- (ausnahmsweise) feinsinniger Kommentar v. Gottfried Heller zu Politik u.Börse - El Sheik, 11.11.2002, 12:37
(ausnahmsweise) feinsinniger Kommentar v. Gottfried Heller zu Politik u.Börse
-->Die preußische Militärstrategie hilft noch immer
Kolumne
Von Gottfried Heller
Anfang Oktober habe ich an dieser Stelle geschrieben, dass die Anleger, die letzthin deutsche Aktien verkauft hätten, dies binnen zwölf Monaten bitter bereuen würden. Das ist schon heute der Fall, denn der Dax hat inzwischen etwa 30 Prozent zugelegt - fast doppelt soviel wie der S&P-500. Wieso das? Wo doch die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass sich Deutschland in schweren Turbulenzen befindet.
Die Koalitionsvereinbarungen zwischen Rot-Grün wurden mit einem lauten Aufschrei von allen Seiten quittiert: Abgabenerhöhungen in der Rentenversicherung und in der Wirtschaft, Streichung von Subventionen, Stopfen von Steuerschlupflöchern, Besteuerung von Kapitalgewinnen bei Aktien und Immobilien, Diskussion über die Einführung der Vermögensteuer und die Erhöhung der Erbschaftssteuer. Das alles hört sich an wie Geschichten aus dem Gruselkabinett.
In dieser katastrophalen Situation ist es hilfreich, das einfache, dreistufige Lösungsmodell des preußischen Generalstabs zu konsultieren, denn es lässt sich auch auf zivile Probleme anwenden. Es lautet: Wie ist die Lage?·Wie stellen wir uns darauf ein?·Wie führen wir es durch?
Zur Lage: Die Unternehmer drohen mit Boykott; in den Gewerkschaften herrscht Aufruhr; das Volk erkennt, dass"Vater Staat" pleite ist; Deutschland als Erfinder des Stabilitätspaktes verletzt ihn als einer der ersten und steht in Europa am Pranger; eine große Mehrheit der Deutschen wirft Schröder Wahlbetrug vor; seine Glaubwürdigkeit ist am Tiefpunkt.
Wie stellen wir uns darauf ein? Wir müssen in den Sozialsystemen die Notbremse ziehen und die Ausgaben deckeln, und danach müssen wir sie rasch an Haupt und Gliedern reformieren. Die Gewerkschaften als Hauptverursacher der Job-Misere werden dabei gerade unter Rot-Grün noch einige Kröten schlucken müssen. Die Vorschläge der Hartz-Kommission sind zwar nur eine Teilreform, aber sie öffnen eine Tür zur dringend notwendigen Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Weil die Einschnitte im Sozialstaat jedoch vorwiegend die rot-grünen Wähler treffen, muss wenigstens der Anschein der Gerechtigkeit erweckt werden. Und dafür müssen auch einige steuerliche Folterwerkzeuge vorgezeigt werden, die überwiegend die bürgerlichen Wähler schrecken, etwa die Vermögens- oder Kapitalgewinnsteuer. Ob die je Gesetz werden, ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse - auch im Bundesrat - völlig offen.
Wie führen wir es durch? Die Zusammenlegung von Wirtschafts- und Arbeitsministerium ist schon Teil der Strategie und seine Besetzung mit Superminister Clement ist Teil des Programms. Er ist die wichtigste Person in Schröders Kabinett. Er muss nun rasch und an allen Fronten handeln. Denn das Zeitfenster für die Durchsetzung von Reformen ist nur ein bis zwei Jahre offen.
So etwa sähe wohl die Strategie des preußischen Generalstabes aus. Es ist dabei eine bekannte Tatsache, dass die Bataillone der Rechten Kriege beenden, aber die Bataillone der Linken am besten den Sozialstaat abbauen können. Sieht man sich das Tempo an, mit dem die rot-grüne Koalition in allen Bereichen Beschlüsse fasst und sie schon Tage danach durchs Parlament peitscht, so wird eine Taktik erkennbar, die Niccolo Machiavelli schon vor etwa 500 Jahren für erfolgreiches Regieren niedergeschrieben hatte:"Grausamkeiten muss man alle auf einmal begehen, damit sie weniger empfunden werden und dadurch weniger erbittern." Schröder scheint sein Buch"Der Fürst" gelesen zu haben, oder er befolgt seine Ratschläge instinktiv.
Als Anlageprofi muss ich denen, die in letzter Zeit deutsche Aktien gekauft haben, zubilligen, dass sie sehr vernünftig waren. Der deutlichen Zinssenkung der Fed gleich um einen halben Prozentpunkt wird demnächst die Europäische Zentralbank (EZB) folgen. Eine expansive Geldpolitik auf beiden Seiten des Atlantik aber wird weltweit das Wachstum beschleunigen und die Börsen beflügeln. Der Dow Jones wird den Anführer spielen. Aber nach meiner Einschätzung wird der Dax ihm im kommenden Jahr nicht nur folgen, sondern ihn übertrumpfen.
<ul> ~ Die Welt</ul>

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