- Und sowas in der FAZ...... - XERXES, 12.11.2002, 13:53
Und sowas in der FAZ......
-->Die Blenderwirtschaft
Zahlenblender am Werk
Von Markus Zydra
08. November 2002 Zahlen lügen nicht - ebenso wenig Tränen. Das klingt gut, ist aber falsch. Und eigentlich wissen das auch alle. Dennoch beruft sich jeder auf sie. Mit dem richtigen Repertoire an Zahlen kann man Wahlen gewinnen, einen guten Börsengang hinlegen und ansehnliche Aktiengewinne erzielen. Vor allem Profitzahlen sind es, die den Börsen als Lackmustest unternehmerischer Potenz dienen. Doch was ist eigentlich der Gewinn, wie misst man ihn?
Sicher, es gibt ihn noch, den guten alten Jahresüberschuss, der den Betrag zusammenfasst, der unterm Strich, nach Abzug aller Kosten, übrig bleibt. Finanzingenieuren der Beraterfirmen und Investmentbanken war dieser traditionelle Überschuss allerdings eine zu ungenaue Größe. So kam es, dass so exotisch anmutende Gewinnkennzahlen wie Ebit, Ebitda, Ebitdaso und Pro forma die Ohren des Finanzmarkts erreichten. Tatsächlich haben diese Kennziffern ihren Aussagewert, allerdings jede für sich nur einen sehr begrenzten. Sie firmieren als interne Steuerungsgrößen der Unternehmen und haben in den letzten Jahren über Finanzkreise und Medien auch eine nicht unerhebliche Außenwirkung erzielt.
Ausklammerung von Kosten
Mit Hilfe dieser Gewinnkennzahlen können Experten einzelne Geschäftsabläufe auf ihren Wert hin abklopfen; der operative Profit des Kerngeschäfts lässt sich so von außerordentlichen Erträgen und Belastungen isolieren. Kosten werden so, von Fall zu Fall anders, ausgeklammert. Gerade für Privatanleger ist dieses Dickicht an Gewinnzahlen aber schwer durchschaubar.
Auslöser dieser Vertrauenskrise waren die vielzitierten Pleiten der US-Konzerne Enron und Worldcom. Im Zuge dieser Bilanzbetrügereien mussten auch andere Unternehmen eingestehen, dass sie es mit der Sorgfalt und dem Gesetz nicht immer so genau nahmen. Die Arbeit von professionellen Anlageberatern kann da schnell zur Makulatur werden. Denn Analysten berechnen die Kurschancen einer Aktie mit mathematischen Modellen auf Basis von aktuellen Umsatz- und Profiterwartungen, die sie von den Unternehmen erhalten. Doch wenn die Konzerne Zahlen veröffentlichen, bei denen der Wunsch und nicht die Realität Vater des Gedankens war, dann ist es um die analytische Expertise geschehen.
Kleine Tricks erhalten die Umsätze
Konzerne informieren mitunter nicht nur schlecht, sie tricksen auch. Swaps oder Tauschgeschäfte sind ein beliebtes Mittel, um den Umsatz zu steigern. So verfuhren die US-Netzbetreiberfirmen Global Crossing und Qwest Communications nach dem Prinzip: Ich kauf etwas von dir, was ich nicht brauche, und du kaufst das selbe von mir, obwohl du es auch nicht brauchst. In diesem Fall ging es um Netzkapazitäten, die hin- und hergehandelt wurden. Ohne dass je Geld floss oder die Ware bereit gestellt wurde. Der virtuelle Umsatz wurde hingegen bei beiden verbucht - so lässt sich gut wachsen.
Bis hin zum Betrug
Der Online-Buchhändler Amazon hat Umsätze angefeuert, indem Zahlungen in Aktien als Umsatz gebucht wurden. Soweit so gut. Doch als die Aktien fielen, wurde keine Neubewertung vorgenommen. Die hohen Umsätze blieben bestehen. IBM machte sich die Vorteile des Aktienrückkaufs zugute. Mit Cash kaufte man eigene Aktien vom Markt zurück, verringerte die Anzahl umlaufender Aktien und damit automatisch den Gewinn pro Aktie, obwohl der Gewinn in absoluten Zahlen nicht zugenommen hat. Noch rustikaler ging nach Ansicht der holländischen Staatsanwaltschaft die Telefongesellschaft KPN zu Werke: Sie verbuchte Gewinne aus Aktienverkäufen, die gar nicht getätigt wurden.
Trends bei der Bewertung
Kein Indikator zur Beurteilung eines Unternehmens ist wirklich objektiv. Und die Summe der Indikatoren kann nur von Profis beurteilt werden, bei unterschiedlichsten Deutungen. Davon lebt die Börse. Doch Privatanleger müssen sich klar werden, auf welchem Minenfeld sie sich bewegen, und wie Bilanzzahlen so oder so gestaltet und interpretiert werden können
Zudem unterliegt die Wertschätzung von Kennzahlen auch immer dem Trend. Zu Zeiten der Boomphase 1999/2000 spielten Profite für die Märkte keine Rolle. Unternehmen wurden trotzdem hoch gehandelt: Statt auf den Gewinn pro Aktie schaute man auf den Umsatz pro Aktie. Das Zeitalter des unbegrenzten Wachstums auf Schuldenbasis wurde ausgerufen. Jetzt ist alles anders. Das Wachstum lahmt, die Märkte fokussieren sich auf Nettoerträge und Verschuldungsgrad der Konzerne.
Noch ein weiterer Aspekt treibt die Investoren um. Unternehmensergebnisse einzelner Branchen sind nur sehr schwer vergleichbar. Es fehlt ein universeller Bilanzierungsstandard. Global agierende Konzerne bilanzieren mehrfach. Und der Bilanzierungsstandard US-GAAP hat andere Regeln als der europäische Standard IAS, und beide fußen auf einem völlig konträren Prinzip zum deutschen Handelsgesetzbuch HGB. Die so genannte Kasuistik des US-GAAP regelt Einzelfälle; IAS geht hingegen von allgemeinen Prinzipien aus.
Es fehlt die einheitliche Auslegung
Während US-GAAP an diesen engen Einzelfallregelungen krankt, die von Finanzingenieuren mit Phantasie umgangen werden können, plagen IAS die allgemein gefassten Vorschriften (Principles), denen der konkrete Anknüpfungspunkt für die Anwendung fehlt. „Für die weltweit einheitliche Auslegung der IAS-Regeln ist eine Methodik erforderlich, die noch nicht etabliert ist“, räumt Professor Wienand Schruff, Vorstand der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, ein.
Das Durcheinander hat mitunter spürbare Konsequenzen: So muss der Mobilfunkkonzern Mobilcom nach HGB die Kosten für eine UMTS-Lizenz planmäßig abschreiben - und zwar ab dem Zeitpunkt des Erwerbs. Ganz anders nach IAS: Danach beginnt die Abschreibung auf solch immaterielle Werte erst dann, wenn die Nutzung der Lizenz beginnt. Nach IAS weist Mobilcom also einen höheren Gewinn beziehungsweise niedrigeren Verlust aus als nach HGB. Welcher Bilanzierungsstandard hat denn nun Recht? Wie viel Gewinn macht etwa ein Unternehmen wie der Autobauer Volkswagen? Auf die einfache Frage gibt es keine klare Antwort: Denn nach HGB belief sich der Überschuss für das erste Quartal 2001 auf 389 Millionen Euro, nach IAS waren es 830 Millionen Euro.
Fragen über Fragen
Das deutsche Recht will grundsätzlich den Gläubiger schützen und bilanziert deshalb nach dem Vorsichtsprinzip, IAS und auch US-GAAP sehen den Aktionär im Mittelpunkt und wollen deshalb die Bildung von stillen Reserven vermeiden. Es kommt damit zu einer Fülle von divergierenden Wertansätzen in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung bei verschiedensten Teilaspekten: Wie konsolidiert man Zweckgesellschaften, wie Leasingprojekte, wie sollen Versicherungsverträge bilanziert werden, wie ist mit Rückstellungen zu verfahren, wie mit Aktienoptionen, wie soll man Bilanzvermögen wie Aktien bewerten? All diese Fragen sind in der Diskussion. Und das alles in einer Zeit, da Anleger Klarheit einfordern über die Werthaltigkeit eines Unternehmens, die durch Publizierung von IAS-, US-GAAP-, HGB-, Steuer- oder Ausschüttungsbilanz überaus variantenreich dargestellt wird.
In einer Finanzwelt, die eine nie da gewesene Transparenz suggeriert, die übersäht ist mit Quartals- und Zwischenquartalsberichten, mit Adhoc-Verlautbarungen, die auf unzähligen TV-Kanälen und Zeitschriften von Experten interpretiert werden, in dieser Welt, die für alles eine Erklärung zu haben scheint, erleben wir derzeit die größte Unsicherheit über die Frage, wie viel Profit ein Unternehmen eigentlich erwirtschaftet. Die Menge der Ertragskennzahlen und die Vielfältigkeit der Bilanzierungsregeln sind ein Problem, geschönte Geschäftsergebnisse und mitunter kriminelle Bilanzmanipulationen ein anderes.

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