- David Foster Wallace - „Ich habe Angst vor uns“ - Praxedis, 03.01.2003, 02:07
- Re: David Foster Wallace - Teil 2 - stocksorcerer, 03.01.2003, 08:45
Re: David Foster Wallace - Teil 2
-->„Ich habe Angst vor uns“ (2)
DIE WELT: In Ihrem Roman „Infinite Jest“ krepieren Menschen vor dem Fernseher an den Folgen der ultimativen Unterhaltung.
Wallace: Ich wäre nie so dumm, zu behaupten, dass Unterhaltung generell schlecht ist. Aber ein Leben, in dem Menschen panische Angst vor Langweile haben und so etwas wie Stille nicht mehr ertragen können, erscheint mir doch ziemlich armselig.
DIE WELT: In den US-Medien kommen andere als amerikanische Themen und Interessen kaum vor - warum?
Wallace: Das Verhalten der amerikanischen Regierung gegenüber dem Rest der Welt ist nicht bloße Arroganz, sondern eine ganz natürliche und konsequente Auswirkung unserer Kultur und ihrer Werte. Amerika ist kein bösartiges Land. Wir hatten es nur für eine lange Zeit materiell sehr komfortabel. Wir hätten Hilfe von außen gebraucht, um zu begreifen, dass es noch etwas anderes gibt als Bequemlichkeit. Ich habe große Angst davor, wie die Menschen reagieren werden, wenn all das einfach wegfällt.
DIE WELT: Amerika ist „ein Land im Krieg“. Wie macht sich das für Sie bemerkbar?
Wallace: Auf das allgemeine Gefühl der Verunsicherung reagieren die Menschen, indem sie sich diese modernen, schweren, aufgemotzten Geländewagen kaufen, die aussehen wie Panzer. Damit fühlt sich der einzelne sicherer, verbraucht aber Unmengen von Benzin - und das in einem Land, wo Benzin immer noch ein Fünftel von dem kostet, was es eigentlich kosten sollte. Dieselben Leute wählen Politiker, die bereit sind, im Irak Zivilisten zu töten. Da wird immer gesagt: „Diese wahnsinnigen Fanatiker, sie gönnen uns unsere Freiheit nicht!“ Aber wie dumm muss man sein, um so was zu glauben? Wer hasst schon die Freiheit? Menschen hassen Menschen, nicht die Freiheit. Soviel Angst wie in diesem Moment hatte ich nicht mehr, seit ich ein kleiner Junge war - damals als sich die USA und die Sowjetunion gegenüber standen. Doch heute habe ich mehr Angst vor uns als vor den anderen.
DIE WELT: Was kann man dagegen tun?
Wallace: Natürlich gibt es Möglichkeiten der Rebellion. Man kann bewusst weniger konsumieren und versuchen, seinen Blick auf die Welt eben nicht aus dem Fernseher zu beziehen. Man kann versuchen - so blöd es auch klingt - ein aufmerksamer Bürger seines Landes zu sein. In Amerika ist Rebellion längst ein Klischee, es wird dir als sexy Sache verkauft: verwegene, coole Männer, die für ihr Recht kämpfen... blabla... Aber die Rebellion, die wir jetzt brauchen, ist leider genau das Gegenteil von sexy.
DIE WELT: Begreifen Sie Ironie als ein Mittel der Kritik?
Wallace: In Amerika hat man es in puncto Ironie mit einer seltsamen Situation zu tun. Natürlich ist Ironie immer noch eine Reaktion auf politische Ereignisse, doch in den Medien und in der Unterhaltungsindustrie hat sie eine eher problematische Funktion: die Leute benutzen eine ironische Attitüde nur, um vorzugeben, sie seien mit den Zuständen unzufrieden. Aber eigentlich haben sie sich längst arrangiert. Jemand hat mal gesagt: Ironie ist das Lied eines Vogels, der seinen Käfig liebt. Der Vogel singt davon, wie sehr er sein Eingesperrtsein hasst, aber tatsächlich fühlt er sich ganz wohl in seinem Käfig. Und so kann Ironie in den USA heutzutage beides sein: ein Weckruf und ein Schlafmittel, das Dich einlullen soll.
„Aspekte“ zeigt heute Abend (ZDF, 22.30 Uhr) ein Porträt des Schriftstellers von Miriam Böttger.
Artikel erschienen am 3. Jan 2003
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winkäää
stocksorcerer

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