- Der dottore über die Schweizer Goldverkäufe mT - Schlangenfuchs, 02.05.2000, 20:20
- Re: Schweizer Goldverkäufe mT (Spitzentext!!) - dottore, 02.05.2000, 21:44
Der dottore über die Schweizer Goldverkäufe mT
Ich fand gestern, als wir hier auf dem Board über den Goldenen Schnitt sprachen, einen alten ('97?) Artikel von dir (Titel: 'Der Goldene Schnitt') im Netz. Ich denke, du hast nichts dagegen, wenn ich ihn hier für andere interessierte Boardteilnehmer nochmals zugänglich mache. Er ist wirklich gut und reichhaltig.
Lassen wir also den dottore sprechen über die Goldbestände der SNB und über Gold allgemein:
"Der goldene Schnitt
Einst galt der Schatz der Nationalbank als sakrosankt. Jetzt soll er gefleddert werden. Der Zweck dieser Übung - die Schweiz-Kritiker mit Milliarden zum Schweigen zu bringen - wäre aber viel einfacher und klüger zu erreichen gewesen.
VON PAUL C. MARTIN
«Gold kauft die Stimme grosser Haufen, kein einzig Herz erwirbt es dir.» Goethe, Lieder
Es war in grauer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat. Die Argonauten, Jason, der Held, voran, zogen aus, um das Goldene Vlies zu holen. Es wurde von einem Drachen bewacht, der niemals schlief. Die Helden meisterten die Aufgabe, raubten das Gold und erhielten ein Reich, Ruhe und Frieden. Das alles zerfiel freilich bald... Es ist in der harten Gegenwart, in der nichts stärker wirkt als wohlinszenierte PR-Kampagnen. Zwischen hohen Bergen bewachen Gnome einen güldenen Schatz. Da schicken die PR-Leute Herolde mit der infamen Kunde, am Gold klebe Blut. Die Gnome, völlig verstört, schaffen rasch den Schatz aus der Höhle, um wieder Ruhe und Frieden zu haben. Wie lange das halten wird, weiss niemand. Gold im Mythos, Gold im Heute. Einmal schlummert es unbeachtet für Äonen, dann weckt es plötzlich alle Leidenschaften, deren Menschen fähig sind - von höchster Opferbereitschaft für andere bis in die tiefsten Niederungen von Neid, Gier, Missgunst. Gold ist ein Schlüsselthema der Menschheit. Der japanische Lebensbaum hat einen goldenen Stamm, ringsum wächst das Gras der Unsterblichkeit. Im Märchen der Gebrüder Grimm vom «Wasser des Lebens» muss der Held mitten über eine goldbetresste Strasse reiten, und nicht etwa bescheiden nebenher, um die Königstochter zu gewinnen. Hagen versenkt das Gold der Nibelungen im Rhein, um es für immer den Blicken zu entziehen. Triumph und Rache, Zukunftsschau und Unsterblichkeit - alles scheint durchs Gold erreichbar zu sein. Vor allem auch: Mit Gold lässt sich seit jeher gut betrügen. Der legendäre König Kroisos, der die ersten Münzen prägen liess, gab die erste Serie seiner ovalen Statere mit über zehn Gramm Gewicht heraus, die zweite mit gerade acht Gramm. Das war die erste Abwertung der Weltgeschichte und der erste Gläubigerbetrug. Die Schweizer Bürger werden in einer Volksabstimmung entscheiden, ob ein Kilo Gold der Nationalbank weiterhin mit 4595 Franken bilanziert werden soll, oder ob man zu jenem Prozedere übergeht, das SNB-Chef Hans Meyer eine «realistischere Bewertung» nennt, «die aber immer noch vorsichtig» sein soll. Im Klartext ist das eine Abwertung des Frankens, die Rede ist von bis zu 50 Prozent, was vice versa einer «realistischen Aufwertung» der Goldreserven um 100 Prozent entspräche. Dies wäre der vorerst letzte Grossbetrug der Weltgeschichte. Die Geprellten sind die 3257 Aktionäre der Notenbank, denen nach den ehernen Regeln von Soll und Haben alle Aktiva der Firma einschliesslich der stillen Reserven zustehen. Die Tage der SNB sind ohnehin längst gezählt, der Liquidator steht schon vor der Tür. In den nächsten vier Jahren kommt der Euro, und ein Dutzend Notenbanken in Europa verschwinden, die Deutsche Bundesbank voran. Das Gold all dieser Institute wird an die Eigentümer ausgekehrt. Sie allein haben das Recht, die stillen Reserven aufzulösen, post festum. Die Vorstellung, die Schweiz könne mitten im Euro-Land ihre Notenbank behalten, ist Folklore. Die neue Europäische Zentralbank in Frankfurt wird eine Geldlawine ausrollen, die den Schweizer Geldumlauf um das Dreissig- bis Vierzigfache übertreffen wird. Den Franken weht die Druckluft weg. Selbstverständlich wird über kurz oder lang auch das Schweizer Geld im Euro aufgehen und die Nationalbank aufgelöst. Die Topleute grosser Investment-Fonds in der EU, die rund 1,5 Billionen verwalten, schocken Zürcher Banker schon mit diesem Szenario: Wir verschieben mal eben 30 Milliarden (also zwei Prozent ihrer Kampfkraft) an die Bankgesellschaft und stellen sie loco Bahnhofstrasse mittags zwölf Uhr in cash fällig. Dann müsste die Nationalbank 100 Lastwagen bereitstellen, um die erforderlichen Noten heranzukarren (falls die überhaupt gedruckt sind). Und sie müsste ohnmächtig zuschauen, wie sich die Schweizer Bargeldmenge innert eines Vormittags verdoppelt. Ha, ha. Das ist ein Alptraum und ein böser Scherz. Und doch: So kommt man ins Gerede, wenn man an seiner Währung fummelt, wie das die Schweizer nun seit Jahren wie die Monomanen tun, und obendrein jenes Phänomen anspricht, das allem Geld und allem Traum zugrunde liegt. Gold, das sollte man im Lande C. G. Jungs gewusst haben, ist der Archetypus, den die alten Griechen Pleonexie nannten - die Gier nach immer mehr. Midas, der dumme Fürst, wünschte, dass alles, was er berühre, sich in Gold verwandeln möge. Das erfüllten ihm die Götter gern, um zu schauen, wie Midas sich am Brot aus purem Gold die Zähne ausbrach. Gold trieb Kolumbus auf den Weg nach Indien, und er schrieb an die allerkatholischsten Könige, Gold sei «unvorstellbar köstlich» und könne alles kaufen, sogar den armen Seelen das Paradies. Kolumbus hatte die öffentliche Meinung falsch eingeschätzt. So musste er schliesslich nicht nur 90, sondern 98 Prozent seines Goldes abliefern und starb verbittert und arm. Vom Gold sprach auch der englische Ã-konom Thomas Mun (1571-1641). Er fabelte von Englands «treasure» und meinte Edelmetall in specie, das durch den Aussenhandel herbeizuschaffen sei. Er wurde zum Vater jenes Merkantilismus, der immer nur den Griff nach dem Metall im Auge hatte, das dann in der «camera», dem allerheiligsten Tresor des Fürsten, verschwinden sollte. Kaufkraftvergleich von Gold und wichtigen Währungen seit 1910. Das Gold schlug alle Währungen mit Abstand, auf Platz zwei der Schweizer Franken. Über der Nullinie lagen nur wenige Währungen, unter anderem die Reichsmark in der Deflation der dreissiger Jahre. Die Deutsche Mark des Kaiserreichs verabschiedete sich in der Hyperinflation 1920 bis 1923 auf Nimmerwiedersehen. Seit Mitte der achtziger Jahre sind alle beteiligten Kombattanten relativ stabil - Resultat eines langen disinflationären Prozesses, der freilich jederzeit in eine Deflation umschlagen kann. Dann würde das Gold unter die Nullinie fallen und die Währungen, voran Franken, Dollar, D-Mark, darüber springen, Ausdruck der Tatsache, dass alles billiger wird, der Geldwert also steigt. Je schlimmer die Zeiten, desto gewaltiger die Gier. Im Ersten Weltkrieg und während der Turbulenzen danach schaufelten die USA den grössten Goldschatz aller Zeiten zusammen, es sollten 14 000 Tonnen werden (heute sind noch 8000 vorhanden). Im Zweiten Weltkrieg waren es die bedrängten Schweizer, die Barren auf Barren häuften (die meisten lagern bis heute in New York und London). So kam es, dass der Franken am Ende des Krieges, als das geschundene Europa Gold nur noch vom Ehering kannte und mit Zigaretten zahlte, immerhin zu 128 Prozent durch Gold gedeckt war (Ende 1967 noch 118 Prozent) - welch sinnloser Schatz! Inzwischen bewegt sich die Deckung auf die 40-Prozent-Marke zu, die jetzt gekippt werden soll, woran die Nationalbank, entgegen immer wieder umlaufenden Gerüchten übrigens, schon seit einem Jahrzehnt arbeitet. So erzählte Alt-Bankchef Markus Lusser im April 1988 anlässlich eines Vortrags in Biel, dass die 40-Prozent-Deckung «zu eng» sei und man daher «eine Übergangslösung» schaffen solle. Wie gut, dass die Schweiz nicht schon damals Gold «realistisch bewertet» und den «Gewinn» an die Bundeskasse ausgekehrt hat. Dann müsste die Solidaritätsstiftung heute aus Steuergeldern finanziert werden. Ob die 40-Prozent-Marke im bargeldlosen Zeitalter von Checks, American Express Gold Cards und E-Cash auch tatsächlich erreicht wird, ist dabei gar nicht untersucht worden. Zweifel sind erlaubt, denn die Notenmenge stagniert. Umlauf 1994: 30,6 Milliarden, 1995: 30,9 Milliarden, 1996: 32,4 Milliarden. Deckung derzeit bei 42,2 Prozent. Gold, das vorgeblich Sinnlose, war immer schon Grund für Strafaktion und grosses Morden. Als Moses vom Berge Sinai zurückkehrte, sah er sein Volk ums Goldene Kalb tanzen. Er büsste den Exzess, indem er an einem Tag 3000 seiner Landsleute abschlachten liess. Den Reformator und Judenhasser Martin Luther riss dieses Prozedere zu furchtbarer Aussage hin («Von den Juden», 1543): «Wie es die treuen Ärzte tun, wenn das heilige Feuer in die Beine gekommen ist, fahren sie mit Unbarmherzigkeit und schneiden, sägen, brennen... Also tue man auch hier. Verbrenne ihre Synagogen, zwinge sie zur Arbeit, und gehe mit ihnen um, nach aller Unbarmherzigkeit, wie Moses tat in der Wüste, und schlug 3000 tot...» Moses wurde für seinen Judenmord nicht zur Rechenschaft gezogen, auch vom Antisemiten Luther spricht heute kein Mensch. Nur die in dieser Hinsicht unbedarfte Schweiz sieht sich über Nacht mit einer Holocaust-Kampagne konfrontiert, die an den Grundfesten des Staatswesens rüttelt. Bundespräsident Arnold Koller hat den Vorgang eingangs seiner säkularen Rede vor der Bundesversammlung festgehalten: «Wir werden mit Vorwürfen, Anklagen, Verdächtigungen und Pauschalurteilen wegen unseres Verhaltens vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg überhäuft... Das Ansehen unseres Landes ist angeschlagen, weil weltweit der Eindruck erweckt wird, die Schweiz habe sich im Krieg bereichert, vom Krieg profitiert und ihre Banken hätten 50 Jahre lang versucht, Vermögen von Holocaust-Opfern zum eigenen Nutzen zurückzuhalten.» Der gemeinsame Nenner dieser Vorwürfe? Gold und Goldgeschäfte. Hätte die Schweiz Hitler Subsidien gezahlt oder gar eine Brigade für seine aberwitzigen Feldzüge zur Verfügung gestellt - das alles wäre vermutlich mit einem internationalen Verweis und einer Einmalzahlung längst abgetan gewesen. Was Koller mit den Worten ausdrückt: «Unterschwellig wird damit geltend gemacht, der schweizerische Wohlstand beruhe im Grunde auf Hehlerei und sei nur auf Kosten anderer möglich gewesen» - das ist nicht konkretisierbar. Solche Anwürfe können nur erduldet und durchlitten werden. «Unter der Schwelle» haben Gewusel und Gewürm ihren Platz, aber keine rational deduzierbaren Prozesse. Da ein Hehler keine Bücher führt und das berühmte «auf Kosten anderer» niemals in Franken und Rappen ausgedrückt werden könnte, gab es auch nur einen Weg, der fatalen Spirale von immer neuen, vermeintlich oder tatsächlich nicht ausgezahlten Konten, von weiteren Goldbarren, die irgendwann irgendwo eine Schweizer Zollstation passiert hatten, von Gerüchten und Repressalien bis hin zum Bankenboykott oder gar der Bankenschliessung in New York zu entkommen: Man musste eine Wiedergutmachungssumme wählen, deren schiere Grössenordnung die «heftige internationale Kritik» mit einem Hieb zum Schweigen brachte. Das ist mit den sieben Milliarden Franken Stiftungsvermögen ohne Zweifel gelungen. Das garstig Lied ist schlagartig verstummt. Nun aber geht es an die Details. Zuvörderst ist zu fragen, ob und in welcher Form denn die sieben Milliarden Stiftungsvermögen ins Leben treten sollen. Am Anfang steht der Bundesratsbeschluss, die Stiftung «mit dem Ertrag aus der Bewirtschaftung jenes Teils der Goldbestände der Nationalbank (zu finanzieren), der nach der sowieso notwendigen Reform der Geld- und Währungsverfassung für andere öffentliche Zwecke zur Verfügung stehen wird.» Dabei wird mit «jährlichen Erträgen in der Grössenordnung von einigen hundert Millionen Franken gerechnet». Wie läuft das ab? Vor allem: Wie könnte es optimal ablaufen? Bisher ist immer nur vom Gold der Nationalbank gesprochen worden. Dabei soll das mit knapp unter 12 Milliarden Franken ausgewiesene Edelmetall «aufgewertet» werden. Dadurch würde die Bilanz verlängert, natürlich auch auf der Passivseite, wo der Aufwertungsgewinn erscheint. Der soll dann ausgekehrt werden. Es gibt aber auch ganz andere, intelligentere Möglichkeiten, die Stiftung mit dem gewünschten Startkapital auszustatten. 1. Die SNB ist wie alle Notenbanken stets liquide, muss sich nicht refinanzieren und kann jederzeit jede Summe auf ihre Aktivseite packen, deren Gegenbuchung auf der Passivseite danach als «Verpflichtung gegenüber der Stiftung» an diese übertragen wird. Als Aktivbuchung halten andere Notenbanken unter anderem «Ausgleichsforderungen», also nicht näher definierte Guthaben gegenüber der öffentlichen Hand. Die Ausgleichsforderung (zum Beispiel gegenüber Bern aus der Errichtung der Stiftung) könnte unverzinslich gehalten werden, so dass man sie vergessen kann. Der Vorteil wäre: das Gold bliebe unangetastet. 2. Die SNB nimmt einen Teil ihrer sich auf fast 50 Milliarden Franken belaufenden «Devisenanlagen», also im wesentlichen die Dollarposition, und überträgt sie der Stiftung. Wozu Gold hergeben, wenn man Papier hat? Die Passivseite ist mit über 30 Milliarden «Rückstellungen für Markt-, Kredit- und Liquiditätsrisiken» (früher «Währungsrisiken») gespickt. Klartext: Mehr als die Hälfte der Devisen ist abgeschrieben. So könnten die Rückstellungen mit einem Federstrich umgewidmet werden. Dann würden eben von den 30 Milliarden 7 Milliarden für die Stiftung zurückgestellt. Die träte mit sieben Milliarden Devisen und sieben Milliarden Wertberichtigung ins Leben. Aus den Devisen flössen die von Koller gewünschten «einigen hundert Millionen Franken» Zinsen, basta. Auch bei diesem Vorgehen bliebe das Gold unangetastet. In der SNB-Bilanz stehen danach noch 43 Milliarden Devisen und 23 Milliarden Rückstellungen - rund 53 Prozent der Anlagen. Ein vorsichtigeres Bilanzieren ist nicht nötig. Der Saldo «Devisen minus Rückstellungen» ist ohnehin nichts anderes als die erwartete Konkursquote der Staaten, aus denen die «Devisen» kommen (84 Prozent Dollar, 12 Prozent D-Mark, 4 Prozent Yen). 3. Die SNB bewertet ihr Gold um die sieben für die Stiftung benötigten Milliarden höher. In der Bilanz erscheint dann unter der Position «Kassa/Gold» statt 12 die Summe von 19 Milliarden. Dazu müsste das Gold der SNB um knapp 60 Prozent aufgewertet werden. Das Kilo stünde nicht mehr mit 4595, sondern mit 7350 Franken in den Büchern. Dies liegt immer noch so weit vom Marktpreis von derzeit 16 000 Franken entfernt, dass keine aktuelle Gefahr der Überbewertung der Bestände gegeben ist. Die verlängerte Aktivseite teilt sich auch der Passivseite mit. Die dort erscheinenden sieben Milliarden «Aufwertungsgewinn» können sofort an die Stiftung übertragen werden. Auch in diesem Falle verliesse kein Gramm Gold die Tresore der Nationalbank! Von diesen drei Möglichkeiten, die Stiftung opulent zu dotieren und gleichzeitig das Gold unangetastet zu lassen, macht die SNB jedoch keinen Gebrauch. Bankchef Meyer meint immer nur, «die Solidaritätsstiftung soll mit einem wesentlichen Teil des Aufwertungsgewinns auf den Goldbestand finanziert werden» und will dazu «einige Milliarden Franken in Gold (!) an die Stiftung übertragen». Weg mit dem Gold - warum? Beobachter des Schweizer Vorgehens werden das Gefühl nicht los, dass man sich des Goldes entledigen will, um nie mehr in den Ruch zu kommen, etwas im Haus zu haben, was zu Unrecht erworben wurde oder an dem - horribile dictu - gar Blut kleben könnte. Seitdem Jean Ziegler mit seinem Buch «Die Schweiz, das Gold und die Toten» die Bestseller-Listen erstürmt, ist ein weiterer Beitrag zu dem herausgekommen, was Koller die «sehr emotional geführte Diskussion» genannt hat. Wird das Gold zum Blutgold oder gar gleich zum Mordinstrument hochstilisiert, kann man in der Tat nicht schnell genug alles aus dem Hause schaffen. Und wenn schon, denn schon. Hans Meyer möchte auch, dass die Stiftung «die ihr zur Verfügung gestellten Goldmenge über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren am Markt veräussert». Dieses Vorgehen erscheint ihm «umsichtig», da es «ohne Marktstörungen» möglich sei. Der SNB-Chef und Spiritus rector des Stiftungsgedankens («Ich habe den Stein ins Rollen gebracht») will mit der Forderung nach solchem Schneckenpost-Prozedere entweder das Volk für dumm verkaufen, oder er kennt den internationalen Goldmarkt nicht. Meyers Kollege Eddie George, Chef der Bank von England, hat gerade erst in einer grossen Studie über den Londoner Goldmarkt ermitteln lassen, dass der durchschnittliche Spotgold-Tagesumsatz am führenden Platz London in drei Stichmonaten (Mai 1991, 1994 und 1996) jeweils erheblich über fünf Millionen Unzen gelegen hat - pro Tag also bei 155 Tonnen! Was der SNB-Chef über zehn Jahre strecken möchte, steckt allein der Londoner Goldmarkt in drei Tagen weg, der Weltgoldmarkt gar in 36 Stunden (siehe nebenstehende Grafik «Marktmacht Gold»). Nimmt man den Goldterminmarkt dazu, jenes Ding, von dem einst Winston Churchill sagte, es sei «ein Mysterium, eingepackt in ein Geheimnis», dann ist das Schweizer Stiftungsgold schlicht in einer Stunde verhökert. Susanne Capano, Edelmetallhändlerin der Commerzbank in London: «Der Goldmarkt wird grotesk unterschätzt. Es ist der grösste Markt nach den US-Bonds weltweit.» Raymond Chan, Chef der chinesischen Gold- und Silbergesellschaft in Hongkong: «Falls die Notenbank Angst hat, machen wir das in Fernost - und keiner merkt es.» Chan schätzt, das Schweizer Gold wäre in spätestens einer Woche versickert. By the way: Das Neuangebot aus Südafrika wird 1997 mit nur noch ungefähr 500 Tonnen erwartet, es hat sich gegenüber den siebziger Jahren halbiert, da ist allemal Platz für eine Fracht aus Zürich. Das Märchen vom überlasteten Goldmarkt ist ebenso unausrottbar wie jenes, dass das Gold «brachliegendes Volksvermögen» sei, das «besser genutzt» werden müsse, wie der «Tages-Anzeiger» in einem Gespräch mit dem SNB-Chef fabulierte, worauf dieser auch gleich artig ansprang. Tatsächlich ist der Gegenwert des Goldes in Form von Noten längst in die Volkswirtschaft gegangen und arbeitet dort seit Jahrzehnten (brach läge das Gold nur, wenn die gegengebuchten und real existenten Noten unter Schweizer Matratzen verschimmelten). Ein zweites Mal den gleichen Betrag auszukehren - nach den auf das Gold gezogenen Noten diesmal noch das Gold selbst -, ist ein Hütchenspielertrick nach dem Motto «You can eat the cake - and keep it». Technisch gibt es diese Möglichkeiten: Variante A: den Goldhort gesamthaft zu lupfen und alles auszukippen. Für die Differenz werden dann Projekte en gros finanziert (zum Beispiel die Neat) - und das war's. Diesen Weg haben schon andere Notenbanken eingeschlagen, zuletzt die von Belgien und Portugal, die beide heute praktisch goldlos dastehen. Selbst der Vatikan hat sich von seinem Gold getrennt, einst 7,5 Tonnen, und trägt nur noch ein Schamhöschen im Gewicht von 1,5 Tonnen vor sich her. Solches Grossreinemachen ist in der Schweiz politisch kaum durchzusetzen. Variante B wäre, das Gold (abzüglich der Stiftungsmilliarden) in der SNB zu belassen und den Aufwertungsgewinn dem Bund zur freien Verfügung zu übertragen (wie die privaten SNB-Aktionäre entschädigt werden, müsste dann noch ausdiskutiert werden). Variante C: Der Aufwertungsgewinn wird nicht ausgeschüttet, sondern dazu genutzt, verzinsliche Anlagen zu erwerben, die dann ihrerseits auf der Aktivseite Platz finden. Dieses Central Bank Farming führt zu Zinseinnahmen, die wiederum laufend ausgeschüttet werden können. Allerdings: Nehmen wir an, der gesamte Goldhort würde um 100 Prozent aufgewertet, um damit US-Bonds zu kaufen, dann müssten diese über kurz oder lang mit der SNB-üblichen Gegenposition «Rückstellung für Risiken» konfrontiert werden, die laut den letzten Bilanzen - siehe oben - über 50 Prozent ausmacht. Oder konkret: Das Gold wird um die Summe X aufgewertet, und die gekauften «Devisen» werden dann um den gleichen Betrag wieder abgewertet. 100 Prozent rauf und 50 Prozent wieder runter gleich null. Wozu dann die ganze Übung? Um über das Gold richtig an Geld zu kommen, müsste das SNB-Metall um 200 Prozent aufgewertet werden. Gold stünde dann mit 13 785 Franken in der Bilanz - gefährlich nahe dem aktuellen Marktpreis, der jederzeit zusammenkrachen kann. Wer eine Goldbaisse für ausgeschlossen hält, sollte nur den Schweizer Markt für Liegenschaften anschauen, der vor sieben Jahren ebenfalls als infallibel galt und heute um bis zu 40 Prozent abgesackt ist. Da verwundert es nicht, dass Altalt-Bankchef Fritz Leutwiler die Idee mit dem Solidaritätsfonds als «wenig durchdacht, falsch finanziert und unklar begründet» abtut. Der Bund würde «geradezu aufgefordert, in die stillen Reserven zu greifen». Der Jüdische Weltkongress, dessen Kritik verstummen zu lassen oberstes Anliegen gewesen sei, wäre auch mit einem Betrag von 350 Millionen zufrieden gewesen, von dem zu den bereits vorhandenen Mitteln (100 Millionen von den Banken, 50 Millionen von der Industrie avisiert) ganze 200 Millionen aus der Nationalbank gekommen wären, die bequem in zwei Tranchen aus den anfallenden laufenden Gewinnen hätten finanziert werden können. Nun geht es also um den zwanzigfachen Betrag und um eine völlige Neuausrichtung der Schweizer Notenbank und ihrer Politik. Und vor allem: Nachdem die Goldnummer durchgezogen wurde, lässt sie sich nie mehr wiederholen. Statt mit einer Steigerung des Goldpreises ist eher mit dessen Absenkung zu rechnen. Deflationstheoretiker wie der Amerikaner Robert Prechter weisen darauf hin, dass es für den Goldpreis keine Garantie nach unten gebe. Die US-Notenbank ist erst bei einem Kurs von 42,22 Dollar, dem seit Nixon geltenden «offiziellen» Preis für Geschäfte der Notenbanken untereinander, gezwungen, Gold unbegrenzt aus dem Markt zu nehmen. Da von den 110 000 Tonnen in der Weltgeschichte bisher geförderten Goldes aus chemotechnischen Gründen nichts verschwunden sein kann und da die Notenbanken, als einzige, die a priori keinen Verkaufsdruck kennen, nur noch 35 000 Tonnen besitzen, ist eine ansatzlose Panik im Goldmarkt jederzeit möglich - ebenso wie das Gegenteil übrigens, die Goldpreisexplosion, sobald das Vertrauen in die Weltwährungen endet. Durch eine Aufwertung der Goldreserven und durch die Minderung der 2600 vorhandenen und in den Kellern von Bern über London bis New York lagernden Tonnen um 400 zu einer Zeit relativ normaler, wenn auch schleppender Konjunktur, begibt sich das Schweizervolk aber auch der wichtigsten Chance, die ein Goldbestand bietet: in Zeiten der Not offiziell aufgewertet zu werden - bei gleichzeitiger Rückkehr zum Goldstandard, also des unbeschränkten An- und Verkaufs von Gold zu einem festgelegten Preis. Offenbar wurde in Bern und Zürich vergessen, dass die Welt in den dreissiger Jahren nur durch eine Welle von Goldauf- und Währungsabwertungen aus der ausweglosen, weil überschuldungsbedingten deflationären Depression gerettet wurde. Das begann 1934, als US-Präsident Franklin D. Roosevelt den Dollar um knapp 70 Prozent abwertete. Die Feinunze Gold stieg von 20,67 auf 35 Dollar. Diese Goldpreiserhöhung wirkte wie ein Konjunkturprogramm - mit einem Unterschied. Die durch die Goldaufwertung gewonnene Kaufkraft war ein für allemal in der Welt und musste nicht - wie bei heutigen, kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen à la Keynes - zurückgezahlt werden! Sollte nach der Neubewertung der goldenen SNB-Reserven ein wirklicher Aufwertungsbedarf entstehen, nicht weil man PR-Aktionen mit PR-Aktionen konterkarieren will, sondern weil man wirklich nichtkreditäres Geld braucht, um Währung und Wirtschaft, Land und Leute zu retten, dann ist also die Schatulle leer. «Nach der Tat hält der Schweizer Rat», hatte Fritz Leutwiler gehöhnt, und in der Tat: Jetzt muss gut überlegt sein, in welchen Limiten operiert werden soll. Fällt die Goldaufwertung zu hoch aus, weil der Damm gebrochen ist und alles finanziert werden soll, was der Goldhort trägt, kann es zu dem Kuriosum kommen, dass die SNB sehr bald Gold aufkaufen muss, um den Kurs des Edelmetalls zu stützen. Oder was passiert wohl, wenn der neue Schweizer Goldpreis bei 10 000 Franken etabliert würde und der freie Markt nur noch 9500 Franken pro Kilo billigt? Immerhin gab es auch schon Goldkurse von über 35 000 Franken. Müsste die SNB Gold aufkaufen, wäre auch wieder eine Art Goldstandard etabliert. Das muss nicht die schlechteste Lösung sein. Immerhin haben sich Staaten mit einer stabilen Goldwährung noch am längsten in der Geschichte gehalten: Das Oströmische Reich nach Einführung des Solidus durch Konstantin den Grossen anno 324 über zwölf Jahrhunderte, die Republik Venedig nach Beginn der Prägung des Dukaten 1284 ein halbes Jahrtausend. Im Märchen von Ali Baba und den 40 Räubern darf sich der Held in den Schätzen der Höhle bedienen, was er im bescheidenen Umfang auch tut. Sein Bruder aber kann den Hals nicht voll genug kriegen und vergisst über seine Gier das Passwort. Will heissen: Von nichts kommt nichts. Oder: Auf Luftbuchungen ruht kein Segen und in imaginäre Truhen können ungestraft nur Träumer greifen."
Ach ja, der Text stammt aus einer elektronischen Ausgabe der Bilanz, ich denke ein Schweizer Magazin. Das Layout ist mühsam, ich weiss, das liegt aber daran, dass die dort irgend einen Fehler in der Programmierung haben, denn der Text erschien ganz seltsam versteckt in einem nur teilweise sichbaren Fenster und musste kopiert werden. Der Link würde nichts nützen, denn man muss ihn dann wirklich suchen, den Text.
Ich hoffe er ist vollständig!
Grüsse
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