- @auswanderwilligen: Auswandern - der Traum vom neuen Leben - patrick, 24.10.2002, 00:18
- @auswanderwilligen: sehr guter link - patrick, 24.10.2002, 01:56
- Re: @auswanderwilligen: sehr guter link - 000, 24.10.2002, 10:17
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@auswanderwilligen: Auswandern - der Traum vom neuen Leben
--> Der Traum
vom neuen Leben...
Auszug aus dem Buch
Auswandern - der Traum vom neuen Leben
Autor: S. Mussein
Auswandern - das ist den meisten Umsiedlern klar - ist ein immenser Schritt nach vorne. Daß dieser Schritt in der Regel aber auch einen Bruch mit der Ver-gangenheit darstellt, ein endgültiges Abschiednehmen von der altvertrauten Heimat, von Verwandten, Kollegen und Freunden, dämmert den Auswanderern erst nach einiger Zeit in der Fremde.
"Es sind so banale Dinge, wie die Tagesschau oder 'Wetten das?', oder das Bummeln durch die Fußgängerzone in deiner Heimatstadt, was dir plötzlich fehlt", sinniert die 39jährige Claudia M. und blickt an mir vorbei, wo sich am
Strand der Copacapana ein paar Kinder um eine leere Cola-Kiste prügeln.
"Sicher, das Land hat durchaus seine Reize, aber das Fehlen der alten Be-kannten und Freunde, der Abendschoppen in einer Straßenkneipe oder der Christkindl-Markt in der Weihnachtszeit - das alles geht einem irgendwann ab. Und natürlich gute Freunde. Die sind hier besonders rar..."
Irene Matthes lebt in Paraguay, in einem südlichen Stadtteil der Hauptstadt Asunción, und sie drückt das in ihrem hessischen Dialekt noch krasser aus:
"Ei, ich kann Ihne was sage - hier habbe se nur Freunde, die würdde Se in Deutschland nittemal mit'em Arsch angugge..." Und nach einem vorwurfsvol-
len Blick des Gatten:"Ei, is doch wahr! Wen habbe ma denn als Freunde?
Um hier zu lebe un de ganze Dag Viddeo zu gugge, ei, dafür sin ma net aus-gewandert...!"
Sieben Jahre lebte sie mit ihrem Mann in Paraguay, dann stand es endgültig
fest für die beiden: das Haus sollte wieder verkauft werden - und dann nix, wie zurück! Und weil die Kosten zumindest wieder halbwegs reinkommen sollten, boten sie das Haus natürlich hauptsächlich gut betuchten auswanderungs-freudigen Deutschen an. Ein Umstand, der den Teufelskreis von Sehnsucht
und Frust wieder schließt, da mögliche Interessenten natürlich - eigennützig, wie bei jedem Hausverkauf - trotz miesester Erfahrungen eingelullt und für das
'so herrliche Paraguay' aufbereitet werden.
Und genau hier liegt eines der Geheimnisse, warum ein Land, in dem schon eine Menge Deutsche, Ã-sterreicher und Schweizer regelrecht gestrandet sind, immer wieder in den tollsten Farben dargestellt wird. Wer sein Objekt ohne nennenswerte Verluste - lieber natürlich mit Gewinn und einem kleinen Häpp-
chen obendrauf -- abstoßen will, muß zwingend die Vorteile des neuen Domi-
zils hervorheben und natürlich sämtliche möglichen Nachteile verschweigen.
Es liegt also in der Natur der Sache - oder besser noch: in der Tücke des Objekts - daß man regelrecht gezwungen ist, zu lügen, bis sich die Balken biegen, nur um die Vorzüge dieses herrlichen Fleckchens Erde hervorzukeh-
ren. Und dies gilt natürlich nicht nur für Paraguay, sondern für all die schönen
Länder, wo die Träume vom Auswandern irgendwann einmal wie Seifenblasen
zerplatzten.
Verschwiegen werden Erlebnisse, wie etwa das Hausmädchen von Jürgen
Seitz aus Peru, das"plötzlich die Spüle in der Küche mit Würmern vollkotzte, nichts als gut zwei Hände voller Würmer. Die hatten nicht mal ein Kartoffelstück-chen vom Mageninhalt übriggelassen..."
Und Gerhard R. aus der Dominikanischen Republik wird sich sicherlich hüten, Frischlingen, die eventuell seinen Videoladen übernehmen wollen, zu erzählen, daß er einmal, weil er nicht mehr so gut hörte, zum Ohrenarzt ging, der ihm den toten Kadaver einer halben Cucaracha (fingerdicke Küchenschabe) aus dem Ohr spülte. Das eklige Vieh hatte sich, während er schlief, ein neues, warmes Plätzchen im Gehörgang verschafft.
"Im gleichen Jahr operierten sie mir drei Maden aus dem Oberschenkel. Ich hatte versucht, sie selbst rauszuziehen, aber das Loch war zu klein und die zogen sich sofort zurück. Ein Arzt hat mir dann die Haut aufgeschnitten und zog drei solche Kerle raus..." Er hält das oberste Glied des kleinen Fingers in die Höhe und demonstriert Länge und Dicke der Maden."Kein Wunder, daß ich die nicht rauskriegte. Es waren Maden von einer Fliegensorte, die wir in Europa
nicht kennen..."
Niemand redet über die bis zu 15 Zentimeter großen Vogelspinnen, die jedes Jahr im März/April, gleich mit zwei Giftdrüsen ausgestattet (Giftzähne und Sta-chel) auf Brautschau gehen, wobei sie auch schon mal der Küche, dem Schlaf- oder Kinderzimmer einen Besuch abstatten. Niemand erwähnt die extrem fla-chen Ñandupé-Spinnen aus Südamerika, welche in atemberaubendem Tem-
po selbst durch die schmalsten Ritzen huschen können und mit einem Gift ausgestattet sind, das jenes der Vogelspinne zu einem harmlosen Cocktail herabwürdigt.
Und schon gar niemand ist bereit zu erzählen, daß man das Haus, welches
man gerade für 130.000 Dollar anbietet, eigentlich für 40.000 Dollar selbst bauen lassen könnte... Wer sein Haus wieder verkaufen will, wird sich hüten,
von der stark angestiegenen Kriminalität in seinem Traumland, oder gar von massakrierten Landsleuten zu berichten. Und er wird tunlichst verschweigen, daß er mindestens zehn Leute kennt, die aus dem letzten Loch pfeifen, aber kaum einen, der es hier zu was gebracht hat.
Man schwindelt sich durch, ist guter Freund und netter Kumpel, blockt ernsthaf-
te Interessenten gegen jeden möglichen (deutschsprachigen) Einfluß von aus-sen ab und ist in der Regel heilfroh, wenn man nach drei Wochen seine, nun völlig vom Land begeisterten, Schützlinge wieder zum Flughafen bringen kann.
Froh, weil alles gutging, die braven Leutchen nicht mitkriegten, wie hier der Ha-
se läuft, und besonders froh, weil der Vorvertrag, die Anzahlung oder gar die no-
tarielle Eigentumsübertragung 'gelaufen ist'.
Und während die stolzen Besitzer des neuen Eigenheims oder der kleinen
Farm in der Fremde noch einmal im Flugzeug mit verklärtem Lächeln die herr-lichen Tage in diesem freien Land Revue passieren lassen, während beim Verkäufer die wenigen Eingeweihten anrufen und fragen:"Und - haben sie gekauft...?" - währenddessen packen in der Schweiz, in Ã-sterreich oder in Deutschland die nächsten vierhundert Neugierigen gerade ihre Koffer, um morgen mit der gleichen Maschine ins vielversprechende Auswanderer-Para-dies zu jetten, wo andere Verkäufer bereits heißhungrig und ein bißchen lam-penfiebrig die neuen Frischlinge aus Europa erwarten..
Als weiteres Übel betrachten viele deutsche Einwanderer die immer lebendige Gerüchteküche in der neuen Heimat. Im Gegensatz zu vielen Einwanderern anderer Nationen halten die Deutschen im Land meist nicht zusammen, son-dern sind sich spinnefeind. Und das schafft ein unerträgliches Klima. Der Gesprächsstoff geht praktisch nie aus, denn Neues scheint es immer zu ge-
ben, im viel gepriesenen Paradies der Auswanderer.
"Es gibt einfach zu viele Neider hier", sieht Kaiserslauterer August Krause, der Koch aus dem ehemaligen Prinz von Bayern (Asunción, Paraguay) das Prob-lem."Die meisten sind, wie ich selber, ziemlich abgebrannt. Dann gönnen sie denen, die hier über die Runden kommen, ihr bißchen Erfolg nicht, und schon wird über sie hergezogen. Am Stammtisch kriegt man ja alles mit. Und oft ge-
nug ist es passiert, daß einer, der den ganzen Abend mit von der Partie war
und als erster heimging, am Ende auch noch durch die Mangel gedreht wurde.
- So was macht man einfach nicht...!"
August Krause würde gerne ein Buch schreiben. Über sein Leben und speziell über Paraguay. Aber er ist so was wie ein Legastheniker, kann lesen, aber
nicht schreiben und müßte irgend einem sein bewegtes Leben diktieren.
"Wenn du ein Problem hast und kannst dich mit den Leuten hier in ihrer Spra-
che gut verständigen, ist alles halb so schlimm", meint er."Das fängt beim Bumsen mit den Küchenweibern an und hört im Knast auf. Und man darf nichts haben, was man dir wegnehmen kann. Dann kommst du prima klar hier!!"
Er kippt sich den achten oder neunten Whisky hinein, dann beugt er sich vor, greift nach meinem Handgelenk und grinst mich zahnlos an."Aber wenn du mir jetzt dreitausend Mark auf den Tisch legst, dann flieg' ich trotzdem mit dir rüber. Was denkst du, was das ein Gesaufe wird, wenn ich nach fuffzehn Jahr wieder nach 'Lautere' kumm. Herrgott, jeh - da wird drei Daach nur gesuff...!"
Und weil das so schön ist, schüttet er noch mal das Glas voll. Jeder normale Mensch würde jetzt schon tot auf dem Boden liegen, aber seine Augen sind hellwach, als er sagt:
"Scheiß druff! Ich komm' hier eh nimmer fott...!"
Anmerkung des Autors:
Drei Monate nach unserem Gespräch fand man August Krause tot im Schlacht-haus einer Metzgerei. Er hatte sich während der Weihnachtsfeiertage mit einem
Bolzenschuß-Apparat für Schweine selbst erschossen.

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