- Kim Jong Il raubt Bush die Glaubwürdigkeit - stocksorcerer, 02.01.2003, 23:26
Kim Jong Il raubt Bush die Glaubwürdigkeit
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SPIEGEL ONLINE - 02. Januar 2003, 18:50
URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,229067,00.html
Nordkorea-Krise
Wie ein irrlichternder Diktator dem US-Präsidenten die Glaubwürdigkeit raubt
Von Alexander Schwabe
Mit viel Geschrei zieht die amerikanische Regierung gegen den Irak. Das weit gefährlichere Atomrüsten Nordkoreas begleiten die Kriegstreiber in Washington auffällig schweigsam. US-Präsident Bush gerät in Bedrängnis: Seine als Garantie amerikanischer Unverwundbarkeit gedachte Doktrin des Präventivkrieges droht, schon nach wenigen Monaten ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Hamburg - Die Situation für die US-Regierung ist alles andere als bequem. Ihr Präsident George Bush rüstet mit aller Macht gegen den Irak, obwohl es derzeit sehr schwierig ist, einen plausiblen Grund für eine Invasion anzugeben. Gleichzeitig brüskieren die nordkoreanischen Machthaber in Pjöngjang die Supermacht ein ums andere Mal, indem sie ihr Atomprogramm unverhohlen vorantreiben. Mit aller Unverfrorenheit gefährden sie zusehends die Stabilität in Ostasien, die nach der letzten Nordkorea-Krise Anfang der neunziger Jahren hergestellt worden war.
Seit Nordkorea unverhohlen sein Atomprogramm verfolgt, ist klar: Die amerikanische Isolierungstaktik zeitigte keinen Erfolg. Schon heute ist der Staat in der Lage, Nukleartechnologie an andere Staaten oder an terroristische Gruppen zu liefern. Wenig beruhigend ist dabei die Tatsache, dass das Land bisher nur über Kurzstreckenraketen verfügt hat. Schon morgen könnten nordkoreanische Raketenbauer Langstreckenraketen entwickeln oder diese von anderen Staaten wie etwa Pakistan einkaufen.
Während des Wahlkampfes hatte US-Präsident George W. Bush immer wieder die nordkoreanische Gefahr heraufbeschworen, um die Anschaffung eines neuen Raketenabwehr-Systems zu begründen. Nordkorea habe, so Bush, ein bedeutendes Arsenal an Raketen, die Südkorea, Japan oder die rund 100.000 Amerikaner, die in Fernost stationiert sind, treffen könnten. (Saddam Hussein dagegen verfügt, soweit bekannt, lediglich über Scud-Raketen mit weit geringerer Reichweite.)
Heute ist Bush schweigsam geworden, was Nordkorea angeht. So wird jeder weitere Tag der Duldung der Machenschaften der nordkoreanischen Machthaber zu einem Tag, an dem seine Regierung an Glaubwürdigkeit verliert. Denn es ist schwer zu vermitteln, warum die im September ausgerufene Doktrin eines Präventivschlages zum Schutze der Vereinigten Staaten vor Massenvernichtungsmitteln nur auf den Irak, nicht aber auf das weit gefährlicher erscheinende Nordkorea angewandt wird.
Die US-Regierung setzte sich selbst unter Druck: Noch im Dezember verkündete sie vollmundig:"Wir werden den gefährlichsten Regimen und Terroristen der Welt nicht erlauben, uns mit den zerstörerischsten Waffen der Welt zu bedrohen." Nur: Nordkorea - von Präsident Bush zur"Achse des Bösen" gezählt - scheint davon ausgenommen zu sein.
Die USA müssen irrlichternden Machthabern wie Nordkoreas Kim Il Sung zusehends als zahnloser Tiger erscheinen. Sie trommeln gegen den Irak, fahren Truppen am Golf auf, doch ihre Rhetorik gegen ähnlich gefährliche oder noch riskantere Staaten hat bisher keine Konsequenzen. Die Rede von der"Achse des Bösen" erscheint wie ein großer Bluff, schreibt Leon Fuerth, Nationaler Sicherheitsberater von Vizepräsident Al Gore von 1993 bis 2000, in der"New York Times". Die Glaubwürdigkeit Bushs und die neue Doktrin des Präventivkrieges verlieren an Wirkung, bevor sie diese entfalten konnte.
Die Amerikaner befinden sich in einer Zwickmühle. Kommt Nordkorea seinem Ziel näher, sie zu Verhandlungen zu zwingen, oder aber baut es seine Nuklearmacht aus? Sollte sich Bush mit Nordkorea diplomatisch verständigen, signalisiert er den Diktatoren der Welt, sie könnten Verhandlungen mit den USA dadurch erreichen, dass sie diese nur stark genug unter Druck setzen. Sollte er Nordkorea nicht vom weiteren Ausbau des Atomprogramms abbringen, bliebe als einzige wirksame Lösung ein Angriff.
Unguter Nebeneffekt eines Versagens der US-Regierung in der Nordkorea-Frage: Amerika-befreundete Staaten wie etwa Japan oder Südkorea würden die Sicherheitsgarantie der USA in Frage stellen und sich in Zukunft möglicherweise auf ihre eigene Stärke verlassen - ein Rüstungswettlauf in Asien wäre die Folge.
Auch innenpolitisch kommt Bush immer stärker in die Bredouille. Der frühere Außenminister Warren Christopher spricht von einer"Fixierung" der Bush-Regierung auf den Irak. Er forderte sie auf, die Karten auf den Tisch zu legen. Sie solle endlich Beweise liefern, aus denen hervorgeht, dass das irakische Waffenarsenal gefährlicher ist als bisher bekannt. Sollte dies nicht der Fall sein, stellen Nordkorea und der internationale Terrorismus ein größeres Risiko dar als Saddam Hussein.
Christopher zog auch die Ansicht von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in Zweifel, wonach die USA fähig seien, an zwei Fronten Krieg zu führen. In seiner Amtszeit, so Christopher, habe sich gezeigt, dass sich das Weiße Haus stets nur auf einen Konfliktherd ausreichend konzentrieren könne.
Der US-Regierung scheinen die Hände gebunden. Ein zweiter Krieg wäre zu viel. Verhandlungen oder die seit Jahren praktizierte Strategie der Isolierung des kommunistischen Landes sind zu wenig. Ob es anschlägt, die bestehenden Sanktionen gegen das siechende Staatswesen noch einmal zu verschärfen, ist fraglich. Es bliebe ohnehin nicht viel mehr übrig, als Nahrungsmittellieferungen nach Nordkorea zu kappen - auf Kosten des hungernden Volkes. Ein moralisch fragwürdiges Vorgehen.
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winkääää
stocksorcerer

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