- Dutzende Krankenkassen beantragen Panik-Erhöhung - monopoly, 05.11.2002, 17:56
Dutzende Krankenkassen beantragen Panik-Erhöhung
-->Dutzende Krankenkassen beantragen Panik-Erhöhung
Von Matthias Streitz
Weil die Bundesregierung ab Donnerstag die Beiträge einfrieren will, bricht unter den Krankenkassen Hektik aus. Allein am Dienstag haben nach Informationen von SPIEGEL ONLINE 13 überregionale Kassen beim Bundesversicherungsamt die nötigen Anträge eingereicht, um eilig ihre Tarife zu erhöhen.
DDP
Krankenkassen-Karten: Vor allem Betriebskrankenkassen wollen die Beiträge nach oben drehen, doch auch eine Innungskrankenkasse hat bereits einen Last-Minute-Antrag eingereicht
Bonn/Stuttgart - Landauf, landab kommen die Verwaltungsräte der Krankenkassen zu Krisensitzungen zusammen. Manche von ihnen wollten ihre Beiträge ohnehin zum 1. Januar erhöhen, nun läuft ihnen die Zeit davon. Kommt das von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vorgeschlagene Gesetz durch - dann müssen die Erhöhungsanträge spätestens am Donnerstag auf den Tischen der Aufsichtsstellen gelegen haben.
Über diejenigen Kassen, die in mehr als drei Ländern aktiv sind, entscheidet das Bundesversicherungsamt. Und dort, in der Villemombler Straße in Bonn, geht in diesen Tagen eine wahre Flut von Eilanträgen ein. Allein am Dienstag, berichtete Amtssprecher Theo Eberenz auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE, seien 13 Anträge ins Haus gekommen. Insgesamt seien seit Bekanntwerden der Ministerpläne 23 Anträge gestellt worden,"und vielleicht geht war das noch nicht das Ende der Fahnenstange". Die Kollegen im Amt arbeiteten länger als üblich, um die Unterlagen möglichst zeitig zu prüfen.
Wie viel darf Gesundheit kosten? Diskutieren Sie mit anderen SPIEGEL-ONLINE-Usern!
Gute Chancen auf Bewilligung
Die drohende Frist und der steigende Kostendruck verunsichern offenbar vor allem die bisher vergleichsweise günstigen Betriebskrankenkassen. Bis auf eine Ausnahme stammten alle Anträge von BK-Kassen, so Eberenz; den anderen Antrag stellte eine Innungskrankenkasse. Von den Erhöhungsgesuchen kamen nach Angaben des Amtes zwei aus Bayern, sieben aus Baden-Württemberg, vier aus Hessen, drei aus Rheinland-Pfalz. Nordrhein-westfälische Kassen stellten sechs Anträge, auch eine niedersächsische Kasse wird für ihre Mitglieder voraussichtlich teurer.
Im Schnitt strebten die Kassen eine Erhöhung um 0,5 Prozentpunkte, so Eberenz. Etwa ein Drittel der Kassen habe die Steigerung erst für den 1. Januar 2003 beantragt, bei einem weiteren Drittel soll die Erhöhung schon rückwirkend ab dem 1. November gelten.
Weitere Anträge in den Landeshaupstädten
Der Amtssprecher geht davon aus, dass die Kassen gute Chancen haben, mit ihren Anliegen durchzukommen. Schließlich würden sie"nicht aus purem Jux" um eine Erhöhung bitten. Im Gegenteil würden Kassen eine Steigerung normalerweise eher hinauszögern, damit sie keine Mitglieder oder Beitrittswillige vergraulen. Erhöhungsanträge würden nur in seltenen Fällen abgelehnt.
Insgesamt dürften noch weitaus mehr Kassen eine eilige Beitragserhöhung anstreben als die genannten 23. Denn für regional spezialisierte Kassen ist nicht das Bonner Bundesamt zuständig, sondern die Regierung des Landes, in dem die Kasse ihren Sitz hat. Allein in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart sind bereits sechs Anträge eingegangen, bestätigte Landessozialminister Friedhelm Repnik (CDU) am Dienstag gegenüber Nachrichtenagenturen. In anderen Bundesländern dürfte das Bild ähnlich sein. Ein Sprecher des BKK-Bundesverbandes sagte der"Financial Times Deutschland", er rechne bis Donnerstag mit 35 bis 40 Eilanträgen durch BK-Kassen.
Vor allem Discounter werden teurer
Der Bundestag berät am Donnerstag in erster Lesung über die von Schmidt geforderte Beitragssperre, die bis Ende 2003 gelten soll. Auch bei einem erst späteren Beschluss des Gesetzes träte sie rückwirkend ab dieser Woche in Kraft. Dass Schmidts Vorlage beschlossen wird, gilt als wahrscheinlich. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder verteidigte das umstrittene Anliegen am Wochenende: Die Beiträge müssten kurzfristig stabilisiert werden, damit sie nicht ins Uferlose stiegen. SPD-Fraktionschef Franz Müntefering urteilte, wahrscheinlich werde nur eine Minderheit von Kassen Last-Minute-Anträge einreichen.
Tatsächlich gab es für Kunden einiger großer Kassen Entwarnung. Barmer Ersatzkasse, DAK, Techniker Krankenkasse und die Kaufmännische beschlossen in Krisensitzungen, ihre Beitragssätze auf dem jetzigen Niveau zu belassen. Allerdings dürfte ihnen die Entscheidung vergleichsweise leicht gefallen sein: Drei von ihnen verlangen 14,5 Prozent des Bruttogehaltes, auch die TK ist mit 13,7 Prozent teurer als die meisten BKK.
Dafür feuerte am Dienstag die erste Allgemeine Ortskrankenkasse einen Beitrags-Schnellschuss ab: Die AOK Niedersachsen beschloss, ihren Satz von 13,8 auf 14,5 Prozent anzuheben.

gesamter Thread: