer Form - »der israelische Schwanz
wedelt mit dem amerikanischen Hund«. Ich werde mich auch hier hüten, prominente Namen zu zitieren.
Eine offizielle Erklärung des US-Außenministeriums lautet: »Die Vereinigten Staaten fahren fort, der
Schaffung eines gerechten, dauerhaften und verständnisvollen Friedens zwischen Arabern und Israeli
vordringliche Bedeutung einzuräumen, und zielen darauf hin, jene Staaten zu isolieren, die sich diesem
Frieden entgegenstellen.«
Tariq Aziz spricht mich in seinem geräumigen Ministerbüro am Tigris auf den »Wirtschaftskrieg«
an, der sich zwischen USA und Europäischer Union anbahnt. Das Ende der Ost-West-Konfrontation habe
die Voraussetzungen geschaffen für eine systematische Einschüchterung und ökonomische
Benachteiligung der europäischen Verbündeten durch die transatlantische Führungsmacht.
Hemdsärmelige Congressmen und rüde Konzern-Bosse gäben dabei den Ton an.Vor allem die Passivität, die Unterwürfigkeit der Deutschen, ihre bedenkenlose Ausrichtung auf die
amerikanische Embargo-Politik gegen Irak erregten bei Tariq Aziz, aber auch bei so vielen anderen
Irakern, mit denen ich sprach - vom Minister bis zum Bazari -, Irritation und schmerzliche Enttäuschung.
Mit einer Rachsucht sondergleichen haben die Vereinten Nationen unter dem Druck Washingtons seit
sieben Jahren einen unerbittlichen Boykott über Irak verhängt, der mit der ursprünglich proklamierten
Absicht einer rigorosen Rüstungskontrolle nur noch wenig zu tun hat. Dieses »Super-Versailles« wächst
sich allmählich zum völkerrechtlichen Skandal aus.
In einem Punkt hat Tariq Aziz zweifellos recht. Der deutschen Diplomatie ist der Schneid
abgekauft worden. Die Engländer bewegen sich zwar im Kielwasser ihrer amerikanischen »Vettern«, aber
sie haben auch ihren Vorteil davon. Die mediterranen Länder Europas sind nicht von dem deutschen
Ehrgeiz geplagt, im Orient als Trabanten der USA aufzutreten. Frankreich hat keinen Ambassadeur
entsandt, steht jedoch mit einer qualifizierten Mannschaft in Bagdad bereit, um das Ende des Embargos
sofort industriell und kommerziell zu nutzen.
Ähnlich, wenn auch bescheidener, verhalten sich Italiener, Spanier und Griechen. Die Bundesrepublik hat
zwar ihre Beziehungen zum Irak nicht abgebrochen, ist aber auf beschämende Weise abwesend.
Der vorzügliche junge Legationssekretär Rüdiger Bohn, der von Jordanien aus mit der Beobachtung der
Vorgänge am Tigris beauftragt ist und fließend arabisch spricht, ist als Gesprächspartner für die irakischen
Behörden nicht ausreichend qualifiziert. Die USA hingegen haben mit Saddam Hussein offiziell
gebrochen und lassen Polen als Schutzmacht agieren. Aber es geht das Gerücht in Bagdad, daß ein paar
US-Bürger polnischer Abstammung - mit Warschauer Diplomatenpässen versehen - über alle Vorgänge
mit Argusaugen wachen, Ähnlich taktiert das Department of State ja auch in Libyen und Iran.
»Wir erkennen die Golf-Region als lebenswichtig für die amerikanischen Interessen an«, hatte
Madeleine Albright, die heutige Außenministerin der USA, in ihrer ungeschminkten Sheriff-Sprache
gesagt, als sie noch Botschafterin bei den Vereinten Nationen war; »wir werden dort mit anderen
multilateral handeln, wenn das geht, und wenn nicht, dann handeln wir eben unilateral.« In dem Sinne hat
wohl auch der amerikanische Congress im Jahr 1996 dem Vorschlag des republikanischen Senators
Alfonse D'Amato zugestimmt, als dieser - unter Mißachtung aller internationalen Spielregeln - sämtliche
ausländischen Unternehmen auf eine schwarze Sanktionsliste der USA setzen ließ, die in Iran oder Libyen
mehr als 20 Millionen US-Dollar pro Jahr zur Erschließung von Energiequellen investieren würden. Den
Irakern fällt es heute leicht, auf das burschikose Procedere Washingtons gegenüber seinen NATO-Alliierten
zu verweisen. Die französische Erdöl-Gesellschaft Total wurde in ihrer Tätigkeit am Persischen
Golf behindert und bedroht, ließ sich jedoch nicht einschüchtern. Die Deutschen hingegen zogen sich
willfährig aus dem Iran-Geschäft zurück, brachen den »kritischen Dialog« mit Teheran im Gefolge der
Mykonos-Affäre ab. Ein dubioser Kronzeuge, der iranische Doppelagent Mesbahi, Mr. C. genannt, hatte -möglicherweise
unter Anleitung der CIA - ein naives Berliner Gericht, das auf Medienbeifall bedacht war,
verleitet, die gesamte iranische Staatsführung in seinen Urteilsspruch einzubinden. Die Bundesrepublik
sah sich schnöde hintergangen, als die Clinton-Administration das saftigste Geschäft mit der
vielgeschmähten Mullahkratie, mit diesem schiitischen »Empire of evil«, einer britisch-kanadischen
Company zuspielte in der Gewißheit, daß am Ende die großen US-Konzerne davon profitieren würden. Es
handelt sich um den Bau einer Erdgasleitung aus Turkmenistan in Richtung Türkei, die allen tugendhaften
Beteuerungen zum Trotz über iranisches Territorium führen wird.
Die Elite der amerikanischen Präsidenten-Berater - Alexander Haig, Zbigniew Brzezinski, Brent
Scowcroft, Arthur M. Schlesinger, sogar James Baker und Henry Kissinger - tummeln sich unterdessen in
den GUS-Republiken des Kaukasus und Zentralasiens. Aus dem offiziellen Dienst ausgeschieden, aber als
einflußreiche Lobbyisten hoch geschätzt, sind sie bemüht, den Energie-Giganten aus den USA eine
exklusive Plattform zu verschaffen. Nicht nur die deutsche Außenpolitik, sondern auch die deutsche
Wirtschaft läßt sich in eine zweitklassige Position abschieben, zumal die Bundesrepublik es versäumt, ja
hartnäckig von sich gewiesen hat, die Gründung und Entwicklung einer halbwegs ernstzunehmendenErdöl-Förderungs- und Vermarktungsgesellschaft, notfalls auch mit staatlicher Förderung, anzupacken.
Da sind die Briten, die Holländer, die Norweger und Franzosen ihren Bonner Partnern weit voraus.
Der vorläufige Höhepunkt dieses ökonomischen Schelmenspiels war erreicht, als die Vereinten
Nationen mit Zustimmung Washingtons dem Irak endlich erlaubten, zur Deckung seiner dringendsten
Bedürfnisse an Lebensmitteln und Medikamenten einen ersten Posten Petroleum im Gegenwert von 2
Milliarden US-Dollar - im Rahmen der Operation »Oil for food« - zu exportieren. Natürlich war Saddam
Hussein nicht daran gelegen, seinen amerikanischen Peinigern den Gewinn am Transport dieses
Ã-lkontingents zuzuschlagen. Er wies seine zuständigen Ministerien an, sich an Rußland und Frankreich zu
wenden, damit deren Petroleum-Tanker einen Teil der Lieferung im Hafen Unim-el-Qasr in Empfang
nähmen. Aus Moskau kam die Antwort, man benötige für die Entsendung eines Schiffes mit
ausreichender Kapazität die Frist von vier Wochen, und die Franzosen konnten nicht vor zwei Wochen in
Umm-el-Qasr anlegen. So fiel der Deal denn doch einer US-Schiffahrtslinie zu, die binnen 48 Stunden
präsent war. Kein Wunder - der Termin dieser partiellen Embargo-Lockerung war von Washington lange
vor der öffentlichen Ausschreibung streng vertraulich fixiert worden. Völlig unerträglich erscheint der
»D'Amato-Act« angesichts des blühenden Exporthandels der USA mit den Golf-Emiraten. Dorthin
werden immer wieder elektronisches Gerät und andere Produkte geliefert, die sich für »dual use«, also für
zivile und militärische Nutzung, eignen. Jedes Kind in Dubai und Abu Dhabi weiß, daß die hochsensiblen
Güter nach Passieren dieser Zwischenstation an die gegenüberliegende persische Küste weiterverschifft
werden.
Tariq Aziz bedauert ebenfalls, daß eine recht bescheidene Bonner Parlamentarier-Delegation, aus
zwei Abgeordneten bestehend, in letzter Minute zurückgepfiffen wurde. Andere Staaten würden nicht von
ähnlichen Skrupeln geplagt. Deutschland würde vollends als Betrogener auf der mittelöstlichen Szene
dastehen, wenn die USA von einem Tag zum anderen und ohne Vorwarnung an die NATO-Alliierten ihre
Meinung zum Irak-Embargo radikal revidieren sollten. Schon haben fünf große amerikanische Ã-lfirmen
erste Abschlüsse im engen Rahmen von »Ã-l für Nahrung« getätigt. Sie stehen in den Startlöchern für den
Zeitpunkt, an dem die Befürchtung, eine ungehemmte irakische Ausfuhr »Schwarzen Goldes« könne die
OPEC-Preise drastisch nach unten drücken, sich auf Capitol Hill verflüchtigt.
Der Stellvertreter Saddam Husseins äußert sich vorsichtig über die verbesserten Beziehungen
Bagdads zu Syrien. Die beiden Länder - von verfeindeten Flügeln der gleichen »Baath-Partei« regiert - tun
sich schwer mit ihrer Annäherung. Immerhin ist der Grenzverkehr wiederhergestellt. Die Pipeline, die von
den nordirakischen Erdölfeldern bei Kirkuk zum syrischen Hafen Tartus führt und seit Ausbruch des
ersten Golfkriegs im Jahre 1980 stilliegt, wird instand gesetzt.
Heftiger Tadel richtet sich gegen die Türkei, und zweifellos begünstigt die militärische Kooperation
zwischen Ankara und Jerusalem das Entstehen einer Achse Damaskus-Bagdad. Tariq Aziz findet harte
Worte für die Kenialisten, diese »falschen Europäer«. Was sei denn das für eine Regierung in Ankara, in
der zwei verfeindete Fraktionen Demokratie vortäuschten, während doch die Armee die wahren
Entscheidungen fälle. Vorher sei es dort nicht besser zugegangen, als ein »Hodscha« - gemeint war
Neçmettin Erbakan von der islamistischen Refah-Partei - mit einer laizistischen »Emanze«, hier handelt es
sich um Tansu Çiller, eine widernatürliche Koalition einging. Die Türkei stehe wieder im Begriff, der
»kranke Mann am Bosporus« zu werden wie in der Osmanischen Endzeit. Die Kurdenfrage, so hatte mir
schon der stellvertretende Außenminister, Riad-el-Qaissy, versichert, könne Ankara bestimmt nicht lösen,
indem man dieses indoeuropäische Volk kurzerhand als »Berg-Türken« bezeichne und seine Identität
negiere. Ähnlich borniert verhalte sich der türkische Generalstab gegenüber der koranischen Religion,
gegenüber der tief verwurzelten islamischen Volksfrömmigkeit, die seit dem Sturz Erbakans immer neuen
Schikanen ausgesetzt sei.
Bagdad empfindet die häufigen Grenzüberschreitungen der türkischen Armee bei der
Bekämpfung der kurdischen Aufstandsbewegung PKK als wachsende Bedrohung. Man erinnert sich am
Tigris an jene Phase des frühen Kemalismus, als Atatürk noch versuchte, die Erdöl-Region von Mossulund Kirkuk seiner neugegründeten Republik einzuverleiben, und nur am Widerspruch der Briten
scheiterte. Nach Aussage Tariq Aziz' ist im kurdischen Grenzgebiet eine neue bedrohliche Situation
entstanden, seit israelische Antiterror-Spezialisten dem türkischen Geheimdienst zur Seite stehen, um die
Partisanen des PKK-Führers Ã-calan aufzuspüren. Da zeichne sich eine Komplizenschaft ab, die nichts
Gutes verheiße. Dennoch ist der Judenstaat - zumindest offiziell - kein großes Thema mehr für Bagdad.
»Die Palästinenser«, so betont Tariq Aziz, »sind natürlich unsere arabischen Brüder, und wir haben viel
Sympathie für Yassir Arafat. Aber der Irak hat nun einmal keine gemeinsame Grenze mit den Zionisten.
Sollten die Palästinenser mit den Israeli zu einer für sie befriedigenden Regelung kommen, wird der Irak
sich dem nicht in den Weg stellen.« Von terroristischen Aktivitäten habe Bagdad sich stets distanziert.
Tatsächlich hat sich in dieser Hinsicht seit meinem Aufenthalt im Sommer 1982 manches verändert.
Damals verfügte der pathologische Killer Abu Nidal noch über eine Operationszentrale in Bagdad, und
mir wurde die Wohnung gezeigt, in der die deutsche RAF-Aktivistin Brigitte Mohnhaupt Unterschlupf
gefunden hätte.
Der Frage nach dem Erstarken der koranischen Religiosität im Irak weicht Tariq Aziz aus. Der
Vize-Außenminister Riad-el-Qaissy hatte sich zu diesem Punkt freimütiger geäußert. Als surmitischen
Moslem konnte es ihn nicht stören, daß Saddam Hussein auf dem Höhepunkt des Golfkrieges - in Abkehr
von der säkularen Staatsdoktrin der »Baath« - den islamischen Kampfruf »Allahu akbar« in das Mittelfeld
der irakischen Fahne einfügen ließ. Riad-el-Qaissy betrachtet die islamische Rückbesinnung, die überall zu
spüren ist, als etwas Natürliches in Tagen der Not und Bedrängnis. »Der sogenannte Fundamentalismus,
die >Usuliya<, ist nicht immer mit Fanatismus und Extremismus gleichzusetzen«, betonte der erfahrene
Diplomat, der sehr britisch auftritt und seinen Oxford-Akzent pflegt. »Der arabische Nationalismus und
die islamische Wiedergeburt lassen sich ohne Schwierigkeiten vereinbaren. Wir werden uns vor der
Bewußtseinsspaltung hüten, die heute die Türkei heimsucht. Die kemalistischen Politiker von Ankara
haben sich offenbar damit abgefunden, die letzten in Europa zu sein, nachdem ihre osmanischen
Vorfahren die ersten im >Dar-ul-Islam< waren.« Mit Israel, so meinte er, erscheine jede Normalisierung
ziemlich aussichtslos. Die Juden würden nun einmal unter dem Trauma der Babylonischen
Gefangenschaft leben, und aus dieser psychischen Belastung könnten sie sich nicht lösen.
Ich habe weder von Tariq Aziz noch von Riad-el-Qaissy die geringste Bestätigung über diskrete
israelische Sondierungen in Bagdad erhalten. Aber das Gerücht geht um, eine als »Friedensbewegung«
getarnte zionistische Kontaktgruppe habe zu erfahren gesucht, zu welchen Zugeständnissen Saddam
Hussein sich aufraffen könne, wenn Israel sich mit Nachdruck für eine Beendigung des UNO-Embargos
und die Wiederaufnahme des Irak in die »Völkergemeinschaft« einsetzen würde. Die Juden, so munkelt
man am Tigris, hätten sogar angefragt, ob der Irak - im Falle einer positiven Kehrtwendung Jerusalems -sich
bereit fände, zwei Millionen ausgesiedelter Palästinenser aus dem Gaza-Streifen und vor allem aus
Judäa und Samaria in den fruchtbaren Weiten Mesopotamiens das Niederlassungsrecht als Neubürger zu
gewähren. Ein solcher Plan entbehrt wohl jeder Glaubwürdigkeit.
Aber es klingt zutiefst verstörend, daß überhaupt die Vermutung aufkommen kann, die jüdischen Opfer
der babylonischen Verbannung - die Nachfahren der Propheten Daniel und Ezra - könnten nun ihrerseits
erwägen, die Kanaaniter und Philister, die heute im Heiligen Land leben, an die Ufer von Euphrat und
Tigris zu verpflanzen. Indirekt ist Saddam Hussein solchen Spekulationen entgegengetreten. In einer
Anwandlung panarabischer Solidarität, die gar nicht in diese Zeit paßt, hat er allen Arabern zwischen
Maghreb und Golf das Angebot gemacht, die irakische Staatsangehörigkeit zu erwerben. Nur den
Palästinensern wird diese Gunst verweigert.

gesamter Thread: