- nachlese - orwell, 22.11.2002, 18:03
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Alles Quatsch
Von Harald Neubauer
Lügen haben kurze Beine? Nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Wenn der Kanzler wieder einmal erklärt, weshalb er gar nicht daran
denkt, Wahlversprechungen einzuhalten, schiebt ihm eine fürsorgliche
Bildregie einfach ein Podest unter die Füße (siehe N&E- Titelphoto).
Dem Publikum wird nur der Oberkörper gezeigt: Kleiner Mann, ganz groß
- peinliche Assoziationen überragend.
Über die optische Trickserei könnte man schmunzelnd hinwegsehen,
symbolisierte sie nicht beispielhaft die Mediendemokratie und ihren
Umgang mit der Wahrheit. Die Realität ist längst der Vorspiegelung
falscher Tatsachen gewichen. Kleines wird großgemacht und Großes
klein. Lug und Trug auf sämtlichen Kanälen. Fauler Zauber und eine
Propagandainszenierung nach dem zynischen Motto: Wo die Inhalte
egal sind, brauchen auch die Bilder nicht zu stimmen.
56 Prozent der Deutschen fühlen sich, laut Forsa- Umfrage,"von
Rot-Grün betrogen". Und das schon wenige Wochen nach der
Bundestagswahl. 67 Milliarden Euro sollen die Bundesbürger in den
nächsten vier Jahren zusätzlich aufbringen, obwohl sich Gerhard
Schröder noch wenige Tage vor der Wahl beim Thema
Steuererhöhungen festgelegt hatte:"Das kann man ausschließen!"
Jetzt mutet derselbe Schröder dem Volk Belastungen zu, wie es sie seit
dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hat. Mit den Steuern steigen die
Sozialabgaben. Vor der Wahl hatte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt
beteuert: Die Beiträge bleiben stabil. Wer's glaubt, wird selig. Ob
Krankenkassen oder Renten: Überall kreist der Pleitegeier. Zugleich
sinken die Versicherungsleistungen. Selbst die Toten fleddert man -
durch Halbierung des Sterbegeldes.
Und wozu das alles? Zur Haushaltssanierung? Im Gegenteil. Die
Staatsverschuldung steigt unter"Sparkommissar" Eichel auf neue
Rekordhöhen und wird der Bundesrepublik einen blauen Brief aus Brüssel
bescheren. Die ohnehin kümmerlichen Konjunkturprognosen wurden
gleich nach der Wahl zurückgeschraubt, und die Massenarbeitslosigkeit
soll nicht etwa beseitigt, sondern nach den Vorschlägen der
Hartz-Kommission"besser organisiert" und"statistisch bereinigt"
werden. Nirgendwo ein ernsthafter Reformansatz, ein Ausweg aus der
Krise.
"Ich glaube, daß Millionen von Menschen sich heute verarscht fühlen
müssen", schimpft Edmund Stoiber, der gescheiterte Kanzlerkandidat
der Union. Und der rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Christoph Böhr
spricht sich dafür aus, Wahlversprechen beim Bundesverfassungsgericht
einklagbar zu machen. Ein solches Gesetz wird natürlich nicht kommen,
weil sonst die hierzulande Regierenden ihre Parteitage im Gefängnis
abhalten müßten.
Eine Übertreibung? Schön wär's. Was deutsche Politiker ihrem Volk
antun, hat längst kriminelle Qualität. Stichwort Krankenkassen: Alle
reden über die Defizite - und kaum jemand über die Ursachen. Eine
Ausnahme machte jetzt der Vorsitzende des Bayerischen
Hausärzteverbandes, Dr. Wolfgang Hoppenthaller. Er verwies auf
ausländische"Gesundheitstouristen", die von ihren in Deutschland
lebenden Angehörigen und Freunden illegal mit"wandernden Chipkarten"
ausgestattet werden. Hoppenthaller:"Die Zahlen sind bestimmt so
hoch, wie das aktuelle Defizit der gesetzlichen Krankenkassen."
Und was machen Ulla Schmidt und ihresgleichen dagegen? Nichts. Dabei
ließe sich der Mißbrauch sofort abstellen, indem man die Chipkarte mit
Photo oder Fingerabdruck des Versicherten ausstattet. Dazu bedürfte
es allerdings Politiker, die ernsthaft Schaden vom deutschen Volk
wenden und seinen Nutzen mehren wollen. Wer einen solch
eidesgetreuen Polit-Wolpertinger auftreibt, müßte als Finderlohn ein
Kanzler-Jahresgehalt bekommen. Mindestens.
Wundert sich jemand, warum Hoppenthallers Befund weder in der
"Tagesschau" noch in"heute" zur Sprache kam? Nun: Es war einfach
kein Sendeplatz mehr zwischen dem umgekippten Fahrrad in Peking und
der Niederlage des HSV. Die Regie achtet nicht nur sorgfältig auf die
Beinlänge des Kanzlers, sondern auch auf die politischen Prioritäten.
Abgängige Krankenkassen-Milliarden würden erst interessieren,
tauchten sie beispielsweise auf in Möllemanns
Wahlkampf-Portemonnaie. Ansonsten: Bitte keine Fremdenfeindlichkeit!
So bleibt uns denn der große Medienapparat aus volkspädagogischer
Rücksicht folgende Feststellung schuldig: Addiert man alle Gelder, die
ins Ausland oder an Ausländer abfließen, kommt man auf einen Batzen,
mit dem sich mühelos eine 10prozentige Steuer- und Abgabensenkung
finanzieren ließe. Doch genau das ist der Punkt, über den - fast -
niemand spricht. Nicht einmal die Opposition im Wahlkampf. Um so
leichter tat sich Schröder, den Bürgern einen"deutschen Weg"
vorzugaukeln. Was davon nach der Wahl geblieben ist? Überlassen wir
einem Sachverständigen die Antwort:"Es gibt keinen deutschen Weg",
sagt Joschka Fischer."Vergessen Sie das! Alles Quatsch."

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