- Die Folgen der EU-Erweiterung - Popeye, 16.12.2002, 07:08
Die Folgen der EU-Erweiterung
-->Die Folgen der Erweiterung
Ã-konomen sehen trotz zusätzlicher Transfers mehr
Vor- als Nachteile
bü./wmu. KOPENHAGEN/FRANKFURT, 15.
Dezember. Der am Wochenende in Kopenhagen erzielte
Finanzkompromiß für die Ost-Erweiterung der Europäischen
Union umfaßt ein Volumen von insgesamt 40,852 Milliarden
Euro für 2004 bis 2006. Das ist zwar deutlich mehr, als die
EU bei ihrem Gipfeltreffen Ende Oktober in Brüssel
angeboten hatte, liegt aber immer noch um 1,6 Milliarden
Euro unter der 1999 vereinbarten Ausgabenobergrenze für
die neuen Mitgliedstaaten. Zudem stehen den Ausgaben
Beiträge der Neumitglieder von rund 14 Milliarden Euro
gegenüber.
Größter Kostenblock ist nicht die Agrarpolitik, auf die sich
das Feilschen vor allem konzentrierte, sondern die
Regionalförderung, mit der die EU zum Abbau des
Wohlstandsgefälles zwischen Altmitgliedern und
EU-Neulingen beitragen will. Ein Teil der hierfür
ursprünglich eingeplanten Gelder ist auf Drängen Polens und
Tschechiens in pauschale Budgetzuschüsse zugunsten dieser
Länder umgewidmet worden. Das verschafft ihnen sofortige
zusätzliche Liquidität, während die Regionalhilfen an die
erfolgreiche Abwicklung von Förderprogrammen geknüpft
sind, die zudem von den Empfängerländern national
mitfinanziert werden müssen. In Kopenhagen wurde diese
Lösung auch als mögliche Keimzelle für einen Umbau der
Regionalpolitik gewertet, an dessen Ende ein horizontaler
Finanzausgleich zwischen den Mitgliedstaaten stehen könnte.
Bereits Anfang kommenden Jahres will die Europäische
Kommission erste Modelle für die EU-Finanzplanung in den
Jahren 2007 bis 2013 vorlegen.
Für die bisherigen Mitgliedstaaten bringt die Ost-Erweiterung
trotz der zusätzlichen Ausgaben in erster Linie
wirtschaftliche Vorteile. Das ist das einhellige Urteil
führender deutscher Ã-konomen, die diese Zeitung zu den
Chancen und Risiken der Erweiterung befragt hat. Sie
betonen freilich auch einhellig, daß die westeuropäischen
Staaten schlecht vorbereitet sind und der Reformdruck
gerade auf Deutschland zunehmen wird.
Weniger einig sind sie sich in der Einschätzung der konkreten
Auswirkungen der Erweiterung. Hans-Werner Sinn, der
Präsident des Münchner Ifo-Instituts, glaubt, daß die
vollständige Verwirklichung der Freizügigkeit eine
massenhafte Wanderung von Ost nach West zur Folge
haben werde."Angesichts der geringen kulturellen
Unterschiede, der geographischen Nähe und des
Bevölkerungsreichtums der osteuropäischen Länder muß
man mit erheblichen Wanderungs- und Pendlerbewegungen
rechnen, wenn die Grenzen aufgemacht werden", sagt Sinn.
Horst Siebert, Präsident des Kieler Instituts für
Weltwirtschaft und Mitglied des Sachverständigenrats,
widerspricht:"Wenn das zu erwarten wäre, dann hätten wir
schon eine stärkere Zuwanderung gesehen." Seit 1995 habe
die Nettozuwanderung aus den mittel- und osteuropäischen
Ländern lediglich 20 000 Personen im Jahr betragen."Da die
Einkommen in den neuen Mitgliedsländern weiter steigen
werden, lohnt sich für potentielle Migranten die Option des
Wartens", urteilt er.
"Wenn im Osten neue Jobs entstehen, dann müssen die
Bürger der Beitrittsstaaten nicht in den Westen kommen",
stimmt Klaus F. Zimmermann, Präsident des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, zu. Eine schnelle
Einführung der Freizügigkeit sei aber auch im deutschen
Interesse:"Wir brauchen zunehmend qualifizierte
Arbeitskräfte, sie können im begrenzten Umfang aus dem
Osten angezogen werden." Juergen B. Donges, Direktor des
Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und
früherer Chef des Sachverständigenrates, glaubt ebenfalls
nicht an große Wanderungsbewegungen. Einzelne
Arbeitnehmergruppen in bestimmten Branchen wie dem
Baugewerbe und dem Handwerk sowie in einzelnen
Regionen wie in Ostdeutschland seien allerdings einem
schärferen Wettbewerbsdruck ausgesetzt.
Die Einschätzungen der Ã-konomen sind auf dieser Seite
dokumentiert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.2002, Nr. 292 / Seite 13

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