- Bush betreibt: ''Voodoo Economics'' - kizkalesi, 28.12.2002, 09:45
- Re: Bush betreibt: ''Voodoo Economics'' - RetterderMatrix, 28.12.2002, 10:14
Re: Bush betreibt: ''Voodoo Economics''
-->Präsident Lyndon Ronald Bush
Die US-Haushaltspolitik gefährdet die Stabilität der globalen Finanzen und des Welthandels - Debatte
von Harold James
Trotz der Turbulenzen in den Jahren 1997 und 1998 war das Wirtschafts- und Finanzsystem in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stabiler als in früheren Jahrzehnten. Diese Stabilität schwindet momentan jedoch rasch - und mit ihr der prinzipielle Konsens, auf dem sie beruhte. Eines der bedeutendsten Elemente dieses Konsenses war die Idee der finanzpolitischen Verantwortung - international als „Washington-Konsens? bekannt. In den USA folgte man damit der Erkenntnis Präsident Clintons, wonach ausgeglichene Budgets die Finanzmärkte stabilisieren, die Kreditkosten senken und daher für besseres Wachstum sorgen würden. Clinton setzte diese Politik auch gegenüber dem misstrauischen Kongress durch - selbst um den Preis, dafür einige seiner sozialpolitischen Wahlversprechen opfern zu müssen. In Europa wurde dieser Konsens in den Wachstums- und Stabilitätspakt der EU aufgenommen und in Form der strengen Maastricht-Kriterien in die Praxis umgesetzt.
Heute ist dieser finanzpolitische Konsens nachhaltig infrage gestellt. Portugal, Deutschland und Frankreich erklären ihre Absicht, von den Maastricht-Kriterien abzuweichen. Aber vor allem die USA führen den Feldzug gegen die Budgetdisziplin an. Das amerikanische Bundeshaushaltsdefizit betrug in den Jahren 2001/02 159 Milliarden Dollar. Gemessen an europäischen Standards eine durchaus respektable Summe. Allerdings wird auf Grund des verantwortungslosen Umgangs mit Steuersenkungen noch mehr rote Tinte nötig sein - und im Gegensatz zu Clinton oder auch Bush senior beabsichtigt George W. Bush keineswegs, seine Wahlversprechen zu brechen.
In seinem Wahlprogramm versprach Bush einschneidende Steuersenkungen, die er nach seiner Wahl auch vorantrieb. Auf Einwände, wonach das Haushaltsdefizit explodiere, meinte er: „Wir haben ein Defizit, weil die Steuereinnahmen gesunken sind.“ Und das Steuerentlastungspaket „hat der Wirtschaft geholfen. Ohne diese Maßnahmen wäre das Defizit noch größer.“ Bush glaubt also, dass Steuersenkungen zu einer Verringerung des Haushaltsdefizits führen. Das ist allerdings genau jene Art von „Angebotsökonomie“, die sein Vater bei Ronald Reagan als „Voodoo Economics“ anprangerte.
Zwei Schreckgespenster liegen dieser Theorie zu Grunde. Das wirtschaftliche Trauma Japans in den neunziger Jahren, als sich Finanz- und Steuerpolitik angesichts einer hartnäckigen Deflation als wirkungslose Instrumente herausstellten, wird nun herangezogen, um Bushs ausgedehntes Zehnjahresprogramm für Steuersenkungen zu rechtfertigen. Das zweite Schreckgespenst ist der 11. September. Zu Beginn des Jahres 2002 schlug der Präsident eine Erhöhung der Militärausgaben um 48 Milliarden Dollar vor. Insgesamt beträgt das amerikanische Militärbudget 396 Milliarden Dollar, liegt also knapp unter vier Prozent des BIP. Im Falle eines Krieges mit dem Irak würden noch einmal 100 Milliarden Dollar, oder ein Prozent des BIP, dazukommen. (Der Krieg in Afghanistan schlug mit bescheidenen zehn Milliarden Dollar zu Buche.)
In der amerikanischen Geschichte mussten solche Schreckgespenster schon oft zur Rechtfertigung von Haushaltsdefiziten herhalten. In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts glaubte Präsident Reagan, Amerika würde seine wirtschaftliche Führungsposition an Japan und Europa verlieren, und so nahm er auch ein wachsendes Defizit in Kauf. In den sechziger Jahren fürchtete Präsident Johnson eine große Depression wie in den dreißiger Jahren und reagierte darauf mit höheren Sozialausgaben, während gleichzeitig auch die Militärausgaben durch die Eskalation des Vietnamkrieges in die Höhe schnellten.
In beiden Zeiträumen führte mangelnde Budgetdisziplin zu Unbeständigkeit auf den Devisenmärkten, wo durch den akuten Anstieg der Inflation in den sechziger Jahren das Bretton-Woods-Wechselkurssystem zusammenbrach. Darauf kam es zu einer Welle gegenseitiger Schuldzuweisungen über den Atlantik. Die Europäer (vor allem die Franzosen und Deutschen) beschuldigten die Vereinigten Staaten eines verantwortungslosen Inflationismus, während die Amerikaner den Europäern vorhielten, sie würden sich weigern, das Wirtschaftswachstum schnell genug voranzutreiben. Diese Episode trug wesentlich zum Antiamerikanismus in Europa bei. In den achtziger Jahren stieg der Dollar gegenüber dem Yen und den europäischen Währungen enorm an und brach anschließend ein. Wieder übte man sich auf beiden Seiten des Atlantiks in gegenseitigen Schuldzuweisungen.
Derartige Bewegungen führen zu enormen Veränderungen der realen Wechselkurse und daher auch der Wettbewerbsfähigkeit, wodurch wiederum der Ruf nach handelspolitischen Schutzmaßnahmen laut wird. Eine neue Welle von Haushaltsdefiziten und Wechselkursinstabilitäten würde daher das grundlegendste und wertvollste Vermächtnis der neunziger Jahre infrage stellen: die Bemühungen um die Ã-ffnung und Liberalisierung des Handels.
Zuweilen vertrauen die Menschen zu sehr auf die Stärke und Unumkehrbarkeit der Globalisierung. Genau diese Entwicklung ist durch die finanzpolitischen und wirtschaftlichen Turbulenzen infrage gestellt. Die Welt ist heute integrierter als in den sechziger oder achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die jüngsten Ereignisse zeigen allerdings, dass wir heute für einen plötzlichen und unsanften Rückschlag anfälliger denn je sind.
Harold James ist Professor für Geschichte an der Princeton University.
<ul> ~ http://www.welt.de/data/2002/12/28/28223.html</ul>

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