- Unheimliche Begegnung mit der Macht - RetterderMatrix, 04.01.2003, 11:48
- Re: Mal ein guter Artikel, mit einer Einsicht von erheblicher Tragweite - Tempranillo, 05.01.2003, 01:41
- Re: Was passiert, wenn ein Land keine Macht mehr hat - Tempranillo, 05.01.2003, 02:03
- Re: Was passiert, wenn ein Land keine Macht mehr hat? - Inventor, 05.01.2003, 16:04
- Re: Was passiert, wenn ein Land keine Macht mehr hat - Tempranillo, 05.01.2003, 02:03
- Re: Mal ein guter Artikel, mit einer Einsicht von erheblicher Tragweite - Tempranillo, 05.01.2003, 01:41
Unheimliche Begegnung mit der Macht
-->Unheimliche Begegnung mit der Macht: Die Lust am Diskutieren ist vorbei
Unheimliche Begegnung mit der Macht: Was der Krieg bedroht
Unter den deutschen Bedrückungen in diesen Tagen rangiert der drohende Irak-Krieg weit oben. Aber es ist ein dumpfes Unbehagen; es artikuliert sich nur in Umfragen, kaum mehr in expliziter Kritik. Während früher schon geringfügigste Anlässe antiamerikanische Wortkaskaden in Gang brachten, ist die Präventivschlag-Doktrin, als deren erste Anwendung der Irak-Konflikt herhält, bisher nicht auf größeren Widerstand gestoßen. In den öffentlichen Kommentierungen verwendet man vielmehr allen Scharfsinn auf die Frage, ob Schröder wohl sein Nein gegen den Irak-Feldzug durchhalten könne oder nicht. Man verbreitet sich über die Gefahren einer deutschen"Isolierung" und berichtet im selben Atemzug über den militärischen Aufmarsch am Golf. Auf der einen Seite stehen also die notorischen Wortmeldungen der Medienleute, Politiker, Schriftsteller, auf der anderen Seite steht, säuberlich davon getrennt, das, was sich mit einer offenbar nicht mehr aufzuhaltenden Zwangsläufigkeit ohnehin vollzieht: der Krieg.
Die deutsche Regierung ist, wie man weiß, dagegen, doch sie ist fern davon, das näher zu begründen oder gar eine langfristige alternative Politik zu entwerfen. Schröder begnügt sich mit der Voraussage, daß ein Krieg die Region weiter destabilisieren und außerdem Kräfte vom weiterhin notwendigen Kampf gegen den Terror abziehen werde. Kein Wunder, daß bei einer so schwachen argumentativen Basis alle Kriegsgegner in den Regierungsparteien mit Argusaugen darüber wachen, welchen Vorwand der Kanzler nutzen mag, um von seinem Nein abzurücken. Schröder hat an die SPD jetzt den"dringenden Appell" gerichtet,"Dinge nicht zur Unzeit zu diskutieren, sondern sich an die Fakten zu halten". Die Zeit, da man den Krieg"diskutieren" oder gar eine abweichende Position formulieren konnte, ist offenbar vorbei; wir befinden uns jetzt mitten in einer"Unzeit".
Doch das außenpolitische Programm der CDU macht keinen weniger konzeptionslosen Eindruck. Es läuft auf die Mahnung hinaus, sich auf keinen Fall zu"isolieren", um nicht an"Einfluß" zu verlieren. Einfluß auf was und welcher Grundlage, dazu wagt die Partei keine konkrete Meinung. Angela Merkel spricht gerne von der"Drohkulisse", in die sich einzugliedern Schröder versäumt habe; sie selber aber vermeidet tunlichst, sich dazu zu äußern, unter welchen Voraussetzungen denn nach aufgebauter Drohkulisse für eine christlich-demokratische Partei ein Präventivkrieg akzeptabel sei. Die FDP nimmt die Dinge auf ihre Weise und vermutet, ein Irak-Krieg werde der Bundesregierung als Begründung für eine Anhebung der Mehrwertsteuer dienen - was ja auch schon schlimm genug wäre.
Die Parteien und die anderen Träger der öffentlichen Meinung sehen dem Krieg wie einer Naturgewalt entgegen. Es ist, als erlebten die Deutschen heute zum erstenmal und schockartig eine unheimliche Begegnung mit dem, was"Macht" heißen kann. Diese Begegnung verschlägt ihnen die Sprache. Es ist nicht eine Macht, die man wohlfeil kritisieren kann, so wie die Achtundsechziger ihren Ressentiments gegen"Autoritäten" noch lustvoll-freien Lauf lassen konnten. Vor jener Macht, mit der die Vereinigten Staaten der Welt ihren Willen zum Krieg klarmachen, erstarrt alle Kritik und verstummt. Selten wurde ein Krieg so lange im vorhinein abgewogen und erörtert wie dieser; und doch würde niemand behaupten, daß die Entscheidungen von diesem Diskurs abhängig wären. Was vielmehr so beunruhigt, ist, daß die Macht ihre eigenen Gründe zu haben scheint, die mit denen der äußeren Welt nur zufällig verbunden sind.
Für einen kurzen Moment hatten sich die Deutschen im spätsommerlichen Wahlkampf der schönen Illusion hingegeben, der Macht allein kraft des Gedankens und der Moral die Stirn bieten zu können. Um so größer der Katzenjammer danach: Es scheint so, als hätte alle ein kalter Hauch erfaßt - was vermutlich nicht weniger zur derzeitigen Bedrückung beiträgt als der drohende Krieg selbst. So genau weiß man nicht und will vorläufig auch gar nicht wissen, was wäre, wenn Deutschland einmal tatsächlich in eine"Isolation" gegenüber Amerika und den anderen Nato-Staaten geriete - aber man ahnt, daß es furchtbar wäre. An der"Macht" hängt die"Sicherheit": ökonomische, militärische, politische Sicherheit. Bei Licht besehen, waren die bisherigen amerikanischen Sanktionen gegen Schröders Unbotmäßigkeit noch nicht allzu hart (kein Glückwunsch zur gewonnenen Bundestagswahl), und doch ließen sie auf der symbolischen Ebene keinen Zweifel daran, daß sie bitterernst gemeint waren. Indem sie das übliche diplomatische Spiel unter Freunden für einen Moment gezielt durchbrachen, öffneten sie blitzartig den Horizont auf einen Zustand hin, bei dem die Diplomatie keine Rolle mehr spielt.
Wo die Macht beginnt, hört die Freude am Diskutieren auf. Es genügt zu wissen, daß eine Macht, von der auf eine gar nicht so ferne Weise die eigene Gesellschaft, mit allem, was einem lieb und teuer ist, abhängt, diesen Krieg will und Abweichungen keineswegs als"Meinungsverschiedenheit unter Freunden" toleriert, um alle diskursive Abwägung als akademisches, letztlich also nichtiges Gewäsch abzutun. Als etwas also, das allenfalls in ausdifferenzierten Sondersphären wie"Moral","Kirche" oder"Feuilleton" seine Berechtigung hat, nicht aber auf jener Ebene, auf der es um das tatsächliche Handeln geht. Also verzichtet man darauf,"naiv" zu sein, und schweigt lieber. Auf dem Boden dieses neuen Realismus blühen die Sumpfblüten der Ohnmacht: Verschwörungstheorien und Albernheit; zu den erfolgreichsten Büchern der Saison gehören Matthias Bröckers gesammelte Gerüchte zum 11. September und Michael Moores satirischer Schienbeintritt gegen das Bush-Amerika"Stupid White Men".
Das Ohnmachtsgefühl tritt deshalb so stark und schockartig auf, weil das Selbstbewußtsein des Westens doch von einer Herrschaft des Diskurses überzeugt war. Der demokratische Westen definierte sich selbst geradezu als den Raum, in dem der Diskurs über die wesentlichen Wegmarken entschied. Man übersah, daß auch diese Insel der rationalen Verständigung nicht vom Himmel gefallen war, sondern durch sehr konkrete Macht bewehrt ist. Die Sicherheit der Freiheit wird durch den politischen und auch militärischen Druck garantiert, der die Welt einigermaßen im Gleichgewicht hält. Der Druck war unsichtbar, solange es zwischen den Interessen der Macht und den Interessen des Diskurses keinen grundsätzlichen Konflikt zu geben schien.
Jetzt gibt es ihn, und schon schüttet das nun entstehende Ressentiment das Kind mit dem Bade aus: Es verkennt die schlichte Tatsache, daß Amerika natürlich auch heute für Demokratie, Menschenrechte und Gewaltenteilung eintritt. Die Macht, die mit der neuen Sicherheitsdoktrin Amerikas erscheint, ist keineswegs das schlechthin"Andere", das die freiheits- und friedensliebende Diskursgesellschaft nur noch aus vollem Herzen bekämpfen müßte. Sie bildet einen blinden Fleck ebendieser Diskursgesellschaft selbst. Die Macht ist ihr verborgener Kern, den sie erst verstehen und akzeptieren muß, bevor sie zu einer Kritik ihrer Politik gelangen kann.
Sowenig der Diskurs in der internationalen Politik herrschaftsfrei sein kann, so gefährdet ist auf Dauer jede Macht, die auf den Diskurs verzichten zu können glaubt. Deshalb ist gerade jetzt die Zeit gekommen zu diskutieren: jetzt, da sich die deutsche Regierung als Mitglied des Sicherheitsrats offenbar mit den Fragen von Macht und Gegenmacht zu beschäftigen beginnt. Es geht nicht um den Irak-Krieg allein. Keine außenpolitische Strategie wird Bestand haben, wenn sie sich nicht mit der Präventivschlag-Doktrin konfrontiert, die den Boden der seit dreihundertfünfzig Jahren den Diskurs sichernden Macht aufs Spiel setzt. Gäbe es gegen die Allianz von Tyrannen mit Terroristen kein anderes Mittel als Krieg, wäre der Westfälische Frieden immer noch nicht geschlossen.
MARK SIEMONS
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.01.2003, Nr. 3 / Seite 29
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