- @Jochen: 'Warum war es notwendig zu dokumentieren?' - Eine Replik - Galiani, 05.11.2002, 03:08
- Re: Warum war es notwendig zu dokumentieren?' - Eine Replik - Jochen, 05.11.2002, 20:10
@Jochen: 'Warum war es notwendig zu dokumentieren?' - Eine Replik
-->Hallo Jochen
Ich beziehe mich auf Dein Posting von gestern Abend. (Es ist ja nicht so, daß ich mich einer geistvollen, mit vernünftigen Argumenten geführten Diskussion nicht stellen würde.)
Du schreibst:
"Da der Besitz einer Sache noch nicht beweist, [daß die Sache, um die es geht, dem Besitzer auch gehört] braucht es... solche Tontafeln, worin genau beschrieben wird, welches Grundstück es ist und wer der verfügungsberechtigte Eigentümer ist."
So weit, so gut!
Dann aber setzst Du fort:
"Diese Verfügung wurde von der 'Allgemeinheit' anerkannt, weil dies in den öffentlich-rechtlichen Gesetzen... so geregelt war."
Welche "öffentlich-rechtlichen Gesetze" meinst Du? Ich kenne (vor den Bürgerlichen Gesetzbüchern der Moderne) kein Gesetz, das sagt: "Wenn der A dem B ein Stück Land verkauft (und dieser Vorgang auf einem Tontäfelchen dokumentiert wird), dann gilt dieses Land als verkauft und der Käufer als neuer Eigentümer." Die Gesetze des Hamurabbi enthalten jedenfalls nichts derartiges. Ich habe außerdem soeben 2 Versionen des Sachsenspiegels durchgeblättert und dort alles mögliche darüber gefunden, wie Eigentums-Streitigkeiten zu bereinigen sind (meist, indem das aufrechte Eigentum von zwei Zeugen bezeugt werden muß), aber davon, wie Eigentum begründet wird, ist mit Ausnahme vom Erbfall (der als selbstverständliche behandelt wird) weit und breit keine Rede.
Du sagst in Deiner Begründung, warum es der Tontäfelchen als Beweismittel bedarf:
"[Das] wäre nicht notwendig, wenn [die Tatsache des Eigentums] allgemein anerkannt wäre. Wozu aufschreiben, was eh jeder weiß."
Von da schlägst Du eine Brücke zu den ethnologischen Ergebnissen etwa von Malinowski und Polanyi und beziehst Dich insbesondere auf die große Studie von Künzli zur Eigentumsfeindschaft"Mein und Dein - Zur Geschichte der Eigentumsfeindschaft". Wörtlich sagst Du unter Hinweis auf diese Befunde:
"Eigentum und Besitz [sind] abstrakte juristische Begriffe..[und].. auf damalige Gesellschaften genauso anzuwenden, wie auf heutige."
Ich vertrete da eine etwas andere Meinung und glaube, dafür gute Gründe ins Feld führen zu können.
Ich glaube zunächst einmal nicht, daß die Allgemeinheit etwa einen Landverkauf, eine Belehnung oder einen Grundtausch nur anerkennt, weil dies "in den öffentlich-rechtlichen Gesetzen so geregelt" war. Erstens, weil es ein derartiges Gesetz nicht zu geben scheint; zweitens, weil es keine derartigen Tontäfelchen gibt, wenn Eigentum im Erbgang übernommen wird (denn dann müßte es ja konsequenterweise eine gesetzliche Ausnahmebestimmung geben, daß in diesem Falle kein Tontäfelchen notwendig ist; und davon, daß es so etwas gibt, habe ich noch nie gehört).
Ich glaube vielmehr, daß es sich bei der Erstellung der von dottore und Dir angeführten Tontäfelchen um ein Ritual gehandelt hat; so wie man beim Pferdekauf das Geschäft rituell per Handschlag besiegelt oder die Heirat in Rom in frühen Zeiten in Form der conventio in manum vor sich ging. Diese Tontäfelchen mögen allerdings später im Falle von Streitigkeiten schon als Beweismittel recht praktisch gewesen sein. Aber man darf den Beweiswert eines solchen Tontäfelchens auch keinesfalls überschätzen. Ich möchte nochmals anmerken, daß man sich ein"Beweisverfahren" vor 4000 Jahren keinesfalls so vorstellen darf, wie sich so etwas heute abspielt: Aus der Bibel, aus dem frühen persischen Recht und anderen Rechtsordnungen, insbesondere aus der deutschen Rechtsgeschichte kennen wir den weitverbreiteten Usus der Ordalien, der Gottesurteile, die weit ernster genommen wurden als Kausal-Beweise: Im Zweifel entschied der Richter nicht nach Beweismitteln im heutigen Sinn und versuchte auch nicht, dadurch der Wahrheit auf den Grund zu kommen, sondern ließ etwa Kläger und Beklagten miteinander auf Leben und Tod kämpfen; der, der überlebte, hatte auch den Rechtsstreit für sich entschieden.
Aus diesen Gründen glaube ich sehr wohl, daß die Respektierung des Eigentums durch die Allgemeinheit eine ursprüngliche, in allen uns bekannten Völkern seit der Antike sittlich verankerte (Westermarck) Regung ist, die des ausdrücklichen Befehles durch"öffentlich-rechtliche Gesetze" nicht bedurfte (die es in dieser Form ja offenbar auch gar nicht gab).
Der von Dir in diesem Zusammenhang als Beleg für Deine Ansicht zitierte Künzli geht natürlich der "Eigentumsfeindlichkeit" nach. Insbesondere sein Grotius, für den das Privateigentum eine Folge des Sündenfalls ist, verlangt daher konsequenterweise eine besondere positiv-rechtliche Absicherung für alles, was einem allein gehören soll. Nun steht Grotius da natürlich einem Gedankenstrang nahe, der das Gemeineigentum verherrlicht und Jahrhunderte später ganz folgerichtig in den Marxismus mündet. Was mich an dottores Ansicht ja so stört, sind die ihm selbst vielleicht gar nicht bewußten krypto-marxistischen Konsequenzen seiner Theorie; ich habe ja schon einmal von der eigenartigen Klassenkampf-Färbung seiner"Macht-Theorie" gesprochen.
Man kann die Sache aber - wie gesagt - auch ganz anders, viel positiver, sehen. Und ich möchte hierfür einen Philosophen zitieren, der nicht leicht verdächtigt werden kann, etwa einen allzu einseitig"privateigentumsfreundlichen" Standpunkt zu vertreten, nämlich Hegel. In seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie geht Hegel dem Werden und Wesen des Eigentums nach und kommt dabei zu folgenden Aussagen:
<ul>"Nach dem Begriff der subjektiven Freiheit", sagt Hegel (S. 988), "muß das Individuum Eigentum haben..."..."Eigentum ist... etwas Gedachtes [am Menschen] selbst, Anerkanntsein meines Besitzes von allen... (1232f). An anderer Stelle (987f) sagt Hegel: "Darin, daß ich Person bin, liegt ja... meine Fähigkeit zum Eigentum." Und mit Blick darauf, daß es natürlich gelegentlich Eigentumsanfechtungen und -streitigkeiten gibt und daß es dafür wohl auch Gesetze braucht, setzt er fort: "Daß dann, wie Platon meint.., allen Streitigkeiten, Zwist, Haß, Habsucht u.s.f. ein Ende gemacht sei, kann man sich wohl im allgemeinen vorstellen. Aber das ist nur eine untergeordnete Folge gegen das höhere und vernünftige Prinzip des Eigentumsrechts..."... "In Ansehung des Eigentums ist das Gesetz: das Eigentum soll respektiert werden; denn das Gegenteil kann nicht allgemeines Gesetz sein. Das ist richtig. Aber das Eigentum ist vorausgesetzt; ist es nicht, so wird es nicht respektiert; ist es, so ist es. Setze ich kein Eigentum voraus, so ist im Diebstahl kein Widerspruch vorhanden... (2200). So kommt denn dem Gesetz - und diese Meinung vertrete ich hier im Gegensatz zu dottore und anderen Mit-Diskutanten - keineswegs eine das Eigentum erst konstituierende Bedeutung zu, wie dottore auf der Basis seiner"Macht-Theorie" meint, sondern erst hinterher, nachdem das Eigentum sich bereits konstituiert hat, die Aufgabe, Leib und Leben, aber auch das Eigentum der Bürger zu schützen. "Die Fundamentalaufgabe ist also:", meint der Philosoph Hegel abschließend (2111), "eine Form der Verbindung zu finden, welche mit der ganzen gemeinsamen Macht zugleich die Person und das Eigentum jedes Menschen beschütze und verteidige, und wobei jeder einzelne, indem er sich dieser Verbindung anschließt, nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt als vorher."</ul>
Ich finde das ist eine sehr schöne und in sich logische und nicht auf Konflikt, sondern auf der Basis sozialer Harmonie aufgebaute Gedankenkette und Sichtweise. (Und ehrlich: Ich bin froh, daß ich hiermit von Hegel Zuspruch für meine im Forum so hart bekämpfte Meinung erhalte; - ausgerechnet von Hegel!)
Das war ein langes und schwieriges Posting, Jochen.
Ich hoffe, daß sich nicht irgendwer auf einen vergessenen i-Punkt stürzt und meint, er habe damit meinen Gedanken schon widerlegt.
Liebe Grüße
G.

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