- Arbeitsgericht: Einer streitet für BAT Ia, ein anderer für 203,50 DM - Wal Buchenberg, 14.11.2002, 08:22
Arbeitsgericht: Einer streitet für BAT Ia, ein anderer für 203,50 DM
-->Am Arbeitsgericht, 13.11.2002
Ein Bibliotheksleiter will eine Daueranstellung.
Erschienen ist Herr M., ein Herr Ende Fünfzig mit Rechtsanwältin als Kläger und der Rechtsanwalt seines Dienstherrn als Beklagter.
Herr M. übt in einer staatlichen Bibliothek eine „höherwertige Tätigkeit“ mit Zeitvertrag aus. Herr M. klagt nun gegen die zeitliche Befristung dieser Tätigkeit.
Es begab sich in dieser Bibliothek, dass Herr M., der zu dieser Zeit ebenfalls per Zeitvertrag arbeitete, von seinem Dienstherrn die Aussicht erhielt, auf eine neu zu schaffende Stelle mit der „höherwertigen“ Bezahlung von BAT I a unbefristet übernommen zu werden.
Aus Gründen, die schwer darstellbar sind, wurde aus dieser Stellenvergabe nichts. Herr M. geht zwar immer noch seiner „höherwertigen Tätigkeit“ in dieser Bibliothek nach, aber wieder nur mit einem erneuerten Zeitvertrag. Auf „seiner“ unbefristeten Stelle sitzt aber ein anderer. Das gibt Herrn M. Grund zur Klage.
Der Richter äußert sein Verständnis für die persönliche Enttäuschung, die Herr M. hat hinnehmen müssen, aber fragt mehrmals nach juristisch greifbaren Gründen, die ihm als Arbeitsrichter erlauben, der Klage von Herrn M. stattzugeben.
Herr M. macht dazu im Dialog mit dem Richter längere Ausführungen, während der Rechtsanwalt des Dienstherrn ebenso schweigt wie der juristische Beistand von Herrn M.
Herr M. macht geltend, dass sein Dienstherr ihm diese Stelle fest versprochen habe, und nur, um die Zeit bis zur Stellenausschreibung zu überbrücken, habe er seinen damaligen Zeitvertrag nochmals befristet verlängert. Diese schriftliche Festlegung galt Herrn M. offenbar weniger als die mündliche geäußerte Ansicht seines Dienstherrn, dass er in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden solle.
Herr M., zu dessen höherwertiger Tätigkeit auch „juristische Beratung“ gehört, macht weiter als Unrecht geltend, dass es erst hieß, es brauche keine Stellenausschreibung. Dann wurde „seine“ Stelle doch öffentlich ausgeschrieben - so ist es gesetzliche Vorschrift, warf der Richter ein -, aber Herrn M. wurde vom Personalrat gesagt, es sei doch ganz klar, „wer die Stelle bekomme“.
Schließlich bekam aber doch ein ganz anderer die Stelle und ganz ohne Ausschreibung, einer, wie Herr M. betonte, bei einer ordentlichen Stellenvergabe gar keine Chance gehabt hätte.
Herr M. deutet also an, es sei nicht nur ihm persönlich Unrecht geschehen, sondern auch bei der Stellenvergabe nicht mit rechten Dingen zugegangen. Diese Enthüllungen verursachen weder einen Aufschrei der Empörung bei dem Herrn Richter noch bei den anwesenden Rechtsanwälten. Herr M. hat damit sein Drohpotential verschossen, ohne eine Wirkung zu erzielen. Der Richter empfiehlt der Rechtsanwältin dringend, sich mit ihrem Mandanten zu beraten.
Diese Beratung fand außerhalb des Verhandlungszimmers statt, und hatte offenbar die Warnung zum Inhalt, dass Herr M. seinen Arbeitsprozess verlieren werde. Angesichts der drohenden Prozessniederlage kehrte Herr M. mit einem „Vergleichsvorschlag“ zurück: Er bot seinem Dienstherrn an, seine Klage zurückzuziehen unter der Bedingung, dass sein Arbeitsverhältnis, das noch bis zu seiner Verrentung im Jahr 2006 reicht, zwar befristet bleibt, aber die Bezahlung auf BAT I a aufgestockt wird.
Die Gegenseite lehnte das ab. Das Verfahren wurde geschlossen. Das Urteil wird später verkündet. Die Verhandlung über die höherwertigen Enttäuschungen eines Bibliotheksleiters vor dem Arbeitsgericht dauerte eine Dreiviertelstunde - in dieser Zeit segnet das Arbeitsgericht sonst drei fristlose Kündigungen ab. (13.11.2002)
Streitwert 203,50 DM.
Erschienen ist Herr Z., Anfang 30, mit Rechtsanwalt auf der einen Seite und der Rechtsanwalt der beklagten Firma S.
Herr Z. klagt um die Bezahlung von 203,50.- DM. Der Richter leitet das Verfahren mit der unwilligen Bemerkung ein: Es sei nicht nachvollziehbar, warum wir das hier verhandelten.
Eine der beiden Parteien hatte also ziemlich schlechte Karten.
Der Richter zitiert aus dem Arbeitsvertrag des Herrn Z., dass er während seiner Fortbildung sein „Bruttogehalt wie für eine Vollzeitstelle als pauschale Ausbildungsvergütung“ erhält. Die Firma S. hatte jedoch in der Gehaltsabrechnung während seiner Ausbildung „Minusstunden“ geltend gemacht und somit den Streit um fehlende 203,50 DM ausgelöst.
Der Richter - wohl um der inzwischen angewachsenen Zuhörerschaft zu demonstrieren, wie ernst er seine Aufgabe nimmt - geht nebenan in sein Besprechungszimmer, holt einen Gesetzestext und trägt daraus etwas vor, wovon weder Inhalt noch Zusammenhang zum Verfahren zu verstehen ist.
Der Richter kommt wieder auf den Arbeitsvertrag zurück: Wie könne man von einer Ausbildungsvergütung, die als Pauschale festgelegt ist, Stundenabzüge machen? Wie könne man von dieser Ausbildungsvergütung Minusstunden errechnen, wenn sie „wie eine Vollzeitstelle“ berechnet ist?
Der Rechtsanwalt der Firma S. weist darauf hin, dass Herr Z. ja in einem Teilarbeitszeitverhältnis stehe, in dem durchaus Minusstunden anfallen können. Wie können aber Minusstunden anfallen, wenn der Mitarbeiter außerhalb der Firma eine Ausbildung macht? Es ist soweit alles geklärt.
Der Richter fragt, ob eine gütliche Einigung möglich ist.
Nein, der Rechtsanwalt der Firma bleibt hartnäckig und schiebt noch den Antrag nach, zu prüfen, ob die Geltendmachung der 203,50.- DM auch fristgerecht erfolgt sei.
Sie war fristgerecht erfolgt.
Zu den 203, 50.- DM muss die Firma S. auch noch die Rechtsanwalt- und Gerichtskosten zu zahlen. Die Geschäftsleitung der Firma S. hat bewiesen, dass ein kapitalistisches Ego um jeden Pfennig kämpfen muss - auch wenn man nicht jeden Pfennig-Kampf gewinnen kann.
Dem Lohnarbeiter Z. wurde bewiesen, dass zwischen Kapital und Arbeit nicht einmal auf vertragliche Abmachungen Verlass ist.
Und beiden und uns Zuhörern wurde bewiesen, dass der Rechtsstaat samt Richter, Gerichtsangestellten und Rechtsanwälten, Gerichtsvollzieher und Gefängniswärtern im Kapitalismus eine ganz unverzichtbare Angelegenheit ist. (13.11.2002)
Wal Buchenberg

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