- Zeit-Fragen: US-Regierung will keinen Frieden - stocksorcerer, 28.11.2002, 19:04
- Re: Zeit-Fragen: US-Regierung will keinen Frieden - kingsolomon, 28.11.2002, 21:11
Zeit-Fragen: US-Regierung will keinen Frieden
-->Hallo zusammen,
altbekanntes Thema mit einigen schön dargestellten Facetten in der zweiten Hälfte. Ich finde, das Lesen lohnt.
------------------
US-Regierung will keinen Frieden - sie will Krieg!
von Karl Müller, Deutschland
Auch nach der Verabschiedung der Resolution 1441 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen hat die Regierung der Vereinigten Staaten keinen Abstand von ihren Kriegsplänen genommen. Die Resolution des Sicherheitsrates wird kein Damm gegen einen solchen Krieg sein - im Gegenteil.
«Die Resolution 1441 mit dem provokativ verschärften Abrüstungs- und Kontrollsystem, dessen Text voller gewollter Ungenauigkeiten ist, seiner Konstruktion Ðerheblicher Verletzungenð beliebiger Irak-Resolutionen, den Bemühungen, die ständigen Bombardierungen des Irak zu rechtfertigen und der unbestimmten Drohung mit ernsthaften Konsequenzen lässt viele Wege zum Missbrauch offen.» Das ist das Fazit einer ausführlichen Analyse der neuesten Sicherheitsratsresolution, die der Völkerrechtler Bernhard Graefrath, ehemaliges Mitglied der Völkerrechtskommission der Uno, erstellt hat.
Schon spricht die US-Regierung von einer «erheblichen Verletzung» der Sicherheitsrats-resolution. Sie meint damit den Beschuss amerikanischer und britischer Militärflugzeuge über den von der US-Regierung selbstherrlich erklärten Flugverbotszonen für irakische Flugzeuge im Norden und Süden des Irak (vgl. Zeit-Fragen vom 18. November).
«Die Ankunft von Hans Blix in Bagdad wurde ohne Begeisterung im Weissen Haus aufgenommen. Das bleibt darauf fokussiert, Saddam bis März zu stürzen. [...] Von Dick Cheney, dem Vize-Präsidenten, und Donald Rumsfeld, dem Verteidigungsminister, heisst es, sie glaubten, dass die Resolution 1441 viele Nachteile hat und eine mögliche Falle für Herrn Bush sei. Sie sind aber überzeugt, dass diese Falle vermieden und ein Casus belli für den Krieg innerhalb der nächsten Wochen präsentiert werden kann», so die britische Zeitung «Daily Telegraph» am 19. November.
Am selben Tag berichtete der «Guardian» von Intrigen gegen den Leiter der Waffeninspektionen seitens amerikanischer «Falken». Blix wird vorgeworfen, er sei zu schwach, um Saddam Hussein angemessen entgegenzutreten.
Die US-Zeitung «USA Today» titelte am selben Tag: «Die USA hoffen, dass die Inspektoren Beweise finden, damit Krieg geführt werden kann.» Und sollte der Irak am 8. Dezember (der Tag, bis zu dem die irakische Regierung erklären muss, welche Massenvernichtungswaffen und Einrichtungen zu deren Produktion sie hat) verneinen, Massenvernichtungswaffen zu besitzen, so sei auch dies ein Kriegsgrund. Denn die US-Geheimdienste behaupten, dass der Irak solche Waffen besässe. Deshalb würde der Irak mit einer Verneinung des Besitzes von Massenvernichtungswaffen nach Meinung der US-Regierung gelogen und sich einer «erheblichen Verletzung» der Sicherheitsratsresolution schuldig gemacht haben. «Militär-Experten und auch einige Offizielle aus dem Pentagon haben geäussert, dass Mitte Dezember ein günstiger Zeitpunkt für einen Angriff ist», so «USA Today».
Am 21. November titelte die englische Zeitung «Daily Mirror»: «Krieg, was auch immer kommen mag». Die Zeitung zitiert Richard Perle, den neokonservativen Präsidentenberater und Leiter des «Defence Policy Board», eines wichtigen Beratungsgremiums im US-Verteidigungsministerium. Danach werden die USA den Irak angreifen, selbst wenn die UN-Inspektoren keine Waffen finden. Die Aussage eines einzigen «Zeugen» für ein Waffenprogramm Saddam Husseins reiche nach Perle für einen Militärschlag. So äusserte er sich gegenüber Mitgliedern des britischen Parlaments. Die Reaktion eines Parlamentsmitglieds: «Präsident Bush will Krieg führen, selbst wenn er nichts findet.» Perle hatte das ganze UN-Inspektionsteam in Frage gestellt: «Ich kann nicht sehen, dass Hans Blix mehr berichten kann, als er wissen kann. Alles, was er wissen kann, ist das Ergebnis seiner eigenen Untersuchungen. Es beweist nicht, dass Saddam keine Massenvernichtungswaffen hat.»
Am 18. November hatte die «New York Times» ausführlich über die weiteren Kriegsvorbereitungen der US-Regierung berichtet:
Die türkische und die israelische Regierung sollen davon abgehalten werden, sich direkt am Krieg zu beteiligen. Um türkische Bedenken wegen eines unabhängigen und kurdischen Nordiraks zu zerstreuen, sei der neuen türkischen Regierung zugesagt worden, dass mit dem Krieg sogleich die irakischen Ã-lfelder um Kirkuk im Norden des Irak von US-Truppen besetzt werden sollen. Zudem werde Druck auf die EU ausgeübt, der Türkei Beitrittsverhandlungen anzubieten. (Schon hat der deutsche Aussenminister Fischer letzte Woche eine dementsprechende Rede gehalten.) Zum Ersatz für den Handelsausfall mit dem Irak wurde der Türkei eine Milliardenhilfe der USA zugesagt. Israels Eingreifen in den Krieg solle dadurch verhindert werden, dass gleich zu Beginn des Kriegs der Westen des Irak von Spezialeinheiten besetzt wird, die dort nach irakischen Raketenlagern suchen und diese ausschalten sollen. Auch mit der iranischen Regierung wurden Geheimgespräche geführt, um zu verhindern, dass sich während oder nach dem Krieg die Schiiten im Süden des Irak vom Irak lossagen und einen Anschluss an den Iran suchen. Im Gegenzug erwarte der Iran von der US-Regierung die Freigabe eingefrorener Konten in den USA in Milliardenhöhe. (Die Verhandlungen über einen solchen schmutzigen Deal laufen unter anderem in der Schweizer Botschaft im Iran. Statt für den Frieden zu vermitteln, wird die Schweiz zur Kriegspartei.)
Die informell erhaltenen Zusagen zentralasiatischer Staaten und von Staaten am Golf wie Kuwait und Katar über Überflugsrechte und die Nutzung von Militärbasen werden derzeit in formelle Verträge gegossen.
Panzer und schwere Waffen für mehr als 30000 Soldaten sind schon in der Golfregion. Das noch benötigte zusätzliche Material kann innerhalb von drei bis vier Wochen die Golfregion erreichen.
Höhergestellte Vertreter des Militärs gehen davon aus, dass die für einen Angriff geplanten 250000 Soldaten innerhalb von 30 Tagen nach einem entsprechenden Befehl des Präsidenten vor Ort sind.
Schon vorletzte Woche hat Präsident Bush den Plan gebilligt. Nun sollen die anderen Nato-Staaten zu Kriegsbeteiligung gedrängt werden. Die US-Regierung hat während des Nato-Gipfels in Prag letzte Woche offizielle Anfragen an die britische und auch an die deutsche Regierung gerichtet und alle Nato-Mitglieder aufgefordert, sich «Gedanken darüber zu machen, wie sie sich an einem eventuellen Krieg gegen den Irak beteiligen wollen».
* * *
Jede neue Nachricht über die Kriegsvorbereitungen der US-Regierung ist ein Schlag ins Gesicht. Es ist so über alle Massen unerträglich geworden zu sehen, wie sich diese Regierung und die hinter ihr stehenden Kreise über alles hinwegsetzen, was sich die Menschheit seit dem Dreissigjährigen Krieg mühsam errungen hat: das Völkerrecht und die Menschenrechte; den Grundsatz, Konflikte mit friedlichen Mitteln und am Verhandlungstisch auszutragen; die Achtung vor der Souveränität und Gleichrangigkeit aller Staaten und Völker.
Vor den deutschen Bundestagswahlen hat es Stimmen gegeben, welche die Politik der US-Regierung mit der Politik der römischen Cäsaren oder gar mit der Politik Adolf Hitlers verglichen haben. Aber das Ergebnis dessen, was die Cäsaren und was Hitler in der Welt anrichteten, wird wie ein Vorhof erscheinen zu der Hölle, die der Menschheit droht, wenn diejenigen Kreise in den USA, welche die Welt mit Kriegen neu gestalten wollen und dies als Endkampf zwischen «Gut» und «Böse» betrachten (Artikel von William Engdahl in Zeit-Fragen vom 11. November), ihre finsteren Pläne in die Tat umsetzen können. In einer Zeit atomarer, chemischer und biologischer Massenvernichtungswaffen ist die Menschheit als Gattung bedroht. Und der allgegenwärtige Terror mit dem drohenden Einsatz solcher Waffen ist fürchterlich.
14 Staatenvertreter im Weltsicherheitsrat haben versagt, als sie der US-Regierung keinen Riegel geschoben haben, sondern - aus welchen Motiven auch immer - einen höchst fragwürdigen Beschluss gefasst haben, der die Tür zum Krieg nicht schliesst - im Gegenteil. Ist es eigentlich den Vertretern dieser Staaten bewusst, dass sich auch der mitschuldig macht, der nicht deutlich nein sagt?
Und Europa? Vergangene Woche tagte die Nato in Prag. Sieben Staaten Nordost- und Südost-Europas sollen Mitglied der Nato werden, einer Staatengemeinschaft, die sich spätestens mit dem Kosovo-Krieg und ihrem neuen strategischen Konzept vom April 1999 zu einem völkerrechtswidrigen Angriffsbündnis gewandelt hat. Nun ist beschlossen worden, eine «schnelle Eingreiftruppe» von über 20000 Soldaten aufzustellen: eine mit schrecklichen Mordwaffen ausgerüstete Elite-Einheit, die eine Antwort «auf die neuen Herausforderungen» sein soll, was heisst: Diese neue Truppe soll überall auf der Welt mit «preemptive strikes», also völkerrechtswidrigen Angriffskriegen, den Krieg in die Länder der Welt tragen. Keine Regierung hat widersprochen, die rot-grüne deutsche Regierung hat mit ihrer Zustimmung in Prag die deutsche Verfassung gebrochen - wieder einmal. Das also ist von den «Friedensreden» von Fischer und Schröder zu halten! Was kann man auch erwarten von Gestalten, die so erpicht darauf sind, dem neuen Kaiser devot die Hand zu schütteln? Wie grotesk, dass solche Szenen Schlagzeilen wert sind, während die Opfer der finsteren Pläne ausgeblendet werden.
Die Opfer sollen wir sein, die Bürger, die Menschen in allen Ländern der Welt - wenn wir nicht... Gibt es eine Perspektive?
Die Lage ist bitterernst. Aber wir Menschen können uns gegenseitig unterstützen, indem wir das Leben stärken, unsere Würde wirklich ausfüllen, für das Leben kämpfen und das Überleben sichern. Kein Tag sollte vergehen, an dem wir nicht den Prinzipien des Lebens folgen, uns mit dem anderen Menschen verbinden, Mitmenschen Mut machen und mit aller Kraft menschlich und vernünftig nach sinnvollen Formen des Widerspruchs gegen Gewalt und Krieg und nach Wegen des Überlebens suchen: für uns, für unsere Familien, für unsere Kinder, für kommende Generationen. Nicht den Kopf in den Sand stecken! Heraustreten aus dem künstlichen Ohnmachtsgefühl! Kein Versuch ist zwecklos in einer Zeit solcher Bedrohungen. Sprechen, sprechen, sprechen und nochmals sprechen: mit jedem Mitbürger, mit Verantwortlichen aus allen gesellschaftlichen Bereichen, mit Behördenvertretern, mit Politikern …
Nur ganz wenige Menschen haben ihr Mitgefühl ganz zugeschüttet. Wenn wir es ernst meinen, offen, ehrlich und gleichwertig mit dem anderen sprechen, dann können wir viel mehr erreichen, als wir denken.
Artikel 5: Zeit-Fragen Nr.48 vom 25. 11. 2002, letzte Änderung am 26. 11. 2002
© Zeit-Fragen 2001, Redaktion und Verlag, Postfach, CH-8044 Zürich, Tel. +41-1-350 65 50, Fax +41-1-350 65 51 http://www.zeit-fragen.ch
--------------
winkääää
stocksorcerer

gesamter Thread: