- Die De-Soldidarisierung der Familie! Richtig oder Falsch? - Popeye, 17.09.2002, 19:27
- Ein wichtiges Thema - Saint-Just, 18.09.2002, 00:41
Die De-Soldidarisierung der Familie! Richtig oder Falsch?
-->Das nachstehende Thema wird auf dem (derzeit in Berlin stattfindenden) Juristentag diskutiert und kann jeden betreffen.
„Empfiehlt es sich, die rechtliche Ordnung finanzieller Solidarität zwischen Verwandten in den Bereichen
des Unterhaltsrechts, des Pflichtteilsrechts, des Sozialhilferechts und des Sozialversicherungsrechts neu
zu gestalten?“
Das wirtschaftliche Füreinander-Einstehen unter Verwandten, die Rolle der sozialen Sicherheit und die Rechte der
Verwandten bei der Weitergabe von Vermögen im Todesfall sind Themen, die sich für das Recht immer wieder neu
stellen. Für das Bürgerliche Recht bilden Familienbeziehungen unter Verwandten, also Personen, die voneinander
abstammen, nach wie vor ein Netzwerk mit weitgespannten Rechten und Pflichten. Gesellschaftliche Veränderungen
durch mehr Ehescheidungen, mehr nichteheliche Lebensgemeinschaften und nichteheliche Kinder, eine längere
Lebensdauer bei sinkenden Geburtenzahlen und bei einem - wenngleich eingeschränkten - Ausbau der sozialen
Sicherheit werfen die Frage auf, welches Maß an Solidarität in der Familie die Rechtsordnung noch erwarten
darf.
Im Unterhaltsrecht geht es um laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Problematisch ist hier
etwa der Elternunterhalt, vor allem im Zusammenhang mit dem Rückgriff von Sozialleistungsträgern bei Heimunterbringung
der Eltern. Hier ist zu entscheiden, ob die Verpflichtung der betroffenen volljährigen Kinder beschränkt
oder ganz abgeschafft werden soll oder ob man auf weitere Entlastungen durch Sozialleistungen setzen
kann. Überforderung droht auch bei Unterhaltsansprüchen volljähriger Kinder, die sich noch in der Ausbildung befinden.
Sollte man die Unterhaltsverpflichtung der Eltern an eine Altershöchstgrenze von 27 Jahren binden? Kontrovers
ist auch, in welchem Umfang nichteheliche und eheliche Mütter, die ihre Kinder betreuen, gleich zu behandeln sind.
Für die Unterhaltsdurchsetzung minderjähriger Kinder ist an präzisere gesetzliche Vorgaben und mehr behördliche
Hilfen zu denken. Das sind nur einige der Fragen, mit denen sich das unterhaltsrechtliche Teilgutachten für die zivilrechtliche
Abteilung beschäftigt. Im Zusammenhang mit der Kindschaftsrechtsreform votierte der Deutsche Juristentag
1992 noch für eine drastische Einschränkung der privatrechtlichen Ansprüche Erwachsener. Angesichts der deutlich
gewordenen Grenzen der Systeme der sozialen Sicherheit zeigen die Thesen des Gutachtens, wo heute noch
eine Entlastung und eine Steigerung der Effektivität des privatrechtlichen Unterhalts möglich ist.
Das erbrechtliche Teilgutachten befaßt sich mit einer Reform des Pflichtteilsrechts. Letzteres sichert bestimmten,
nicht Erbe gewordenen Angehörigen, insbesondere Kindern, einen grundsätzlich unentziehbaren Anteil am Nachlaß
zu. Während das Pflichtteilsrecht beim Juristentag 1972 noch nahezu unangefochten war, wird in jüngster Zeit
sogar seine Verfassungsmäßigkeit bezweifelt. Es gilt als unkalkulierbares Ärgernis bei einer vorausschauenden
Nachlaßplanung und für die Weiterführung von Betrieben. Wie weit soll aber die Autonomie des Testierenden und
wie weit die Familienbindung des Vermögens gehen? Zu diskutieren ist daher, ob das Pflichtteilsrecht wirklich abzuschaffen
oder nur einzuschränken, insbesondere von der Bedürftigkeit des Pflichtteilsberechtigten abhängig zu
machen ist. Möglich ist auch eine Ausdehnung der Entziehungsgründe, wenn etwa der Pflichtteilsberechtigte
grundlos jeglichen Kontakt zum Erblasser abgelehnt hat. Auch hier plädiert das Gutachten für eine Anpassung
ohne radikalen Bruch mit dem Überkommenen.
Die familiäre Solidarität wird seit jeher durch Institutionen sozialer Solidarität ergänzt und umgeben. Im einem weiteren
den sozialrechtlichen Fragen der Familienförderung gewidmeten Gutachten wird zunächst das Verhältnis
zwischen privatem Unterhaltsrecht und öffentlicher Familienförderung geklärt. Sozialrecht kann danach die Leistungsfähigkeit
Unterhaltspflichtiger stärken, eigens Unterhaltsbedarfe decken und schließlich an die Stelle privaten
Unterhalts treten. Ob das bestehende System der Familienförderung noch zeitgemäß ist, wird im Anschluß daran
erörtert. Zur Diskussion stehen namentlich die Ausgestaltung von Kindergeld und Kinderfreibetrag im Steuerrecht,
die Ermöglichung außerhäuslicher Kinderbetreuung durch entsprechende Angebote sozialer Träger, Elternvergünstigungen
für Beiträge zur Sozialversicherung, die Neugestaltung von Ausbildungsunterhalt und Ausbildungsförderung
und Möglichkeiten der Regreßbeschränkung im Rahmen sozialer Grundsicherung. Desweiteren werden
die Anerkennung von Familienarbeit in der sozialen Sicherung, der Ausgestaltung der Familienversicherung sowie
Finanzierungsmöglichkeiten für die außerhäusliche Kinderbetreuung erörtert werden. Schließlich lenkt das Gutachten
die Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit privatrechtlicher Dispositionsakte über Sozialleistungsansprüche.
Insgesamt wird schließlich die Frage nach der Legitimation öffentlicher Familienförderung erwogen. Als ein neues
Instrument wird die Schaffung einer Familienkasse angeregt. Die Thesen versuchen insgesamt die öffentliche
Familienförderung von Morgen zu umreißen.

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