- Malik: Was hierzulande unerwähnt bleibt oder so schlecht sind wir in Dt. nicht - LenzHannover, 15.11.2002, 12:00
- Re: Malik: das war keine Glanzleistung - vom Triathleten und dem Götzzitat - Baldur der Ketzer, 15.11.2002, 12:40
- Und Malik hat doch recht! - Ecardo, 15.11.2002, 13:22
- Re: Und Malik hat doch recht! - PuppetMaster, 15.11.2002, 14:04
- Re: Malik: Was hierzulande unerwähnt bleibt oder so schlecht sind wir in Dt. nicht - Jacques, 15.11.2002, 16:50
Malik: Was hierzulande unerwähnt bleibt oder so schlecht sind wir in Dt. nicht
-->manager-magazin.de, 15.11.2002, 11:26 Uhr
Die Malik-Kolumne: Was hierzulande unerwähnt bleibt
Von Fredmund Malik
Politiker, Manager und Experten aller Fachrichtungen nörgeln fast
täglich über den miserablen Zustand der Republik. Aber von
Deutschland so zu reden, als wäre es das Armenhaus Europas, ist
falsch. Im ersten Teil seiner Analyse beschreibt Fredmund Malik, was
in der Standort-Diskussion unerwähnt bleibt.
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Politiker aller Parteien, Manager aller Branchen und Experten aller
Fachrichtungen sind fast täglich, sicher sonntäglich, versammelt, um
in Talkshows aller Varianten über Deutschland zu jammern.
Deutschland als Schlusslicht Europas, hoffnungslos abgeschlagen und
abgewirtschaftet.
Ein paar Fragen aber bleiben ausgeklammert - warum, ist rätselhaft.
Werden sie mitberücksichtigt, ist der Leistungsausweis Deutschlands
hervorragend, jedenfalls viel besser, als er diskutiert wird.
Unbestritten bleiben noch immer große Hausaufgaben zu erledigen,
aber in welchem Land wäre das nicht so?
Arbeitslosigkeit
Ein zentrales Thema und ein Kernargument für die Schwäche
Deutschlands sind die rund vier Millionen Arbeitslosen - für jeden
Betroffenen tragisch. Dennoch ist die Arbeitslosigkeit ein schwaches
Argument. Warum?
Die Statistik der Arbeitslosigkeit ist bekanntlich ein Minenfeld.
Wenn man die höchsten Ziffern nimmt, hat Deutschland - West und Ost
zusammengezählt - 4,42 Millionen Arbeitslose. Hier sind 1,03
Millionen ABM-Personen eingerechnet. 1,738 Millionen Arbeitslose
sind in den ostdeutschen Bundesländern zu verzeichnen. Sie können
weder der Politik noch der Wirtschaft angelastet werden. Sie sind
Folge von 50 Jahren DDR-Kommunismus. Kein Land der Welt könnte mit
diesen Problemen besser fertig werden als Deutschland. Obwohl die
Fortschritte groß sind, reichen auch zehn Jahre und Milliarden nicht
aus, um sie zu lösen.
Es bleiben 2,67 Millionen Arbeitslose im Westen. Von diesen dürften
rund eine Million (wahrscheinlich sind es mehr) nicht arbeiten
können oder nicht wollen. Wie hoch die Quoten in den beiden
Kategorien sind, ist schwer zu bestimmen. Es ist - Klardenkende
haben es immer gesagt - schlichtweg eine Illusion zu glauben, dass
man alte Berufe in nennenswertem Umfang in neue Berufe umschulen
kann.
Die wenigen Fälle, wo das gelang, geben nicht Hoffnung, sondern sind
ein Beweis für die These. Das ist der Preis für den technischen
Fortschritt und für die Umgestaltung der Industriegesellschaft zu
einer Wissensgesellschaft. Und dass die deutschen Sozialgesetze, so
wie in jedem Land, auch ausgenützt werden können von jenen, die
nicht arbeiten wollen, obwohl sie könnten, ist kein Geheimnis.
Es bleibt also die echte Arbeitslosigkeit. Sie beträgt rund 1,7
Millionen. Es sind Menschen, die sowohl arbeiten können als auch
wollen - und dennoch keinen Arbeitsplatz bekommen. Das sind rund 4,5
Prozent.
Das ist kein Grund zu jubeln, aber damit ist Deutschland keineswegs
das Schlusslicht Europas, sondern gehört zu den Ländern mit der
niedrigsten Arbeitslosigkeit. Auch im geschichtlichen Vergleich ist
das eine gute Quote, denn im Gegensatz zu früher suchen viel mehr
Frauen nach Arbeit. Wäre das nicht so, hätte Deutschland einen
veritablen Arbeitskräftemangel.
Beschäftigungsquote
Um ein Gesamtbild zu bekommen, darf aber nicht nur gefragt werden,
wie viele Personen arbeitslos sind, sondern es muss auch gefragt
werden, wie viele beschäftigt sind. Die Beschäftigungsquote liegt in
Deutschland 2002 bei geschätzten 69,4 Prozent; im Jahr 2001 waren es
68,6 Prozent. Sie ist seit 1995 jedes Jahr gestiegen. Der
Durchschnitt der EU liegt 65,0 Prozent. Deutschland liegt damit zwar
nicht an der Spitze, aber gut im Mittelfeld. Frankreich, Spanien und
Italien sind deutlich schlechter.
Damit plädiere ich nicht für politische Untätigkeit, sondern dafür,
die Proportionen richtig zu sehen. Und jene, die das
Arbeitslosigkeitsargument ständig strapazieren, sollten die Zahlen
etwas genauer studieren.
Schwarzarbeit
Nach Schätzung von Fachleuten wird mit Schwarzarbeit rund 15 Prozent
des deutschen Sozialproduktes erwirtschaftet. Zählt man diese
Wirtschaftsleistung zur offiziellen hinzu, steht Deutschland
hervorragend da. Der Finanzminister mag sich ärgern. Dennoch ist
diese Wirtschaftsleistung erbracht und real. Sie gehört mit zur
Wohlstandsbeurteilung.
Wiedervereinigung
Kein anderes Land der Welt hat ein ähnliches Problem wie die
deutsche Wiedervereinigung zu lösen gehabt. Die meisten anderen
Länder wären massivst überfordert gewesen. Keine Wirtschaft der Welt
musste die Leistung erbringen, um so etwas zu bewältigen.
Europa
Deutschland hat maßgeblich die europäische Integration bezahlt. Über
große Strecken hat Deutschland genauso viel bezahlt, wie alle
anderen Nettozahlerländer zusammen. Ob diese Zahlungen Investitionen
oder Kosten sind, kann lange diskutiert werden. Der Return ist
schwer messbar. Die Leistung wurde jedenfalls erbracht.
Wachstum und Größe
Deutschland, wird gesagt, sei wachstumsbezogen das Schlusslicht
Europas. Kann sein, aber auch die Wachstumsstatistik ist ein
Minenfeld. Wie auch immer man misst, ist Deutschland die drittgrößte
Wirtschaft der Welt, und, wie der Economist schreibt, eine der
fortgeschrittensten der Welt. Die beiden nächsten europäischen
Ã-konomien - England und Frankreich - sind um rund ein Drittel
kleiner - jedenfalls von Deutschland aus gerechnet. Nach
Berechnungen der Länder selbst sind sie um die Hälfte größer.
Die Menschen leben nicht von den Wachstumsraten, sondern vom
absoluten Sozialprodukt. In der 2002-Ausgabe der Economist World
Figures rangiert Deutschland mit seinem Lebensstandard auf dem
elften Rang. Das könnte besser sein. Aber die anderen großen
europäischen Staaten liegen deutlich dahinter. Wenn man die eher
exotischen Spitzenreiter, wie Luxemburg, die Bermudas, Island und
Singapur herausnimmt, dann rangiert Deutschland auf Platz sieben.
Diese Position ist kein Grund zur Trauer.
Bei all dem ist zu berücksichtigen, dass die ostdeutschen
Bundesländer die Gesamtzahlen statistisch deutlich nach unten
ziehen. Der Leistungsausweis wäre ohne Ostdeutschland massiv höher.
Es gibt Meinungen von Ã-konomen, wonach das bald anders werden soll
und der Osten Deutschlands stärker wachsen wird als bisher und sogar
stärker als der Westen. Damit würde die Gesamtleistung entsprechend
besser.
Noch einmal - für jene, die unermüdlich den Zeigefinger heben: es
sind Hausaufgaben zu machen und sie sind groß; und die nächsten
Jahre werden schwierig sein. Aber von Deutschland so zu reden, als
wäre es das Armenhaus Europas, ist falsch. Aus falscher Diagnose
folgt selten eine richtige Therapie.

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