- Nochmals (zum x-ten Mal) zur Genese des Individualeigentums - Galiani, 02.11.2002, 22:30
- Re: Nochmals (zum x-ten Mal) zur Genese des Individualeigentums - André, 02.11.2002, 23:12
- Re: Nochmals (zum x-ten Mal) zur Genese des Individualeigentums - Fürst Luschi, 03.11.2002, 01:32
- @Fürst: Hallo! Alles, was Du sagst, ist unter der Perspektive des HEUTIGEN - Galiani, 03.11.2002, 02:06
- Re: @Fürst: Hallo! Alles, was Du sagst, ist unter der Perspektive des HEUTIGEN - Fürst Luschi, 03.11.2002, 03:34
- Re: Konklusion - Tassie Devil, 03.11.2002, 13:57
- Re: @Fürst: Hallo! Alles, was Du sagst, ist unter der Perspektive des HEUTIGEN - Fürst Luschi, 03.11.2002, 03:34
- @Fürst: Hallo! Alles, was Du sagst, ist unter der Perspektive des HEUTIGEN - Galiani, 03.11.2002, 02:06
Nochmals (zum x-ten Mal) zur Genese des Individualeigentums
-->Hallo
Ich halte die Auffassung, die unser verehrter dottore hier weiter vertritt, daß nämlich Individualeigentum ebenso wie das ("standardisierte") Geld ein Produkt der"Macht" seien, immer noch für unhaltbar. Dottore hatte aber gerade unlängst wieder gepostet, daß ... nach dem Eintritt von Macht in die Geschichte, immer Abgaben (logisch, das ist der Sinn von Machtausübung) [die Folge waren] und die Abgaben wurden schließlich standardisiert ---> Metall..."
Die in einer solchen Theorie verborgenen Probleme zeigen sich sofort, wenn man einerseits die"Gesellschaft", die dottore hier vor Augen schwebt, etwas genauer analysiert und auch den von dottore so gern gebrauchten Terminus"Macht" etwas in Augenschein nimmt:
Bei den Jägern und Sammlern scheint Individualeigentum an Nahrung, Waffen, Geräten, Kleidung und Schmuck - soweit wir das aus den Gebräuchen bei den Pygmäen, Buschmännern und Negritovölkern erschließen können (1), - durchaus üblich zu sein. Derselbe Befund ergibt sich im Grunde ja auch schon aus dem Brauch der Grabbeigaben; würde es kein Individualeigentum geben, wären Grabbeigaben ein Raub an der Allgemeinheit.
Viel mehr als Nahrung, Waffen, Geräte, Kleidung und Schmuck besaß im übrigen in diesem Stadium der Entwicklung ohnehin niemand, weil man bei jedem der häufigen Ortswechsel ja alles immer mit sich führen mußte. Über das Genannte hinausgehende Besitztümer würden da schnell zur Last werden.
Dieses quantitativ geringe Individualeigentum wurde von der"Macht", d. h. in diesem Falle vom Gruppen-Häuptling, energisch beschützt: Gegenstände, die abwesenden Stammesgenossen gehörten, durften auch vom Häuptling nicht veräußert werden und das Recht auf persönliches Eigentum, etwa Gebrauchsgegenstände, aber z. B. auch Honig und Nahrungsvorräte, wurde bei allen bekannten Naturvölkern untereinander respektiert (2).
Eine ausgeformtere Staatsmacht gibt es in diesem Stadium zwar noch nicht, was nicht heißt, daß der"Diebstahl" fremden Eigentums nicht sozial in höchstem Maße geächtet gewesen wäre. Aber Diebstähle kommen in diesen Verbänden praktisch nicht vor, weil sie sinnlos wären: Niemand könnte gestohlenes Gut auf die Dauer vor den anderen Stammesgenossen verbergen. Das ist auch der Grund, warum es über das"natürliche Rechtsempfinden" (Naturrecht) hinaus im Grunde keinen"Rechtstitel" im heutigen Sinne gibt und braucht: Einerseits weiß jeder, was wem gehört und Rechtsstreitigkeiten darüber kommen nicht vor. Andererseits wird derjenige, der sich fremdes Gut aneignet, sozial geächtet. Unter diesen Gegebenheiten sind Besitz und Eigentum Kategorien, die weitestgehend zusammenfallen.
Wo Gruppen von Jägern und Sammlern mit Seßhaftigkeit in Berührung kommen oder selbst allmählich seßhaft werden, beginnt sich auch Privateigentum an unbeweglichen Gütern zu entwickeln; insbesondere etwa das Eigentum an der eigenen Hütte. Auch dafür haben Ethnographen reichhaltiges Anschauungsmaterial und Belege geliefert. Und auch in diesem Zusammenhang braucht es - im Gegensatz zur Auffassung von dottore, der weiter darauf besteht, den"Titel" in seiner heutigen rechtlichen Ausprägung auf frühere Zeiten zurückzuprojizieren (was methodisch falsch ist!) - eben keinen"Rechtstitel":
Die Hütte, die sich einer auf seinem von ihm besetzten, herrenlosen Feld baut, gilt als sein Besitz = Eigentum. Hat einer, was bis in die spätere griechische Zeit ohnehin kaum vorkommt, Grund und Boden ausnahmsweise gekauft, so gilt er als der"neue" Besitzer=Eigentümer; angesichts der Kleinheit der damaligen Gemeinschaften konnte es - so wie beim Eigentum an beweglichen Sachen - niemanden geben, der dieses Eigentum in Frage stellte. Wäre das dennoch vorgekommen, so hätte das die öffentliche Mißbilligung dessen, der das Eigentum in Frage gestellt hat, nach sich gezogen. Was unser verehrter dottore fortdauernd übersieht, ist, daß nicht ein Rechtstitel, "nicht die Tatsache, daß Individuen sich im wirklichen Besitz von Sachen befinden, sondern die öffentliche Mißbilligung von Handlungen, durch die sie ihres Besitzes beraubt werden,... uns [anzeigt], daß er an jenen Sachen Eigentumsrechte hatte." (3)
Zu den von dottore so stark herausgestrichenen"Abgaben", die den Untertanen"abgefordert" werden (so der von dottore bevorzugte Terminus, mit dem er den Klassenkampf-Charakter dieses Vorganges regelmäßig unterstreicht), kommt es erst, wenn sich die Staatsmacht allmählich differenziert und entfaltet, - also erst in sehr viel späteren Entwicklungsstadien, in denen sich Individualeigentum und Wohlstand und sehr häufig wohl auch schon standardisiertes Geld längst herausgebildet haben.
Falls allerdings solches standardisiertes Geld nicht schon zuvor für andere Zwecke entstanden ist, etwa für den Fernhandel, als Opfergabe oder Imponierobjekt, dann - ok! An diesem Punkt soll dottore Recht haben - dann wäre denkbar, daß tatsächlich eintritt, was unser verehrter dottore als immer und ausschließlich von allem Anfang an als notwendig behauptet: daß nämlich die (nun entwickelte und ausdifferenzierte) Staatsmacht die"Abgabe in standardisierter Form als Geld" erfindet.
(1) W. Nippold, Die Anfänge des Eigentums bei den Naturvölkern und die Entstehung des Privateigentums, The Hague (Mouton & Co); 1954 (gestützt auf zahlreiche ethnographische Quellen)
(2) Nippold zitiert diesbezüglich zahlreiche Belege: Insbesondere Müller, 1912; Lebzelter, 1934; Immenroth, 1933; Schebesta, 1923ff; Trilles, 1932, und Nippold 1936.
(3) zitiert aus dem 2-bändigen Standardwerk von Westermarck, Ursprung und Entwicklung der Moralbegriffe, Leipzig, 1913; Bd. ii, S. 1. Der Autor zeigt dann über fast 60 Seiten hinweg, daß die Begriffe"Eigentum","Raub" und"Diebstahl" in allen bekannten Völkern seit der Antike bis heute bekannt und respektiert bzw. sanktioniert waren.
Gruß
G.

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