- Was ist und worin besteht 'Naturrecht'? @Uwe u.a. - Galiani, 13.11.2002, 17:40
Was ist und worin besteht 'Naturrecht'? @Uwe u.a.
-->Lieber Uwe
Du hast mich um einen kurzen Abriß der"Naturrechts"-Theorie gebeten. Soweit ich mich noch an den ersten Studienabschnitt meines Jura-Studiums vor über 40 Jahren zurückerinnere - hierzu also folgendes:
Bei den Gerichten, die ja oft beschuldigt werden,"ungerecht" zu urteilen, kursiert ein zynisch klingendes Wort: "Bei uns kriegen Sie keine 'Gerechtigkeit', sondern nur ein Urteil!"
Tatsächlich gilt: Wenn die in die Form von Gesetzen oder Verordnungen gossenen Beschlüsse unserer Parlamente und Regierungen, also das, was man das"positive" Recht nennt, festlegen, daß "zwei mal zwei fünf zu sein hat", dann haben die Richter (zumindest in unserem Rechtssystem; im anglikanischen Recht ist das ein bißchen anders!) auch dementsprechend zu entscheiden; - ob das nun"richtig" oder"gerecht" ist oder nicht.
Die Probleme einer solchen Rechtsauffassung werden sofort offenbar, wenn man die Verhältnissen in Staaten betrachtet, die wir heute vielfach als"Unrechtsstaaten" bezeichnen. Allein diese Bezeichnung sagt schon sehr deutlich, daß es offenbar ein dem Menschen eingeborenes"natürliches Rechtsempfinden" gibt, das als dem positiven Recht vorausgesetzt empfunden wird, - eben das "Naturrecht". Wobei dieses"Naturrecht" nach Ansicht vieler Juristen in Form der philosophischen Untersuchung über Begriff und Wesen von Recht und Rechtsverhältnis (Rechtsphilosophie) eine wichtige Grundlage der Rechtsordnung sein sollte.
Die Nürnberger Urteile nach dem Zweiten Weltkrieg forderten jedenfalls ausdrücklich, daß dem"Naturrecht", wenn es mit dem positiven Recht im Widerspruch steht, selbst unter Einsatz des eigenen Lebens der Vorrang gegenüber diesem einzuräumen sei.
Man mag darüber denken, wie man will. Tatsache ist jedenfalls, daß Juristerei seit der Antike sich zur Aufgabe macht, aus den äußeren wechselnden Erscheinungen und Zuständen des menschlichen Lebens das diesen zugrunde liegende Gesetz und ihren letzten Grund zu erforschen und durch Feststellung der Idee des Rechts eine sichere Norm für die Beurteilung der bestehenden angeblichen Rechte und Rechtsordnungen zu gewinnen. Auf diese Weise wird zugleich dem Recht eben jene tiefere Begründung gegeben, die es über das reine Faktum eines Parlamentsbeschlusses erhebt. (Gegen eine solche rein formalistische Idee vom"Eigentum" richtet sich, nebenbei bemerkt, ja auch meine leidenschaftliche Kritik an den Auffassungen dottores.)
Schon im Altertum haben, wie gesagt, Platon und Aristoteles mit ihren geistvollen Ausführungen über den letzten Grund von Staat und Recht über die idealen Zwecke der Staats- und Rechtsordnung philosophiert. Die Stoa differenziert sogar noch weiter: Sie unterscheidet zwischen dem für den gesamten Kosmos absolut gültigen ewigen Weltgesetz (lex aeterna) und dem auf der vernünftigen Natur des Menschen beruhenden Naturrecht (lex naturalis), das den Beurteilungsmaßstab für das positive Recht bilde. Das setzt sich bis ins Mittelalter fort: Wilhelm von Ockham hebt besonders die Trias der"JURA NATURALIA", der"natürlichen Rechte" hervor: LEBEN; FREIHEIT; EIGENTUM. (Wenn dottore sich also über einen"Mickey-Mouse"-Denker wie Hegel lustig macht, so greift er damit in Wirklichkeit bis ins Mittelalter zurück, bis zu Ockham!)
Auf Ockham folgen die"Schule von Salamanca" mit Luis Molina, Francesco de Vitoria, Domenico de Soto (mit deren ganz modernen, dann aber wieder in Vergessenheit geratenen Lehren ich mich besonders beschäftigt habe,) aber auch außerhalb Spaniens Pufendorf, Locke, Wolf, Montesquieu, Rousseau, Kant, Fichte und deren Nachfolger, die sog."Naturrechtslehrer", wie Rotteck sie genannt hat. Sie alle betonten, daß das Naturrecht die ausschließliche oder doch zumindest die wesentliche Grundlage der Rechtsordnung sein müsse, weil es die ausschließliche oder doch zumindest die wesentliche Grundlage des Rechtes sei.
Gegen diese Betrachtung des Problems unter philosophischen Aspekten wandte sich - besonders in Deutschland - auf militante Weise die sog. Historische Schule mit ihren konstruktivistischen Anschauungen, in deren geistiger Nachfolge natürlich auch Karl Marx die Bühne erklomm. (Im Kern ist das auch die Auseinandersetzung zwischen dottore und mir: Mein philosophischer Haupteinwand gegen die vor allem historisch begründete Theorie dottores ist - insbesondere im Hinblick auf den Eigentumsbegriff, - daß dottores Kontraktualismus praktisch gesehen auf eine bloße Rechtfertigung der gegenwärtigen Güterverteilung hinausläuft.)
Savigny hat schließlich die Einseitigkeit der Denkweise und die Untauglichkeit der Funde der historischen Schule in der bzw. für die Rechtswissenschaft aufgedeckt und deutlich gemacht. Auch auf dem Gebiet der Ã-konomie ereilte die Lehren der Vertreter der historischen Schule mittlerweile übrigens dasselbe Schicksal.
Inbesondere haben - wie bereits angedeutet - die Erfahrungen mit dem NS-Regime und die Unfähigkeit des Rechtspositivismus', dem legalen Unrecht theoretisch entgegenzutreten, nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Belebung der naturrechtlichen Diskussion sowohl in der Rechtswissenschaft wie auch in der Theologie beider Konfessionen geführt. Das Grundgesetz der BRD weist in seinem Grundrechtsteil ausdrücklich auf das Bestehen überpositiver Rechtsnormen hin und das Bundesverfassungsgericht hat die Existenz überpositiver Rechtsnormen ausdrücklich anerkannt. Auch die römisch-katholische Kirche vertritt, wenn auch naturgemäß nicht unangefochten, bis heute die Lehre eines durch Gott begründeten Naturrechts.
Die hauptsächliche Kritik dagegen kommt heute aus der linken Ecke. Das ist im Grunde genommen seltsam. Denn die sozialen Anliegen der Arbeiterschaft in den vergangenen 200 Jahren waren praktisch ausnahmslos naturrechtlich gerechtfertigt worden. Dennoch ist es wohl richtig, wenn Dr. Guido Hülsmann in seinem bemerkenswerten Aufsatz Naturrecht und Liberalismus einleitend bemerkt:"Von allen Ideen, die für den Liberalismus grundlegend sind, wird heute kaum eine so heftig angefeindet wie die des Naturrechts."
Literatur:
http://www.naturrecht.org/
http://www.dnwe.de/2/forum/h2002_2/04.htm
http://www.eifrei.de/Archiv/Inhalt_...4-naturrechtundliberalismus.html
http://www.blackwell.de/nr.htm
http://www.katholik.com/natur.htm
http://www.lawww.de/Library/Notwehr/Gliederung.html (Das Recht zur Notwehr im Naturrecht; Diss.)
linksorientiert kritisch: http://www.gkpn.de/topitsch.htm

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