- Bushs Gefecht mit den letzten Marxisten - Trixx, 10.10.2002, 12:26
- Re: Bushs kämpft an zu vielen Fronten! ;-) - Wal Buchenberg, 10.10.2002, 14:50
- Nach dem Streik: Gericht kontrolliert Fleiss der Arbeiterschaft - Bob, 10.10.2002, 18:56
- Re: Nach dem Streik: Gericht kontrolliert Fleiss der Arbeiterschaft - Euklid, 10.10.2002, 19:11
Bushs Gefecht mit den letzten Marxisten
-->DOCKARBEITER-STREIK
Bushs Gefecht mit den letzten Marxisten
Von Matthias Streitz
Mit seinem Machtwort im Hafen-Arbeitskampf hat US-Präsident Bush eine der letzten starken Gewerkschaften des Landes empfindlich getroffen, die ILWU. Jahrzehntelang hat sie die absurdesten Privilegien konserviert. Nun droht ihr das Schicksal der anderen US-Gewerkschaften - die Bedeutungslosigkeit.
San Francisco: Gerichtsentscheid über Hafenstreik
AP
Ausgesperrter Arbeiter vor dem Hafen von Long Beach: Die 80-tägige, erzwungene"Abkühlperiode" dürfte reichen, die Gewerkschaft zu einer Einigung zu zwingen
Washington/Los Angeles - Ausgerechnet im Hafen von Los Angeles steht er, der Tempel des Sozialismus. Eine Märtyrer-Gedächtnishalle, errichtet von der Dockarbeiter-Gewerkschaft ILWU. Hier wird an den blutigen Streik des Jahres 1934 erinnert, bei dem zwei"Brüder" erschossen, vier weitere erschlagen wurden. Wer es in der Halle an Ehrfurcht mangeln lässt, der büßt dafür. 50 Dollar Strafe muss zum Beispiel jeder in die Gewerkschaftskasse geben, der sich hier mit einer Baseball-Mütze auf dem Arbeiterschädel erwischen lässt.
IN SPIEGEL ONLINE
· Milliardenschaden: Bush erzwingt Ã-ffnung der Häfen (09.10.2002)
· Milliardenverluste: Westküsten-Blockade sorgt für Panik (04.10.2002)
· US-Wirtschaft: Der milliardenteure Hafen-Stillstand (01.10.2002)
· US-Hafenblockade: Bush greift ein und droht (07.10.2002)
Seit den dreißiger Jahren, denen die Tempelwächter gedenken, wurde die"International Longshore and Warehouse Union" zu dem, was sie heute ist: Eine der eigenwilligsten und mächtigsten Gewerkschaften Amerikas. Die Rentenbezüge der Mitglieder liegen auf Rekordniveau, ähnlich die Gehälter. Mit Überstunden kommt ein"Longshoreman" auf über 100.000 Dollar im Jahr, ein Vorarbeiter kassiert Zehntausende mehr. In ILWU-Büros hängt noch immer das Foto des Gewerkschaftsgründers, Harry Bridges. Der gebürtige Australier wurde fünf Mal des Landes verwiesen, war bekennender Marxist. Trotzdem zahlen die Arbeitgeber an Bridges' Geburtstag einen 50-prozentigen Feiertagszuschlag, weil es die ILWU so will.
Kampf gegen Bush und die Zeit
Bereits in den nächsten Wochen könnte sich aber entscheiden, ob die"Brothers" und"Sisters" Abschied nehmen müssen von Privilegienkultur und anachronistischen Riten. Denn das Eingreifen des US-Präsidenten in den Dockarbeiter-Konflikt hat der ILWU einen Schlag verpasst, zu dem ihr Arbeitgeberverband PMA alleine nie fähig gewesen wäre. Der Arbeitskampf, der vom Bummelstreik zur Aussperrung eskalierte, alle 29 Häfen der US-Westküste lahm legte und die US-Wirtschaft nach Arbeitgeberangaben über zehn Milliarden Dollar kostete, ist nach anderthalb Wochen vorerst beendet. Der letzte große Streik 1971 hatte noch über 130 Tage gedauert.
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Interventionist Bush: Schon 2001 einen Streik durch präsidentielles Veto verhindert
Nicht, dass alles schon vorbei wäre. Die Intervention des Präsidenten sorgt, vorbehaltlich einer weiteren gerichtlichen Zustimmung, nur für eine 80-tägige"Abkühlpause", in der in den Häfen zwischen Seattle und San Diego wieder be- und entladen wird. Danach kann der Konflikt abermals aufflammen - und ganz unwahrscheinlich ist das nicht. Schließlich endeten monatelange Verhandlungen ergebnislos, nachdem der Tarifvertrag Anfang Juli ausgelaufen war. Doch in zwei Drittel der Fälle bringt die Anwendung des Taft-Hartley-Gesetzes, auf das sich Bush beruft, das erhoffte Ergebnis: einen Kompromiss. Der dürfte nach Meinung der meisten Beobachter in diesem Fall zu Lasten der Dockarbeiter ausfallen. Und die kämpfen nicht nur gegen die Arbeitgeber und den Präsidenten - sondern auch gegen die Zeit.
Schmaler Spalt zwischen Macht und Machtlosigkeit
In einem Staat, der sich spätestens seit der Reagan-Zeit zur gewerkschaftsfreien Zone wandelt, wirkt die noch mächtige ILWU wie ein Fremdkörper. Im vergangenen Jahr fiel der gewerkschaftliche Organisationsgrad auf gut 13 Prozent - ein verglichen mit Europa kümmerlicher Wert und auch in den USA der tiefste Stand seit sechs Jahrzehnten. Nur noch 16 Millionen Amerikaner sind Mitglied einer Gewerkschaft. Gerade bei Finanzfirmen und High-Tech-Konzernen, die in den letzten Jahren überproportional wuchsen, sind die Gewerkschaften fast nicht präsent. Von fast 70 Gewerkschaften im Dachverband AFL-CIO haben nur zehn keine Probleme, ausreichend neue Mitglieder zu finden. John Sweeney, Vorsitzender der AFL-CIO, warnte 2001 vor einem Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit.
AP
ILWU-"Bruder" im kalifornischen Oakland: Viele US-Gewerkschaften ähneln vormodernen Zünften. In der ILWU gibt es zahlreiche Mitglieder, deren Väter und Großväter bereits zur Gewerkschaft gehörten
Dass einige Elite-Gewerkschaften ihre Machtbasis trotzdem erhalten, liegt an der Institution der faktischen Zwangsmitgliedschaft. In Betrieben der USA sind entweder keine Beschäftigte Mitglieder einer Gewerkschaft - oder die überwiegende Mehrheit. Bei Abstimmungen kann sich die Belegschaft entscheiden, ob ihr Betrieb für Gewerkschafter"geöffnet" wird. In"union shops" müssen im Grundsatz sämtliche Angestellte einer Gewerkschaft beitreten. Der Konflikt in den Häfen entzündete sich vor allem an der Frage, ob neue, technische Jobs in den Machtbereich der ILWU fallen würden. Die Dockarbeiter fürchteten, dass Nicht-Gewerkschafter zu Billigtarifen angeheuert würden, um über die Computerisierung traditionelle Jobs überflüssig zu machen. Das Überleben der Gewerkschaft schien auf dem Spiel zu stehen.
25 Prozent mehr Gehalt? Kein Problem
Bisher sind die"Longshoremen" und andere Industrie-Gewerkschaften alter Schule, die viele"union shops" kontrollieren, mit dem US-System gut gefahren. So sind es in den Häfen der Westküste die Funktionäre, nicht die Arbeitgeber, die allmorgendlich in der"Anheuerhalle" die Aufträge neu verteilen. Ein archaisches Verfahren wie auf einem Markt für Tagelöhner - und schon lange ein Ärgernis für die Arbeitgeber. Wer nicht oder nicht lange genug Gewerkschaftsmitglied ist, hat keine Chance auf attraktive Jobs mit hohem Stundenlöhnen. Dank ihrer Machtbasis konnte die ILWU durchsetzen, dass in US-Häfen wegen geringer Automatisierung teils viermal mehr Personal eingesetzt wird als in modernen Häfen Europas und Asiens.
AP
Streik der Schauspieler in Hollywood: Nur eine verschwindend kleine Zahl von Gewerkschaften hat keine Sorgen mit dem Mitglieder-Schwund
Auch vereinzelte andere Gewerkschaften in den USA haben eine Machtposition errungen, von der europäische Kollegen träumen. Allein die Androhung eines langwierigen und kostspieligen Streiks durch die mächtige"Brotherhood of Teamsters" reichte im Sommer, um den Paketzusteller UPS zu einer Steigerung der Löhne um 25 Prozent zu bewegen. Die Autogewerkschaft UAW handelte mit Ford einen Tarifvertrag aus, der bis September 2003 läuft und es dem Konzern bis dahin untersagt, Fabriken in den USA zu schließen. Würden Arbeiter entlassen, bekämen sie bis zum Ende des Tarifvertrages 95 Prozent ihrer alten Bezüge. Die UAW ist mit daran beteiligt, dass der in amerikanischen Autofabriken wesentlich weniger Industrieroboter zum Einsatz kommen als in Deutschland.
Bushs Rache für die Wahlkampf-Spenden
Seit langem aber erweist sich die Praxis der"Zwangsorganisation" für die Gewerkschaften häufiger als Belastung denn als Segen, selbst für die mächtigen UAW. In zahlreichen Autofabriken der Südstaaten stimmen die Arbeiter dagegen, die Betriebe für Abeitnehmervertreter zu öffnen - ein Grund, warum neue Fabriken inzwischen meist weit südlich der traditionellen Auto-Hauptstadt Detroit entstehen. Viele Industriegewerkschaften wagen es nicht mehr, in bisher nicht organisierten Unternehmen überhaupt mit der Vorbereitung für eine Abstimmung zu beginnen. In 70 Prozent der Fälle, so eine Studie, drohen die Manager einfach, die Fabrik zu schließen oder zu verlegen, wenn die Mitarbeiter sich für die Möglichkeit einer Mitgliedschaft entscheiden. So liegen höchste Macht und Machtlosigkeit für die Arbeiterfunktionäre nah beieinander.
AP
Demokrat und früherer Bush-Rivale Al Gore: Unterstützung von der AFL-CIO
George Bush wird wohl auch künftig ein weiteres dazu tun, die Macht Gewerkschaften zu mindern. Der Präsident, der der AFL-CIO die Unterstützung für den Rivalen Al Gore verübelte, hat gleich nach seiner Wahl gewerkschaftsfreundliche Gesetze zurückgenommen. Er lockerte Regeln für die Sicherheit am Arbeitsplatz und sorgte dafür, dass öffentliche Bauaufträge nicht mehr vorzugsweise an Unternehmen gehen, in denen die Gewerkschaftsmitgliedschaft erlaubt ist. Schon im vergangenen Jahr hat Bush einen Streik der Mechaniker bei Northwest Airlines durch sein Veto verhindert.
Die US-Gewerkschaften - sie würden schon viele neue Märtyrer brauchen, um ihre alte Machtposition zurückzuerobern.
<ul> ~ http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,217533,00.html</ul>

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