- GURUS? - Baldur der Ketzer, 03.05.2000, 12:11
GURUS?
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Orakel und Debakel
Aktiengurus: Sie künden vom Boom oder vom Crash. Manchmal haben sie sogar Recht. manager magazin
porträtiert die Aufsteiger und Absteiger der 90er Jahre.
"Leser, glaubt dem Guru nicht,
ganz egal, was er verspricht."
Ein merkwürdiger Rat, den André Kostolany seinen Anhängern mit auf den Weg
gab. Wurde doch der im September verstorbene Ungar selbst als Börsenguru
geschätzt und verehrt.
Der Widerspruch ist in Wahrheit keiner. Der Altmeister der Börse inszenierte sich
Zeit seines Lebens niemals als Prophet. Prognosen über Kursrekorde oder
Börsencrashs waren von ihm nicht zu hören. Einzelne Papiere empfahl er so gut
wie nie. Seine Warnung gilt Leuten, die, gutgläubig und ohne nachzudenken, jeder
Prognose und jedem heißen Aktientipp folgen. Wenn es ums schnelle
Geldverdienen geht, schlagen viele Anleger solche Warnung jedoch gern in den Wind. Sie suchen den Rat von Experten.
Aus gutem Grund.
Kompetente Fachleute liefern wichtige Informationen, die sich der Großteil der Anleger gar nicht selbst beschaffen kann.
"Zum anderen", so Wolfgang Gerke, Professor für Bank- und Börsenwesen an der Universität Erlangen-Nürnberg,
"suchen Anleger immer wieder nach Orientierung und wollen ihre Kaufentscheidungen an der Meinung von Leitfiguren
ausrichten."
Wo steht der Dow Jones Ende nächsten Jahres? Schafft der Dax die 6500-Punkte-Marke, oder gibt es einen Crash?
Welche Aktien soll ich jetzt kaufen? Fragen, die Anleger gern beantwortet hätten. Wenn Finanz-experten in Zeitungen, im
Hörfunk oder im Fernsehen ihre neuesten Prognosen verkünden, können sie daher der ungeteilten Aufmerksamkeit einer
wachsenden Schar von Privatanlegern sicher sein.
Nur, wem sollen sie glauben?
manager magazin hat sich die prominenten Propheten der 90er Jahre angesehen, drei Gewinner und drei Verlierer
ausgemacht. Kurzporträts beschreiben die Erfolgsgeheimnisse der Aufsteiger und die Gründe für das Versagen der
Absteiger.
+ Abby Cohen
"Prophetin der Wall Street" nennen Börsianer ehrfurchtsvoll die 47jährige Mutter zweier Kinder. Nach Stationen bei der
US-Notenbank Fed und dem Broker Drexel Burnham Lambert kam Cohen 1990 zu Goldman Sachs. Seit die Chefanlagestrategin
im Herbst vorigen Jahres Partnerin des Investmenthauses wurde, ist sie vermutlich die ranghöchste Frau an der Wall Street. Im
aktuellen Ranking der 50 mächtigsten Amerikanerinnen des US-Magazins"Fortune" landete sie auf Platz 12.
Cohen sagte der US-Börse bereits 1991 eine Jahre andauernde Hausse voraus und traf damit genau ins Schwarze. Der
Dow-Jones-Index hat sich seitdem mehr als vervierfacht.
Die Analystin bildet sich ihr Urteil aus der intensiven Beobachtung fundamentaler Daten wie Preisentwicklung oder
Gewinnwachstum der Unternehmen. Ihr Erfolgsgeheimnis: Bevor sie eine Prognose abgibt, prüft sie akribisch jedes Szenario, das
ihre Einschätzung bestätigen oder gefährden könnte.
Kultstatus erwarb Cohen nicht zuletzt dadurch, dass sie auch während einiger Kurseinbrüche  verursacht zum Beispiel durch die
Krisen in Asien 1997 oder in Brasilien 1998 Â bei ihrer optimistischen Haltung blieb und damit Recht behielt.
- Elaine Garzarelli
Im Sommer 1987 hatte die heute 52jährige ihren großen Auftritt. Live verkündete die damalige Anlagestrategin des
Investmenthauses Lehman Brothers über den US-Nachrichtensender CNN, dass im Herbst ein Börsencrash bevorstehe. Ein
Volltreffer, lobten ihre Fans: Weltweit brachen die Kurse um 25 bis 30 Prozent ein. Garzarelli wurde auf einen Schlag zum
Popstar der Wall Street. Die attraktive Aktienexpertin machte sogar Werbung für Strumpfhosen.
Ein Zufallstreffer, unkten später Garzarellis Kritiker. Denn in den folgenden Jahren lag die Analystin meist daneben. Entweder
hinkten ihre Prognosen der Entwicklung an den Börsen hinterher, oder sie warnte erneut vor Kurseinbrüchen, zu denen es
allerdings nicht kam.
Im Sommer 1996, zwei Jahre nachdem Garzarelli Lehman verlassen hatte und sich mit einem Börsenbrief und einer
Vermögensverwaltung selbstständig gemacht hatte, verspielte sie ihren letzten Kredit. Wieder warnte sie werbewirksam auf CNN
vor einem Crash; Anleger sollten alle US-Aktien sofort verkaufen.
Der Dow Jones allerdings hielt sich nicht an die Prophezeiung und stieg innerhalb von sechs Monaten um 1000 Punkte. Einige
Börsianer verhöhnen die ehemalige"Queen der Wall Street" seitdem als Kontra-Indikator und machen das Gegenteil von dem,
was Garzarelli empfiehlt.
+ Ralph Acampora
Der 58-jährige Leiter der technischen Analyse des New Yorker Wertpapierhauses Prudential Securities ist ähnlich treffsicher wie
Abby Cohen. Als 1995 der Dow-Jones-Index bei 4500 Punkten stand, prophezeite er 7000 Punkte bis spätestens Juni 1998. Als
dieser Wert bereits 1997 erreicht war, zog Acampora mit seiner von Kritikern heftig attackierten"Dow-10 000-Prognose" nach.
Erneut behielt der Analyst Recht. Heute steht der Index sogar bei etwa 11 000.
Als"Techniker" (Branchenjargon) schert sich Acampora wenig um fundamentale Daten. Mit Hilfe der Chartanalyse identifiziert
er Trends und vergleicht sie mit historischen Vorbildern. Die Treffsicherheit seiner Prognosen ist beeindruckend. Den Vorwurf,
als Berufsoptimist während der Hausse der 90er Jahre nur Glück gehabt zu haben, entkräftet Acampora leicht. So sagte er die
Kurskorrekturen im Herbst 1997 und im Herbst 1998 voraus, ohne dabei von seiner Langfristprognose abzuweichen.
- Roland Leuschel
Der ehemalige Chefstratege der Banque Bruxelles Lambert ist Europas Antwort auf Elaine Garzarelli. Auch Leuschel sagte den
Crash von 1987 voraus. Ein weiteres Mal lag der Pessimist 1989 richtig. Wieder prophezeite er zutreffend einen Kurssturz, auch
wenn dieser Einbruch an der Börse im Rückblick nicht viel mehr als eine kleine Korrektur war. Danach folgte eine lange Reihe
von Fehlprognosen.
Im Oktober 1995 warnte Leuschel, der gern witzelt, dass es nur schlechte Börsengurus gebe, vor fallenden Kursen. Der Deutsche
Aktienindex (Dax) stieg. Im März 1996 kündigte der Guru einen Crash an. Die Kurse kletterten weiter. Auch 1997 und 1998
schwante dem Börsianer Übles. Doch es gab nur kleinere Einbrüche, anschließend ging es mit den Aktienkursen immer wieder
steil bergauf.
Leuschels Problem: Er machte sei- ne Untergangsszenarien zur Ideologie, galt in der Branche als chronischer Schwarzseher.
Wann immer Journalisten im Herbst eines Jahres über einen drohenden Oktobercrash berichten wollten, lieferte Leuschel die
passende Prophezeiung.
Verantwortungslosigkeit wird dem 61-jährigen Anlagefachmann sicherlich niemand vorwerfen. Eines jedenfalls sollte aber auch
seine treuesten Anhänger nachdenklich stimmen. Anfang 1996 kündigte der Guru ein Buch an, das er vor dem großen Crash fertig
stellen wolle.
Das Werk ist bis heute nicht erschienen.
+ Mark Mobius
Seine zahllosen Reisen in abgelegene Regionen und die Besuche bis dahin unbekannter Unternehmen haben Mobius, der eher an
den Schauspieler Yul Brynner erinnert, den Beinamen"Indiana Jones der Emerging Markets" eingebracht. Der 64-jährige lebt seit
30 Jahren in Asien und verwaltet als Chef des Emerging-Markets-Teams von Templeton rund 13 Milliarden Dollar.
Auch wenn er sich auf hoch spekulativem Terrain bewegt, ist Mobius' Seriosität unbestritten. Trotz seiner Popularität ist er eher
harter Arbeiter als glamouröser Star. Über 200 Tage im Jahr recherchiert Mobius vor Ort bei interessanten Unternehmen.
Sein Erfolg liegt im optimalen Timing an den stark schwankenden asiatischen Börsen. Mobius steigt ein, wenn die Märkte am
Boden sind, er rennt nicht der Masse der Investoren hinterher.
Der von Mobius gemanagte Templeton Emerging Markets Fund läuft seit Jahren besser als das Benchmark, der
Schwellenbörsenindex MSCI Emerging Markets. Eine für Fondsmanager beeindruckende Konstanz.
Gleichwohl macht Mobius Fehler: Während der Asien-Krise im Herbst 1997 blieb er nicht ungeschoren. Doch der Erfolg kam
zurück. Vor einem Jahr prophezeite Mobius einen Börsenboom in Südkorea und lag richtig. Sein Korea-Fonds legte in den
vergangenen zwölf Monaten, in Euro gerechnet, um über 120 Prozent zu.
- Egbert Prior
Wie werde ich Börsenguru? mag sich der Wirtschaftsjournalist vor gut zwei Jahren gedacht haben. Die Antwort war einfach: Ich
gehe ins Fernsehen. Zunächst als Mitarbeiter des Börsendienstes"Platow-Brief", seit Februar 1998 als Herausgeber des
Blättchens"Prior Börse", trat der unscheinbare Betriebswirt (Prior:"Ich bin ein Spießer") in der"3sat-Börse" mit seinen
Aktientipps auf.
Meist empfahl er marktenge Neu-Emissionen wie Mobilcom oder SCM. Da offenbar viele der bis zu 600 000 Zuschauer seinen
Empfehlungen gläubig folgten und die Aktien kauften, schossen die Kurse zumindest unmittelbar nach den Sendungen in die Höhe.
Offenbar ohne jedes Verständnis für die Börse nannten seine Anhänger ihn daraufhin Meister. Ein Börsenpapst war geboren.
So hell Priors Stern glänzte, so schnell verblasste er wieder. Im November 1998 erhob die Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen
den Börsenguru Anklage wegen verbotener Insidergeschäfte. Der Vorwurf: Prior soll sich vor seinen TV-Auftritten mit den
Aktien, die er im Fernsehen empfahl, eingedeckt haben.
Ob das strafrechtlich tatsächlich ein Vergehen ist, scheint mittlerweile unerheblich. Seit der heute 35 Jahre alte Prior seine
spekulativen Tipps nicht mehr über das Fernsehen verbreiten kann, hat ihn der Erfolg verlassen. Im Januar 1999 warf er die
Internet-Firma Intershop aus seinem Musterdepot und verpasste, bis er wieder einstieg, einen Kurszuwachs von knapp 100
Prozent. Im April empfahl er den Neuen-Markt-Wert Infomatec. Die Aktie verlor bis heute rund 30 Prozent.
Diese Art Guru muss Altmeister André Kostolany bei seiner Warnung vor Augen gehabt haben.
Christoph Seeger
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