- Nicht ´legales Geld`, legale Erpressung ist das Problem... - André, 13.12.2002, 14:34
Nicht ´legales Geld`, legale Erpressung ist das Problem...
-->Ein Gesetz auf der Suche nach einem obersten Richter
Rückversicherer: Kalifornien"sucht Klarheit" über den Holocaust
SAN FRANCISCO, im Dezember
Es ist noch nicht lange her, daß Michael Blumenthal, der Direktor des Jüdischen Museums zu Berlin, unsere Gegenwart den"Altweibersommer" der Erinnerung an den Holocaust genannt hat. Eine Zeit kurz vor dem Tod der letzten Überlebenden und vor der endgültigen Historisierung des Völkermords, in der das Gedächtnis noch einmal aufblüht und das allgemeine Bekenntnis, nicht vergessen zu wollen, wie ein warmer Herbstwind durchs Land weht. Gedenkstätten werden saniert und erweitert, die akademische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus intensiviert sich weiter; eine Weile war der Streit um das Berliner Holocaust-Mahnmal das zentrale Debattenthema der Republik, und Jahr für Jahr erscheinen Bücher, welche die ungebrochene Aktualität des Vergangenen belegen: Reich-Ranicki, Haffner, Doerry.
Aber nicht nur in Deutschland hat der Spätherbst des Gedenkens reiche Frucht getragen. Auch in Kalifornien, wo noch etwa zwanzigtausend Überlebende wohnen, hat die Schönwetterperiode organisierter Erinnerung neue Museen und Mahnmale hervorgebracht, die einander mittlerweile Konkurrenz zu machen drohen. Entstanden ist aber auch ein eigenwilliges Gesetz: der"Holocaust Victim Insurance Relief Act" (HVIRA) aus dem Jahr 1999. Eine Regelung, die Holocaust-Opfern Erleichterung im Umgang mit ihren Versicherungen verspricht, dabei jedoch derart vertrackte Fragen aufwirft, daß jetzt das oberste Gericht der Vereinigten Staaten, der Supreme Court, darüber befinden muß.
Tote reden nicht mehr
Wie so häufig in der Erinnerungspolitik verschlingen sich auch im Streit um das kalifornische Gesetz Gegenwärtiges und Vergangenes; lauterste Absichten haben sich mit der Durchsetzung wohlberechneter Interessen derart verknotet, daß am Ende ein Knäuel aus Moral und Kalkül, Politik und Profilierungssucht übrigblieb, das kaum mehr zu entwirren ist. So läßt sich denn auch die Geschichte des"Holocaust Victim Insurance Relief Act" auf vielerlei Weise erzählen. Als Leidensgeschichte greiser Menschen, die sich am Ende ihres Lebens mit Versicherungen in Europa um winzige Summen aus uralten Policen streiten müssen. Man kann das Gesetz auch als juristische Posse schildern, ersonnen von einigen Politikern in Sacramento, die offenbar glaubten, am kalifornischen Rechtswesen müsse die Welt genesen. Oder man kann den Vorgang als Beleg für die These von der"Instrumentalisierung" des Holocaust sehen, als den Versuch ehrgeiziger Männer, mit einem spektakulären Gesetz Aufmerksamkeit zu erregen.
Der"Holocaust Victim Insurance Relief Act" soll es den Opfern des nationalsozialistischen Terrors und deren Angehörigen leichter machen, eventuell noch bestehende Ansprüche gegen Versicherungsunternehmen in Europa geltend zu machen. Das ist allemal ein kniffliges Unterfangen. Heute, ein halbes Jahrhundert nach dem Völkermord, noch herausfinden zu wollen, ob irgendeinem Ermordeten, Gefolterten, Geflohenen von einer Versicherung Geld zusteht, erfordert detektivischen Spürsinn. Die Toten reden nicht mehr, viele Policen sind verloren, die Akten zerfleddert, Zeugen kaum zu finden; ob die vereinbarten Prämien gezahlt wurden, kann häufig niemand mehr sagen. Und wegen des fortschreitenden Alters der Überlebenden gewinnt die Suche nach den Unterlagen eisige Dringlichkeit.
Der kalifornische Gesetzgeber hat daher die Frist, innerhalb deren noch Ansprüche geltend gemacht werden können, bis ins Jahr 2010 verlängert. Und er hat alle in Kalifornien tätigen Versicherungen verpflichtet, sämtliche verfügbaren Informationen über europäische Versicherungsverträge aus den Jahren zwischen 1920 und 1945 in einem öffentlichen Archiv in Kalifornien zugänglich zu machen. In dieser Registratur sollen die Betroffenen rasch nachschauen können, ob irgendwo noch eine Rechnung offensteht, statt aufwendige Recherchen über Kontinente hinweg betreiben zu müssen. Um sicherzustellen, daß die erforderlichen Informationen auch tatsächlich geliefert werden, droht das Gesetz mit einer drastischen Sanktion: Unternehmen, die den Datentransfer verweigern, muß die Lizenz entzogen werden. Die Logik ist simpel - wer seine Aktenschränke nicht öffnet, soll auch keine Geschäfte in Kalifornien machen. Er werde den Hammer schon niedersausen lassen, wenn sich die Versicherungen dem Gesetz nicht beugten, drohte der kalifornische"Insurance Commissioner", Chuck Quackenbush - ein Mann, von dem noch zu reden sein wird.
Kurz nach Erlaß des HVIRA bekundeten drei niederländische Konzerne ihren Willen zur Kooperation. Die Mehrzahl der betroffenen Unternehmen jedoch, die amerikanischen Töchter von Versicherungen aus der Schweiz, Italien und Deutschland vor allem, reichten Klage ein. Besondere Empörung hat die Forderung des Gesetzgebers ausgelöst, Einsicht nicht nur in die Archive der in Kalifornien tätigen Tochterunternehmen zu erhalten, sondern auch in alle Dokumente der Mütter: Gerling, Winterthur, Allianz, Generali und all die anderen europäischen Versicherer müßten ihre kompletten Policenregister aus den Jahren 1920 bis 1945 kopieren und an die amerikanische Westküste schaffen. Ein enormer Aufwand, da die Kundenbestände seinerzeit in die Millionen gingen, viele Archive im Luftkrieg zerstört worden sind und die vorhandenen Daten meist nur auf Karteikarten überliefert sind, in Sütterlin notiert. Und selbst wenn sich alle Informationen rekonstruieren ließen, so klagen die Versicherer, dann verstieße die Übermittlung nach Amerika immer noch gegen das europäische Datenschutzrecht: Beugen wir uns dem kalifornischen Gesetz, machen wir uns daheim strafbar.
Die Versicherungen sind denn auch der Ansicht, daß Kalifornien mit dem HVIRA seine Kompetenzen weit überschritten habe. Juristisch läuft das Verfahren, alle dogmatischen Finessen beiseite gelassen, auf die Frage hinaus, ob ein amerikanischer Bundesstaat seine eigene Außenpolitik betreiben kann. Darf Kalifornien nur die Angelegenheiten der fünfunddreißig Millionen Menschen regeln, die innerhalb der Staatsgrenzen leben? Oder kann der Staat auch, ohne gegen die amerikanische Verfassung zu verstoßen, in Angelegenheiten eingreifen, die weit über das Regionale hinausgehen? Maßt sich Kalifornien Befugnisse an, die eigentlich der Bundesregierung in Washington vorbehalten sind? Könnte der kalifornische Gouverneur etwa auch japanischen Firmen den Verkauf von Autos in Los Angeles untersagen, weil die Motorenwerke vielleicht von der Ausbeutung Koreas im Zweiten Weltkrieg profitiert haben? Und wie wäre es, um eine vollends zugespitzte Analogie zu formulieren, wenn das Land Hessen von allen amerikanischen Textilfirmen Auskunft über ihre Verwicklung in die Sklaverei verlangte und mit der Schließung aller Jeansläden in Frankfurt drohen würde?
Kein Manager in den Vorstandsetagen der betroffenen Versicherungen mag das Wort in den Mund nehmen, jedenfalls nicht öffentlich - aber es liegt nicht fern, den HVIRA als legislative"Erpressung" zu bezeichnen. Man könnte auch auf den Gedanken kommen, in dem Gesetz eine besonders raffinierte Benachteiligung ausländischer Konkurrenz auf dem kalifornischen Markt zu sehen. Vor allem aber hat die Vorschrift etwas Missionarisches, einen idealistischen Überschuß, der beinahe komisch zu nennen wäre, handelte es sich nicht um eine so unendlich schmerzbeladene Angelegenheit. Doch der gleichermaßen rührende wie rabiate Wille zur Weltverbesserung verbindet sich auch mit sehr spezifischen politischen Absichten.
Wally Knox etwa, Abgeordneter der Demokraten im kalifornischen Landesparlament in Sacramento, der den HVIRA 1999 parlamentarisch durchgesetzt hat, warb anschließend mit diesem Erfolg ganz ausdrücklich - und völlig legitim - bei den jüdischen Bürgern seines Bezirks in Los Angeles für seine Wahl in den kalifornischen Senat - allerdings vergeblich; gewählt wurde seine Gegenkandidatin. Unappetitlicher ist die Geschichte des Quackenbush, ehedem"Insurance Commissioner" von Kalifornien, also höchster, vom Volk direkt gewählter Beamter der Versicherungsaufsicht. Er suchte nicht nur den HVIRA mit Polemik und Gespür für Publizität durchzupauken, sondern tat sich auch sonst als Populist hervor. Mehr als einmal erließ er Versicherungen drastische Strafen, wenn diese im Gegenzug saftige Beträge an wohltätige Stiftungen überwiesen, etwa an Einrichtungen, die sich um Holocaust-Opfer kümmern. Bei denen kam allerdings nie Geld an, und die Stiftungen, die etwas erhielten, schalteten große Anzeigen für die Wiederwahl des Commissioners. Im Juli 2000 mußte Quackenbush zurücktreten. Seither lebt er in aller Stille auf Hawaii.
Irritierender noch als solche Verirrungen allerdings ist die Tatsache, daß der kalifornische Alleingang die internationalen Bemühungen zu behindern droht, die noch offenen Fragen zur Verwicklung von Versicherungen in den Völkermord gerecht zu regeln. Seit 1998 arbeiten in der"Internationalen Kommission für Versicherungsansprüche aus der Holocaust-Ära" Vertreter mehrerer Staaten mit Abgesandten der betroffenen Firmen unter Vorsitz des einstigen amerikanischen Außenministers Eagleburger zusammen, um ehemaligen Opfern des NS-Terrors rasch zu ihrem Geld zu verhelfen. Die Beteiligten haben sich auf ein recht einfaches Verfahren verständigt, Beweisregeln wurden erleichtert, Nachforschungen beschleunigt und unabhängige Aufseher engagiert. Schwer vorstellbar, daß der vom HVIRA geforderte Aufbau eines eigenen Archivs da irgend etwas verbessern würde.
Ein Bundesstaat gegen die Welt
Eagleburger und hohe Regierungsbeamte haben daher mehrfach an Kalifornien appelliert, den Konflikt mit den Versicherungen zu beenden. Immer wieder wurde auch darauf hingewiesen, daß es Sache Washingtons sei, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu regeln. Doch Harry Low, Quackenbushs Nachfolger als"Insurance Commissioner", und der kalifornische Gouverneur Davis stellen sich stur. Nun entscheiden die Gerichte.
Ein Gesetz des Staats Florida, das dem kalifornischen HVIRA glich, hat das zuständige Bundesberufungsgericht im letzten Jahr bereits kassiert. Auch in Kalifornien wurde der HVIRA in der ersten Instanz zunächst für verfassungswidrig erklärt, dann aber vom Berufungsgericht in San Francisco durchgewinkt. Die Berufungsrichter meinten einmütig, Kalifornien habe seine Befugnisse mit dem Gesetz nicht überschritten. Gegen diese Entscheidung wiederum sind die Versicherer nun in die letzte Instanz gegangen und haben beim Supreme Court in Washington die Zulassung der Revision beantragt; ob die obersten Richter sich der Sache annehmen werden, wird sich dieser Tage, spätestens Anfang kommenden Jahres entscheiden. Wie sie befinden werden, sollten sie die Revision zulassen, ist völlig offen. Vorsorglich aber haben schon einmal die Bundesregierung in Berlin, das amerikanische Justizministerium und die schweizerische Regierung in sogenannten"amicus briefs" signalisiert, daß sie die Sache der klagenden Versicherungen unterstützen, auch mit Rücksicht auf die Arbeit der Eagleburger-Kommission. Damit steht Kalifornien gleichsam gegen den Rest der Welt - eine Haltung, die am Pazifik durchaus behagt.
HEINRICH WEFING
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.12.2002, Nr. 290 / Seite 37
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