- US-Zivilklagen als Wirtschaftfaktor - susi, 09.12.2002, 18:27
- Re: US-Zivilklagen als Wirtschaftfaktor - Toni, 09.12.2002, 19:08
Re: US-Zivilklagen als Wirtschaftfaktor
-->>Aus der Finanz und Wirtschaft vom Sa. S.13 (Texte leider nicht im Netz):
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Text vom Netz, Firmenabo sei Dank ;-)
Mit GrĂĽssen von Toni
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Lieber Investor
Was soll man jungen Menschen raten, die sich Gedanken darüber machen, welche Studienrichtung ihnen wohl die besten Perspektiven öffnet? Geht man davon aus, dass in ihrer Prioritätenliste vermutlich die materiellen Aspekte vor wissenschaftlichen Meriten stehen, schränkt sich die Zahl der Studienrichtungen rasch ein. Die missliche Konjunktur- und Börsenlage, die Privatwirtschaft und öffentliche Hand gleichermassen zum drastischen Sparen zwingt, hinterlässt auf dem Markt für hochbezahlte Spezialisten Spuren. Noch immer ein sicherer Wert ist die Medizin. Seit aber der Staat die exponentiell steigenden Gesundheitskosten in den Griff zu bekommen versucht und neue Arztpraxen einem Numerus clausus unterliegen, ist dieses lukrative Betätigungsfeld nicht mehr allen zugänglich.
Krisensicher
Auch in der Finanzindustrie wurde in den letzten Jahren viel Geld verdient. Hochschulabsolventen mit einem Abschluss in Volks- oder Betriebswirtschaft fanden rasch gut dotierte Jobs - in der Fondsabteilung, im Research, im Financial engineering als Entwickler derivativer Finanzprodukte. Selbst Mathematiker und Physiker mit einem Flair für die Börse hatten in den Derivateabteilungen beste Aussichten. Das hat sich rasch und gründlich geändert. Seit Wochen liest man auch in der Schweiz immer häufiger von radikalen Kostensenkungsübungen und Entlassungen in den Banken. Private banker, Trader und Informatikspezialisten fallen den Kostenabbauprogrammen zum Opfer, Research- und Derivate-Abteilungen werden den neuen Gegebenheiten des Marktes angepasst. Wenn man den Prognosen Glauben schenken darf, kommt die für die Banken zuvor so lukrative Fondsindustrie als Nächstes an die Reihe, und ein Personalabbau ist offenbar nicht zu vermeiden. Selbst in der Finanzwelt sind somit die Arbeitsperspektiven junger Leute mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluss nicht mehr das, was sie vor kurzem noch waren.
Ein Gebiet hingegen floriert mehr denn je zuvor: die Juristerei. Als Anleger haben Sie immer häufiger, oft täglich direkt oder indirekt mit Anwälten zu tun, ob Sie das wollen oder nicht. Auch als Journalist kommt man - Amerika lässt grüssen - neuerdings nicht mehr an den Juristen vorbei. Jeder Marktbericht, der von einem Banker verfasst wird, muss auch von der Compliance-Abteilung «abgesegnet» werden. Das Gleiche gilt für Interviews, sie müssen ebenfalls vor der Veröffentlichung durch die «Mühlen» der Juristen. Erst wenn nichts mehr Verfängliches, das allenfalls jemandem Anlass für eine Klage geben könnte, im Text steht und alle denkbaren Fussangeln beseitigt sind, kommt die Freigabe.
Um die unzähligen gesetzlichen und behördlichen Auflagen in- und ausländischer Instanzen befriedigen zu können, ist die Schweizer Finanzindustrie auf ein Heer von Juristen angewiesen - Tendenz steigend. Allein um den enormen Papierkrieg mit den amerikanischen Behörden bewältigen zu können, braucht es bald noch mehr juristisch geschultes Personal als Anlageberater! Was die Banken jetzt mit der Entlassung von Analysten und Portfoliomanagern sparen, werden sie in Zukunft für Juristen ausgeben müssen. Macht das alles Sinn? Wer bezahlt die Zeche? Das sind wir alle, als Kunden und/oder als Aktionäre der Banken!
Klassische Wachstumsbranche
Dies ist aber alles noch gar nichts verglichen mit den Zuständen in Amerika. Die horrenden Summen, die die Gerichte den Publikumsgesellschaften als Schadenersatz- und Strafzahlungen zusprechen und die damit selbst den Ruin der Beklagten in Kauf nehmen, sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Darunter zu leiden haben die Aktionäre. Mehrfach wurde in diesen Spalten darauf hingewiesen, dem Aspekt der Klagerisiken in den USA müsse unbedingt Beachtung geschenkt werden.
Doch nicht nur die Privatanleger unterschätzen offenbar die Klagerisiken, auch die europäischen Unternehmen, die direkt in Amerika investieren. Schroder Salomon Smith Barney nahm dieses Thema unlängst unter die Lupe und veröffentlichte dazu eine Studie («Europe - US litigation costs»). Regelmässig unterschätzten die Europäer die Klagerisiken und die juristischen Kosten (Legal costs), die in Amerika anfallen. Es sei gefährlich, die amerikanischen Anwälte und die mit der Abwehr von Klagen entstehenden Kosten zu unterschätzen, schreiben die Autoren. Die Asbestklagen, die auch europäische Unternehmen (ABB zum Beispiel) trafen, dürften dazu geführt haben, dass auf dem Alten Kontinent noch rechtzeitig pendente Übernahmeprojekte in Amerika zurückgestellt wurden.
Zivilklagen sind in den USA ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden. Laut der Studie generieren sie pro Jahr 180 Mrd.$, was 1,9% des Bruttoinlandprodukts oder 70% der Gewinne der S&P-500-Gesellschaften ausmacht. Im Vergleich dazu waren es 1950 erst 0,6 bzw. 1,3% 1970. 2005 sind es bereits 2,4%, wird geschätzt. In den USA sind die Rechtskosten doppelt so hoch wie in den restlichen Industrieländern. Kein Kostenbereich steigt stärker. 70% der Juristen dieser Welt arbeiten in Amerika, wo es einen Anwalt pro 250 Einwohner gibt! Kein Wunder, ist die Klagefreudigkeit der Amerikaner so gross.
Für gewisse Branchen sind in Amerika die Klagerisiken besonders gross. Das schlägt sich in der Bewertung dieser Aktien entsprechend negativ nieder. Die Liste, die Schroder Salomon Smith Barney erstellte, ist so lang, dass besser die Sektoren genannt worden wären, die nicht oder kaum bedroht sind. Beliebte Ziele für Klagen auf hohen Schadenersatz sind die Autoindustrie, die Banken und Versicherungen, die Chemie, Pharma, Bau, Nahrungsmittel, Technologie, Gesundheit und Telekommunikation. Traurig am Ganzen ist der Umstand, dass die «Geschädigten» im Durchschnitt nur 42% der zugesprochenen Schadens- und Strafzahlung erhalten. Der Rest fliesst in die Taschen der Anwälte.
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