- Quousque tandem, lieber Gerhard? - dottore, 22.11.2002, 17:17
Quousque tandem, lieber Gerhard?
-->Parteien/SPD/FEA/
(Nachrichtenfeature - Neu: Sonntagsfrage, Müller)
Vertrauen verspielt - SPD sackt in Umfrage unter 30 Prozent - Interne
Kritik hält an - Kanzler Schröder hält sich zurück
--Von ddp-Korrespondentin Katharina Ugowski--=
Berlin (ddp). Gerade einmal zwei Monate nach ihrem hauchdünnen Wahlsieg haben die Sozialdemokraten von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) jeglichen Vertrauensvorschuss bei den Wählern verspielt. Wie das Meinungsforschungsinstitut Emnid am Freitag mitteilte, würden derzeit nur noch 29 Prozent SPD wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. 48 Prozent gäben ihre Stimme der Union. Das ist der bisherige Jahrestiefpunkt für die Sozialdemokraten.
Obendrein könnte Niedersachsen für die SPD verloren gehen. Angesichts dieser miserablen Umfragewerte reißt die interne Kritik am Kurs der Bundesregierung nicht ab. Diesmal meldete sich der hessische SPD-Chef Gerhard Bökel, der seine Felle für die Landtagswahl am 2. Februar 2003 davonschwimmen sieht, mit einer Mängelanalyse zu Wort. Schröder hielt sich indes weitgehend bedeckt.
Das"Gefeilsche" um strittige Punkte im rot-grünen Koalitionsvertrag habe"wie auf einem Jahrmarkt" gewirkt, kritisierte Bökel. Die SPD mache auf Bundesebene nicht deutlich, was sie genau wolle. Bökels Urteil:"Da ist keine politische Linie erkennbar." Er hoffe aber, dass die"technische Umsetzung" des Koalitionsvertrages angesichts der bevorstehenden Wahlen bis Weihnachten beendet sei.
Bökels ebenfalls wahlkämpfender Parteifreund, Niedersachsens Regierungschef Sigmar Gabriel (SPD), muss auch vor dem 2. Februar zittern. Wenn schon an diesem Sonntag in Schröders Stammland gewählt würde, entschieden sich 43 Prozent der Wähler für die CDU, nur 34 Prozent für die regierenden Sozialdemokraten, ermittelte Emnid.
Das ist ein Minus von acht Prozentpunkten für die SPD binnen eines Monats. Noch rasanter, nämlich um 38 Punkte, stürzten die Genossen in der politischen Stimmung ab: Auf die Frage, für welche Partei in Niedersachsen die Stimmung derzeit besonders günstig sei, nannten 61 Prozent die CDU (plus 32) und nur 13 Prozent die SPD. Offenbar lasten die Wähler die"Grausamkeiten" der Regierungspolitik in Berlin einzig der SPD an. Die Grünen kamen in der Umfrage mit einem Plus von fünf Punkten auf satte zwölf Prozent. Was wenig nützt, hätte doch Schwarz-Gelb drei Punkte Vorsprung vor Rot-Grün.
Obendrein plädiert inzwischen fast jeder zweite Deutsche für Neuwahlen, wie Emnid herausfand. SPD-Chef Schröder scheint von all dem relativ unbeeindruckt. Hochkomplexe Fragen könne man nicht in allen Details in der Partei diskutieren, sagte der Kanzler, was ihm als Zurückweisung der internen Kritik ausgelegt wurde. Komplexe Fragen wie Renten und Gesundheit ließen sich nicht in Parteitagsbeschlüssen bis in alle Details regeln."Das wird in meiner Partei auch verstanden", zeigte sich Schröder überzeugt.
Sein Lieblingsinstrument in schwierigen Zeiten, das Machtwort, will der Parteichef offenbar noch nicht einsetzen. Vize-Regierungssprecher Thomas Steg antwortete auf die Frage, ob und wann der Kanzler"auf den Tisch haut": Mit Kabinettsbeschlüssen und Beratungen im Bundestag zu früher kontroversen Fragen sei inzwischen in vielen Punkten Klarheit geschaffen worden. Damit könne sich ein"demonstratives auf-den-Tisch-hauen" vielleicht erübrigen.
SPD-Fraktionsvize Michael Müller sieht das anders und wurde seinerseits sehr deutlich. Als"Besserwisser" kanzelte er die Kritiker ab. Die sollten ihm doch erst mal erklären, wie sie mit der schwierigen Situation fertig geworden wären. Immerhin räumte er ein, die Koalition habe"nicht ausführlich deutlich gemacht, in welcher Situation wir stehen". Müllers Konsequenz ist aber nicht die sozialdemokratische Nabelschau, sondern mehr Problembewusstsein."Der tiefste Einschnitt der letzten 50 Jahre" stehe bevor. (Quellen: Bökel in"Die Welt"; Schröder in der ARD; Müller im F.A.Z. Businessradio; Sonntagsfrage Bund für n-tv; Umfrage Niedersachsen laut"Focus Online"; Neuwahlen-Umfrage für die"Bild-Woche")
ddp/kug/kos 221509 Nov 02

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