- Besitz u. Eigentum - Individualeigentum heute und in der Frühgeschichte - Galiani, 03.11.2002, 16:32
- Re: Besitzer verfügt über die Sache, Eigentümer über den Titel über die Sache - dottore, 03.11.2002, 17:04
- 'Titel' gibt's erst jetzt - 'Eigentum' gabs immer schon! Bitte nochmal lesen - Galiani, 04.11.2002, 00:56
- Re: Besitz gab's immer schon, gewirtschaftet werden kann erst mit Titeln - dottore, 04.11.2002, 10:28
- Was ist Eigentum? John Locke's naturrechtliche Erklärung - Bob, 04.11.2002, 12:20
- Re: Was ist Eigentum? John Locke's naturrechtliche Erklärung - Tassie Devil, 05.11.2002, 00:59
- Sie müssen mein Ausgangsposting halt nochmals - genauer - lesen....! - Galiani, 04.11.2002, 13:37
- Was ist Eigentum? John Locke's naturrechtliche Erklärung - Bob, 04.11.2002, 12:20
- Re: Besitz gab's immer schon, gewirtschaftet werden kann erst mit Titeln - dottore, 04.11.2002, 10:28
- 'Titel' gibt's erst jetzt - 'Eigentum' gabs immer schon! Bitte nochmal lesen - Galiani, 04.11.2002, 00:56
- Re: Besitz u. Eigentum - Individualeigentum heute und in der Frühgeschichte - Fürst Luschi, 04.11.2002, 01:28
- Re: Eigentum wird zu Besitz bei entstehendem Eigentum - Tassie Devil, 04.11.2002, 03:05
- Re: Eigentum wird zu Besitz bei entstehendem Eigentum - Fürst Luschi, 04.11.2002, 05:11
- Re: Magische Konnotationen - Tassie Devil, 04.11.2002, 21:58
- Wenn Du ausnahmsweise mal was Gescheites sagst, glaubst Du's selbst nicht! (owT) - Galiani, 04.11.2002, 13:19
- Re: Es freut mich, dass Dir wenigstens meine Satire (light) zusagt (owT) - Tassie Devil, 04.11.2002, 20:40
- Re: Eigentum wird zu Besitz bei entstehendem Eigentum - Fürst Luschi, 04.11.2002, 05:11
- Meine Antwort auf Dein Hadern mit dem modernen"Eigentumsbegriff" & Bitte - Galiani, 04.11.2002, 13:15
- Re: Meine Antwort auf Dein Hadern mit dem modernen"Eigentumsbegriff" & Bitte - Fürst Luschi, 04.11.2002, 18:24
- Re: Eigentum wird zu Besitz bei entstehendem Eigentum - Tassie Devil, 04.11.2002, 03:05
- Re: Besitzer verfügt über die Sache, Eigentümer über den Titel über die Sache - dottore, 03.11.2002, 17:04
Besitz u. Eigentum - Individualeigentum heute und in der Frühgeschichte
-->Hallo
Unser verehrter dottore und andere vertreten hier seit langem die Meinung, daß Eigentum staatliche Macht voraussetze.
Fürst Luschi hat diesen Gedanken unlängst - sinngemäß zitiert - wie folgt formuliert:
<ul>Das Eigentum ist ein Rechtstitel
Dieser Rechtstitel(Eigentumstitel) ist das Eigentum.
Der Titel ist ohne Rechtssystem gar nicht vorstellbar und entsteht und vergeht mit dem Recht.
Das Recht wird von der Staatsmacht gesetzt und durchgesetzt.
Deshalb ist Eigentum ohne die Staatsmacht undenkbar.</ul>
Klarer kann es ein Jurist von heute unter der Voraussetzung unserer Rechtsordnung nicht ausdrücken.
Was Fürst Luschi damit aber zum Ausdruck bringt, setzt - bei Licht betrachtet - eine enorme Anzahl höchst abstrakter Konzepte voraus, die überhaupt nur jemand im Kopf haben kann, der sich auf unsere entwickelte Rechtsordnung stützt. Dem Menschen der Frühzeit waren diese Abstraktionen aber mit Sicherheit unbekannt; - ja, er konnte sie noch gar nicht denken. Erst wir Heutige empfinden derartige Konzepte auf der Grundlage unserer Rechtsordnung als selbstverständlich. Deshalb hinterfragen wir sie nicht weiter. Diese Abstraktionen und Konzepte haben sich tatsächlich aber erst im Laufe von Jahrtausenden herausgebildet und waren den Menschen in ur- und frühgeschichtlichen Zeiten mit Sicherheit nicht geläufig. Diese mußten sich deshalb, wenn sie Fragen etwa über Besitz und Eigentum zu entscheiden hatten, anderswie behelfen.
Diesen Gedanken möchte ich im folgenden belegen. Ich werde versuchen, einige der abstrakten Konzepte in unserer modernen Rechtsordnung analytisch nachzuzeichnen. Wir werden dann sehen, daß solche Konzepte in frühgeschichtlichen Zeiten gar nicht verfügbar gewesen sein konnten und wie sich die Menschen damals bei der Entscheidung von derartigen Rechtsfragen beholfen haben. Der Punkt, um den es mir geht, ist zu zeigen, daß die Anwendung heutiger Rechtsbegriffe auf vor- und frühgeschichtliche Rechtsprobleme insbesondere etwa im Zusammenhang mit Besitz und Eigentum methodisch unzulässig ist. Deshalb ist meiner Meinung nach auch der Schluß verfehlt, daß es Individualeigentum erst gebe, seit es die Staatsmacht gibt, die erlaubt einen Eigentumsanspruch auch durchzusetzen. Ich bin vielmehr der Überzeugung, daß es Eigentum gibt, seit Menschen auf der Welt sind, und daß das Vorhandensein von"Individualeigentum" nicht des Erscheinens der Staatsmacht bedurfte.
<font size="5">Was ist Eigentum?</font>
Die Auffassung, daß"der Rechtstitel (Eigentumstitel) das Eigentum ist", - besser wäre vielleicht: "daß der Rechtstitel das Eigentum vermittelt", - ist eine Abstraktion unseres entwickelten Rechtssystems. Denn"Eigentum" - und in unserem Falle"Individualeigentum" - bedeutet zunächst einmal, daß einer Person von der Allgemeinheit zugestanden wird, über eine bewegliche oder unbewegliche Sache ausschließlich verfügen zu können; vielleicht ist dem Eigentümer nicht gerade gestattet, mit seinem Eigentum zu machen, was er will, aber er hat die Möglichkeit, über die Sache - eingeschränkt oder absolut - aber jedenfalls allein zu verfügen und kein Dritter hat Anteil daran und darf ihn in der Ausübung dieser Verfügungsmacht willkürlich behindern. (Fälle, wie"unwiderstehlicher Zwang" u. ä., die diesen Verfügungsanspruch einschränken könnten, seien hier wegen ihrer Seltenheit außer Acht gelassen.) Die im Board von dottore und anderen häufig so rigoros vertretenen Auffassung vom Eigentum als reinem Recht, steht nicht auf ganz so festem juristischen Grund, wie ihre Vertreter vielleicht meinen. Ihr steht z. B. die von amerikanischen Zivilgerichten seit 100 Jahren entwickelte Rechtsprechung von Eigentum und Freiheit - als unterschieden von den "Rechten" des Eigentums und der Freiheit - diametral entgegen (1).
Unsere heutige Rechtsordnung hat diesen Eigentumsbegriff mit einem ausgefeilten Normengeflecht umhüllt und ein Beweisverfahren mit ausgeklügelten Beweisregeln geschaffen, so daß das "Eigentum" (das an sich ein Sachverhalt ist) an Normen gemessen werden kann, wodurch es zum "Tatbestand" wird, der mittels Beweisen, also dem Titel, judizierbar wird. Zwischen unbeweglichen und beweglichen Sachen besteht dabei - im Gegensatz zu dem, was hier im Board häufig geäußert wird - grundsätzlich überhaupt kein Unterschied; wegen der Bedeutung, die Immobilien im Vergleich zu beweglichen Sachen meistens zukommt, hat der moderne Gesetzgeber aber für unbewegliche Sachen ein strengeres, formalisiertes Eigentumsübertragungs- und Beweisverfahren geschaffen (Anwesenheitspflicht beider Parteien; gerichtliche Beglaubigung; Grundbuch). Wir sollten aber nicht übersehen, daß alle diese Regelungen historisch relativ jungen Datums sind.
<font size="5">Gab es auch schon früher"Eigentum"?</font>
Wenn wir uns nun also fragen, ob wohl auch schon früher, in vor- und frühgeschichtlichen Epochen, einer Person von der Allgemeinheit zugestanden worden sei, über eine bewegliche oder unbewegliche Sache im oben spezifizierten Sinne ausschließlich verfügen zu können, so bedürfte es wohl völliger Weltfremdheit, dies in Abrede zu stellen.
Natürlich läßt sich einwenden, daß ein solcher frühgeschichtlicher Sachverhalt - die Allgemeinheit gesteht einem ihrer Mitglieder ausschließliche Verfügungsmöglichkeit über eine Sache zu - dennoch kein"Eigentum" ist, obwohl er alle sachlichen Kennzeichen des"Eigentums" aufweist; - aber die heute vorgeschriebenen akzessorischen Rechtsinstrumente seien nicht zur Anwendung gekommen. Deshalb könne dieses"Eigentum" kein wirkliches"Eigentum" sein.
Das wäre ein logischer Zirkelschluß: Man kann"Eigentum" nicht über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein moderner Rechtsbegriffe definieren.
(Wie der Mann, der ein weißes Pulver verstreut und auf die Frage, wozu das denn gut sei, meint, das sei"Elefantin" und vertreibe die Elefanten. Und auf den Einwand, es gebe hier doch überhaupt keine Elefanten, antwortet er:"Na, sehen Sie, wie mein Elefantin wirkt!")
Einige Belege dafür, die den Schluß nahelegen, daß es durchaus auch in urzeitlichen Gesellschaften"Eigentum" - definiert also als Zugeständnis der Allgemeinheit an eines ihrer Mitglieder, über eine Sache im oben erläuterten Sinn ausschließlich verfügen zu können - gegeben haben dürfte, habe ich in einem früheren Posting beigebracht. Nach altdeutschem Recht hat sich Individualeigentum nicht nur an beweglichen Sachen, sondern auch an Grund und Boden, - genannt das Eigen, unterschieden von Lehen, Satzungsgut u.s.w. - schon frühzeitig herausgebildet, obwohl es damals eine ausgebildete Staatsmacht noch überhaupt nicht gab. Im alten Rom haben bereits die Zwölftafelgesetze das"Privateigentum" hervorgehoben. Und auch da gab es noch keine voll entwickelte Staatsmacht. (2) Aber auch im Alten Babylon, wo in der Theorie der König oder, soweit es sich um Tempelbesitz handelte, der betreffende Gott auf einem großen Teil des Staatsgbietes der eigentliche Bodenherr war, gab es Lehen, die steuerfrei waren und gemäß dem aus späterer Zeit stammenden Kudurrus dauernd ihren Eigencharakter behielten. Sie konnten zwar nicht verkauft werden, aber ansonsten konnte der Lehensbesitzer mit diesem Privatbesitz machen, was er wollte; wir können also auch schon hier von"Privateigentum" an unbeweglichen Sachen sprechen. Daneben aber gab es auch überhaupt nicht beschränktes Privateigentum an Grund und Boden, das nach Belieben verkauft, verpachtet oder verpfändet werden konnte. (3)
Aber man muß für eine so selbstverständliche Sache gar nicht lange nach empirischen Belegen graben: Wie Herbert Spencer bemerkte, liegt das Verlangen, Eigentum zu erwerben und das, was man erworben hat, zu behalten, tief in der Natur nicht nur des Menschen, sondern auch des Tieres begründet, wie es ja überhaupt ohne Zweifel eine der Bedingungen des Überlebens bildet. Fürst Luschi, der zwar über der Frage grübelt, ob man das Eigentum der Menschen in der Früh- und Vorgeschichte wirklich als"Eigentum" bezeichnen dürfe, schreibt zu diesem Problem: "Es ist doch selbstverständlich, dass jedes Tier sein Revier oder seine geschlagene Beute unter Abwägung des Risikos bis aufs Äusserste verteidigt. Wenn ich Ã-tzi berauben wollte, müsste ich mich auf ein Kampf auf Leben und Tod einstellen....
<font size="5">Welchen Schutz genießt das"Eigentum" vor unserer entwickelten Rechtsordnung?</font>
Fürst Luschi bestreitet nun allerdings, daß das"Eigentum" des Ã-tzi"Eigentum" sei, weil es seiner, Fürst Luschi's, Meinung nach niemanden gibt, der dieses Eigentum garantiert; der Para-Eigentümer Ã-tzi habe"keinen großen Bruder", der ihn beschütze, und wäre sein, Fürst Luschi's, Raub erfolgreich, so meint er, wäre mit seiner Beute für ihn viel gewonnen.
Richtig daran ist, daß Diebstahl und Raub in primitiven und früheren Gesellschaften oftmals (keineswegs immer!) dann straflos blieben, wenn sie gegen Angehörige von"Fremden" gerichtet waren; - ein Urinstinkt, der uns - man denke nur an die Verhältnisse in Kriegszeiten - bis heute aber keineswegs abhanden gekommen ist. Aber das kann nicht der Maßstab sein. Die "Allgemeinheit, die einem ihrer Mitglieder die ausschließliche Verfügungsmöglichkeit über eine Sache zugestehen muß, damit wir mit Fug und Recht von"Privateigentum" sprechen können, ist natürlich die Gesellschaft, der der"Eigentümer" selbst angehört.
Und hier sieht die Sache ganz anders aus: Wie schon einmal an anderer Stelle bemerkt, gibt und gab es kaum je ein Volk, das Raub und Diebstahl unter Volksgenossen nicht unter schwere und schwerste Strafsanktionen gestellt hätte. In Sibirien und auf der Kamschatka, in Asien, Afrika, bei den nord- und südamerikanischen Indianern und in Australien wurde der Dieb gezüchtigt, manchenorts sogar getötet, in Haiti früher aufgefressen oder war zumindest sozial geächtet und wurde aus der Dorfgemeinschaft ausgestoßen. Dem Mohammedaner wurde gemäß der Scharia die Hand abgehackt, mit der der Delinquent gestohlen hatte, und in Rom konnte sogar der Sklave Privateigentum erwerben. (4)
So kommt Westermarck nach seinen ausführlichen Untersuchungen, wie ich bereits erwähnt habe, zum Schluß, daß bei den Naturvölkern und wohl auch bei den Völkern im Altertum nicht der Rechtstitel, nicht die bloße Tatsache, daß Menschen"Eigentum" an einer Sache haben, sondern die öffentliche Mißbilligung von Handlungen, durch die sie ihres"Eigentums" beraubt werden, uns anzeigt, daß die Sache das Eigentum ihres Herren war. "Daher kann uns die überall herrschende Verurteilung dessen, was wir Diebstahl oder Raub nennen, am besten den Beweis erbringen, daß der Begriff des Eigentums bei allen uns bekannten Völkern in Geltung ist." [Westermarck a.a.O.]
<font size="5">Analyse der Rechts-Elemente, die dem"Eigentum" in Früh- und Vorgeschichte zu Grunde liegen</font>
Unsere heutige Rechtsordnung hat den Eigentumsbegriff, wie ich oben gesagt habe, mit einem ausgefeilten Normengeflecht umhüllt und ein Beweisverfahren mit ausgeklügelten Beweisregeln geschaffen, so daß das "Eigentum" (das an sich ein Sachverhalt ist) an Normen gemessen werden kann, wodurch es zum "Tatbestand" wird, der mittels Beweisen, also dem Titel, judizierbar wird.
Das alles gab es in den Zeiten, von denen wir hier sprechen nicht. Was es gab, war der von der Allgemeinheit zugebilligte Sachverhalt Eigentum und das, was man bis heute das"natürliche Rechtsempfinden" oder akademisch ausgedrückt:"das Naturrecht" nennt. Nicht einmal ein ordentliches Beweisverfahren gab es, ja selbst der"Kausalitätsbegriff" ("Ursache" -->"Wirkung") fehlte den Menschen: Nicht nur aus der deutschen Rechtsgeschichte kennen wir die"Gottesurteile", die sog. Ordalien: Recht hatte der, der am Ende noch am Leben war, nachdem beide, der Beklagte und der Ankläger"durchs Feuer gegangen" waren; oder gegeneinander gekämpft hatten. Wer unter solchen Umständen nach einem"Rechtstitel" ruft, der jemandes"Eigentum" nachweist, ist ein Träumer. Die Rückprojektion heutiger Rechtsbegriffe auf weit entfernte frühere Epochen ist methodisch unzulässig und ein oft gerügter Fehler bei historischen Betrachtungen.
Trotzdem aber ist festzuhalten, daß es das auch nach heutigen Kriterien definierte"Eigentum" auch in der Früh- und Vorzeit schon gab: nämlich die einer Person von der Allgemeinheit zugestandene, möglicherweise beschränkte aber doch [i]ausschließliche Verfügungsmöglichkeit über eine bewegliche oder unbewegliche Sache, so daß kein Dritter daran Anteil hat und ihn in der Ausübung dieser Verfügungsmacht willkürlich behindern darf.[/i] Dies ist - bis heute! - die Definition des Eigentums und es gibt keinen Grund, die Existenz dieses Institutes"Eigentum", seit es Menschen gibt, zu leugnen.
(1) Vgl. J. R. Commons,"Da Anglo-amerikanische Recht und die Wirtschaftstheorie" in: Die Wirtschaftstheorie der Gegenwart, iii, Springer/Wien 1928; S. 304
(2) HdWbStw. iii, 1926; Sp. 339
(3) Schwenzner W., Zum altbabylonischen Wirtschaftsleben, Leipzig, 1915.
(4) Westermarck, a.a.O.
Gruß
G.

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