- Kommentar: Zur Beitragserhöhung in der RV u.a. - Popeye, 06.11.2002, 10:13
Kommentar: Zur Beitragserhöhung in der RV u.a.
-->Der Erfolg und sein Preis
G.H. Vergessen wir die Siegesmeldungen der Wahlnacht, die
Mär von den Zugewinnen der Grünen und den Verlusten der
SPD - sechs Wochen danach hat der Bundeskanzler das Ganze
wieder zurechtgerückt: Die SPD regiert allein, die Grünen
halten sich an ihren Pöstchen fest. Schröder hat auch
deswegen so barsch gehandelt, um Fischers"forget it" zu
widerlegen. Was sich die SPD vorgenommen hat, davon läßt
sie sich nicht abbringen, schon gar nicht von den Grünen. Also
bleibt es dabei, daß die Sozialministerin die Rentenbeiträge auf
19,5 Prozent heraufsetzen wird - da haben nicht nur die
Grünen, sondern auch die sozialdemokratischen Abgeordneten
lediglich noch zu nicken.
Die Grünen haben nicht einmal ein Trostpflästerchen
bekommen. Noch glauben sie allerdings, daß die neue
Kommission nach der Methode Hartz (deren Vorsitzender
allerdings anders heißen wird) ihnen Genugtuung verschaffen
und die Renten- und Krankenkassenbeiträge auf die
Wunschmarken der Grünen zurückführen werde. Und dann
müßte - das ist die Erwartung der Kuhn-Truppe - der Auftrag
an die Koalition nur noch lauten:"Eins zu eins umsetzen." Daß
sie sich da mal nicht vertun. Der Bundeskanzler ist
hemdsärmelig genug, von Fall zu Fall zu entscheiden, wie mit
Kommissionsberichten umgegangen werden soll. Falls ihm die
Vorschläge der Sozialversicherungsreform-Kommission nicht
opportun erscheinen, wird er diese und die Hoffnungen des
Juniorpartners ins Leere laufen lassen.
Dabei geht es allerdings nicht nur um Machtspielchen unter
Roten und Grünen, sondern um die Ernsthaftigkeit des
Parlamentarismus in Deutschland. In Kommissionen vom Typ
Hartz sitzen, in noch höherer Dichte als im Bundestag,
Interessenvertreter und Lobbyisten, die hier pauschal Fachleute
genannt werden. Ihren Einfallsreichtum brauchen sie vor den
Bürgern nicht zu verantworten, nicht einmal Hartz selbst hat
sich in die Ministerverantwortlichkeit begeben. Der Kanzler,
der seine Richtlinienkompetenz nicht zu Vorgaben nutzt,
sondern lediglich die Ergebnisbewertung beansprucht,
unterminiert mit"Eins zu eins"-Anweisungen sogar die
Selbständigkeit der Ressortminister und höhlt die
Gesetzgebungsarbeit weiter aus, indem er seine Fraktionen zur
umgehenden Zustimmung verpflichtet. An den sogenannten
Hartz-Gesetzen entscheidet sich, ob der Erfolg größer ist als
sein Preis.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.11.2002, Nr. 258 / Seite 1

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