- Rezension zu: H.Kurnitzky, Die unzivilisierte Zivilisation, 2002. Lesenswert! - Galiani, 11.12.2002, 20:59
Rezension zu: H.Kurnitzky, Die unzivilisierte Zivilisation, 2002. Lesenswert!
-->Hallo
Das bezeichnete neue Buch von Horst Kurnitzky, Die unzivilisierte Zivilisation, wurde bei amazon.de wie hier ersichtlich unter dem Titel "Mißlungener Erklärungsversuch d. heutigen Gewaltbereitschaft" wie folgt verrissen:.
<ul>Mißlungener Erklärungsversuch d. heutigen Gewaltbereitschaft.
Es wäre schon die richtige Frage gewesen, die sich der Autor gestellt hat. Nämlich, wie es kommt, daß an die Stelle möglichst gewaltfreier Formen der Konfliktlösung heute die eigenen Interessen zunehmend mittels roher Gewalt,"die eruptiv ausbricht", durchgesetzt werden; egal"ob es sich um Raub oder Überfälle, religiösen oder ethnischen Wahn, um terroristische Angriffe von Gruppen oder Staaten auf Individuen oder um die Durchsetzung ökonomischer Interessen mit den Mitteln außerökonomischer Zwangsgewalt handelt: Es gilt das Recht des Stärkeren, und der bewaffnete Kampf droht zur weltweit bevorzugten Form sozialer Auseinandersetzung zu werden."
Es hätte ein lesenswertes Buch werden können! Schade!
Anstatt sich nämlich erst lange mit der Analyse der Ursachen für das von ihm behandelte Phänomen aufzuhalten, ist für Kurnitzky von vornherein alles klar: Schuld ist der Neoliberalismus, gegen den er dann auf fast 260 Seiten eine Breitseite nach der anderen abfeuert. Die als Sägemehl seiner Argumentation abfallenden Widersprüche bleiben dabei allerdings ungeklärt: Einerseits bemängelt der Autor,"[d]er neu Mensch [sei] ein autoritärer Konformist ohne jeden Eigenwillen", andererseits macht er aber bei ihm - in sehr bilderreicher Sprache - die Tendenz aus,"[u]ngehindert die persönlichen Interessen zu verfolgen,... unbewußt der biologischen Natur, also dem Gesetz der Wildnis zu folgen, wo der Instinkt alles ist, soziale Reflexion und Verantwortung aber ausgeschaltet sind."
Derartige - aus dem Feuilletonteil schlechterer Boulevardzeitungen stammende - Platidüden bilden die Substanz von Kurnitzkys Buch. Klar ist nur eines - zumindest für Kurnitzky: Das Heil und die Hoffnung liegt bei einem kräftig regulierenden Staat! Daß Überregulierung auf Einschränkung der individuellen Freiheit hinausläuft, und daß eine solche dem Wohlstand der Menschen abträglich ist - wie etwa das Fraser Institut in Vancouver Jahr für Jahr auf's Neue nachweist - ficht Kurnitzky nicht an. Wahrscheinlich hat er davon auch noch nie etwas gehört.
Im übrigen lesen wir zwischen vorderem und hinterem Buchdeckel, daß Sparen ein aus preußisch-protestantischer Tradition hervorgegangener Unsinn sei, daß die Gewaltbereitschaft in unserer Zivilisation auch damit zusammenhänge, daß man im Unternehmensmanagement von Kampagnen, Feldzügen und Guerilla Marketing spreche, daß der Satz:"Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein" nur ein"Betäubungsmittel" ist, um über das soziale Elend hinwegzutäuschen, daß der tägliche Wal-Mart-Ruf, den sich der Wal-Mart Gründer Sam Walton als Integrations-Ritual für seine Belegschaft ausgedacht hat, irgendwie am Zerfall der Gesellschaft, am Zerfall der Demokratie und schlußendlich sogar an der Zerstörung der Individuen Schuld ist, daß Disney's Mickey Mouse die Kinder auf ein Leben in der Postmoderne vorbereiten soll - und noch vieles mehr: etwa über urzeitliche Höhlenmalereien, über den Crash von 1929 in den USA, über das Internet, über die holländische Ostindienkompanie, über Augustinus und die christliche Dogmatik....
Abgesehen von solchen Streifzügen im Eilzugstempo quer durch die Encyclopædia Britannica gewährt uns Kurnitzky aber auch Einblicke in tiefere Ansichten. An einer Stelle heißt es etwa:"Daß es sich bei den Vorformen des Geldes oft um weibliche Geschlechtssymbole...[der Autor meint damit"Muscheln und Schnecken"]... handelt,“ werfe „ein Licht auf die Ã-konomie in primitiven Gesellschaften. Egal ob die reale Mutter oder die Mutter Erde“, sagt Kurnitzky, „immer ist es ein Schoß, dem der ganze Reichtum zu verdanken ist."
Und - im Bereich der theoretischen Ã-konomie - faßt Kurnitzky den Inhalt des Buches, für das Friedrich von Hayek 1974 den Nobelpreis erhalten hatte, wie folgt zusammen: Es stamme vom"Wiener Ã-konomen" [sic!],"Friedrich Hayek","der... in seinem Buch... 'Der Weg in die Knechtschaft' [sic!]... Kritik nicht nur an der Wirtschaft totalitärer Staaten, sondern an jeder auch nur partiell durch den Staat kontrollierten Wirtschaft geübt" habe. - [i]Dies über ein Buch, dessen zentraler Gedanke es bekanntlich ist, daß in einem Rechtsstaat die ganze Aufmerksamkeit der"...Regierung sich auf die Festsetzung von Richtlinien [zu konzentrieren habe], die die Bedingungen bestimmen, unter denen die vorhandenen Produktionskräfte verwendet werden dürfen..." (ib. 6. Kapitel).
Kurnitzky hat dieses Werk offenbar nie in der Hand gehabt. Sonst hätte er wohl auch nicht dessen deutschen Titel falsch widergegeben; - der Titel lautet seit der ersten deutschen, von Wilhelm Röpke herausgegebenen Ausgabe"Der Weg zur Knechtschaft", nicht"in die Knechtschaft". Und offenbar kennt Kurnitzky nicht einmal den vollen Namen des Nobelpreisträgers v. Hayek.
Was Kurnitzky’s wirtschaftstheoretische Ansichten betrifft, kann man sich nur der Empfehlung Wilhelm Röpke's (in der Einführung zur erwähnten ersten deutschen Ausgabe des nobelpreisgekrönten Buches v. Hayeks) anschließen; er meinte:"Denjenigen aber, die noch immer nicht den"großen Irrtum" unserer Zeit begreifen..., seien einige der kräftigsten und deutlichsten Seiten des Buches [nämlich: Der Weg zur Knechtschaft] zur nachdenklichen Lektüre empfohlen, insbesondere das Kapitel, das den bezeichnenden Titel trägt: 'Die Totalitären mitten unter uns".
Ich jedenfalls habe mich geärgert, dass ich das Buch über amazon.de gekauft habe.</ul>[/i]
Grüße
G.

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