- Fundsache - die Vertreibung des Kapitals - Baldur der Ketzer, 19.11.2002, 22:54
- Re: Fundsache - die Vertreibung des Kapitals - Francois, 19.11.2002, 23:38
Fundsache - die Vertreibung des Kapitals
-->Die Vertreibung des Kapitals
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Von Jürgen Dunsch
Die Wirtschaftswelt in Deutschland könnte wieder zu einer Wirtschaftswunderwelt werden. Und so stellt sich der Traum vom Wandel dar: Ausgabenkürzungen des Staates, Steuersenkungen, mäßige Sozialabgaben und eine kräftig gestutzte Bürokratie reizen zum Investieren. Junge Unternehmensgründer, gestandene Mittelständler und potente Großinvestoren aus dem In- und Ausland spüren, daß sich das wohlhabende Land nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als Produktionsstandort empfiehlt. Weil die Leute mehr Geld in der Tasche haben und bei ihrer eigenen Vorsorge sorgsam rechnen, verschwindet die Angst vor dem Konsum.
Zugleich belebt sich der Außenhandel: Die durch den Investitionsschub erzeugten Produkte und Dienstleistungen finden ihren Weg auf den Weltmarkt, während andererseits vermehrt das eingeführt wird, was woanders preiswerter hergestellt werden kann.
Jedermann weiß: Unter der rot-grünen Bundesregierung entfernt sich die Realität immer weiter von diesem Bild. Wer sich in den Unternehmen umhört, ist überrascht von dem Ernst, mit dem Investitionsentscheidungen zugunsten des Auslands, Produktionsverlagerungen, ja sogar Unternehmenssitz- und Wohnsitzwechsel erörtert werden.
Nicht alles davon wird bei näherer Betrachtung in die Tat umgesetzt werden. Aber der kürzlich veröffentlichte"Freiheitsindex" der amerikanischen Heritage Foundation nennt die Malaise beim Namen. Der verkrustete Arbeitsmarkt, die exorbitanten Staatsausgaben und die hohen Kosten der öffentlichen Verwaltung schnüren den unternehmerischen Tatendrang ein.
Die wahrscheinlich 42000 Insolvenzen in diesem Jahr haben als Ursache nicht nur falsche Geschäftsmodelle und brüchige Finanzierungsgrundlagen, sondern auch die staatliche Gängelung, die vor den ersten Umsatzeuro fünfzehn Behördengänge setzt.
Unterentwickelte Länder zeichnen sich durch einen Überhang an Arbeitskräften bei gleichzeitigem Mangel an Kapital aus.
Entsprechend steuern bei Gemeinschaftsunternehmen in Entwicklungsländern die Unternehmen der Industriestaaten Kapital und Wissen und die Zielländer Arbeitskräfte bei. Die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland ging bisher mit einem reichlichen Kapitalangebot einher. Aber die Investitionen verengen sich immer mehr auf die Sicherung des woanders erzeugten Absatzes. Der Rest der Investoren wartet ab, flieht aus dem Land oder kommt gar nicht erst hierher.
Schon im laufenden Jahr will rund ein Drittel aller Unternehmen in Deutschland die Investitionen kürzen. Aufgrund der aktuellen Entwicklung dürften es noch bedeutend mehr werden. Dies hat auch mit psychologischen Faktoren, konkret einer Politik zu tun, die der Diffamierung von Kapital, sei es bei Übernahmeversuchen oder dem Neid gegen"die Reichen", Vorschub leistet.
Wenn Frank Bsirske, der Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, sagt, die Regierung schone die Reichen und wolle den Müllmann die Zeche zahlen lassen, dann dürfte er sich der Unterstützung in großen Teilen von Rot-Grün sicher sein können.
Manche meinen, wenn Private und Unternehmen als Investoren ausfallen, müsse der Staat einspringen. Er wisse im Grunde sowieso am besten, wohin die Mittel fließen müßten. Nichts führt mehr in die Irre als diese Behauptung. Wenn der Staat seine Investitionsmittel nicht über höhere Schulden beschafft, muß er sie zuvor seinen Bürgern wegnehmen.
Und worauf gründet sich die höhere Weisheit des Staates als Investor? Schnell vermengen sich vielleicht gute Absichten mit politischen Rücksichten, der Bedienung der eigenen Wählerbasis, Gerechtigkeitsideologien, regionalen Rücksichtnahmen und koalitionsinternen Tauschgeschäften. Das Ende sind Investitionsruinen wie der Lausitzring oder Projekte als bloße Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
Tragfähige Investitionen entspringen nicht dem als Gutmenschentum verbrämten Wohlfahrtsstaat, sondern der Geradlinigkeit, ja auch Rücksichtslosigkeit des kühl kalkulierenden Kaufmanns.
Er lenkt seine knappen Mittel nicht dorthin, wo sich der Sozialstaat profilieren kann, sondern wo der größte betriebswirtschaftliche Nutzen winkt. Dies erst schafft dauerhafte, weil sich rechnende Arbeitsplätze.
Alle Politiker sagen mit Recht, daß die Lösung der meisten Probleme von einer Beseitigung der hohen Arbeitslosigkeit abhängt.
Das Hartz-Modell mag die Vermittlung in vorhandene Arbeitsplätze erleichtern, neue Arbeitsplätze schafft es nicht. Der Baustein"Kapital für Arbeit" reizt zu Mitnahmeeffekten, da er eine Arbeitsplatzsubvention ist. Um das Stellenangebot zu vergrößern, muß vor allem mehr Kapital mobilisiert werden.
Was aber geschieht in Berlin? Der Steuerabzug früherer Verluste, die Unternehmen vor allem in den Anfangsjahren erwirtschaften, wird begrenzt. Dort hat es wenigstens in letzter Minute eine bedeutsame Veränderung gegeben.
Dasselbe gilt für die Besteuerung von Holdinggesellschaften, die die Koalition mit ihrem anfänglichen Plan auf jeden Fall ins Ausland getrieben hätte. Erleichterungen zur Verbesserung der international jämmerlichen Eigenkapitalbildung sind indes weiter nicht zu sehen. Inländische Anleger sehen sich der Einführung einer Wertzuwachssteuer auf Wertpapiere und Immobilien gegenüber, ausländische Investoren machen wegen des steigenden staatlichen Drucks - die Kontrollmitteilungen der Banken sind nur ein Symptom - einen Bogen um das Land.
Schon suchen qualifizierte Arbeitskräfte vermehrt eine Beschäftigung im Ausland, vorzugsweise in den Vereinigten Staaten und in Fernost. Sprachschwierigkeiten, die für frühere Generationen einen Hemmschuh bildeten, bestehen nicht mehr.
Die vielen Politiker und Gewerkschaftsführer, die weniger polyglott sind, scheinen das nur noch nicht gemerkt zu haben.
Was hierzulande not tut, ist in erster Linie ein Befreiungsschlag für Investitionen - durch einen liberalen Arbeitsmarkt, durch eine Förderung der Kapitalbildung, durch weniger Bürokratie. Was tatsächlich geschieht, ist das Gegenteil.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.11.2002, Nr. 269 / Seite 11

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