- Graf Lambsdorff: Ukraine und Marokko irgendwann in der EU - Tempranillo, 04.01.2003, 21:06
Graf Lambsdorff: Ukraine und Marokko irgendwann in der EU
-->Lambsdorffs Beitrag in der WamS enthält wenig interessssantes, abesehen von den Andeutungen, dass die Ukraine und Marokko eines Tages EU-Mitglieder sein könnten. Deutschland zahlt, sagte man damals, so wie es heute wieder zahlen wird. Da Lambsdorff zu den bestinformierten Männern gehört - Trilaterale Kommission, CFR und was weiß ich nicht noch was - verdienen seine Andeutungen und Spekulationen Aufmerksamkeit.
Wenn ich einen Hang zum Risiko hätte, würde ich jetzt wetten, dass nach Marokko irgendwann auch Israel EU- und NATO-Mitglied sein wird. Das sind wir unserer historischen Verantwortung doch schuldig? Aussenkuscher Fischer wird sicher mal ins Archiv steigen und finden, dass Anno Wilhelmi II mal deutsche Kanonenboote vor der nordafrkanischen Küste gekreuzt haben."Deshalb sind wir jetzt verpflichtet für die armen Menschen und schwachen Kinderlein der kargen Wüste den Geldbeutel zu zücken." So oder so ähnlich wird es laufen, falls nicht der deutsche Staatsbankrott dazwischen kommt.
Für diese Art der Politik hatte Otto von Bismarck, voller Verachtung, nur ein Wort übrig: GEFÜHLSPOLITIK, im Gegensatz zur Interessenpolitik. Vielleicht ist der Hang zum Gefühl - warum denke ich gerade an die Aufschrift auf den Präsern"gefühlsecht"? - der Grund weshalb bei uns die abgestandensten Tittenmonster, Küss die Hand Frau Merkel, nach oben gespült werden?
Das Fundament für Europa fehlt
Die EU-Osterweiterung erfordert drastische Reformen
von Dr. Otto Graf Lambsdorff
Zur Osterweiterung der Europäischen Union gibt es keine vernünftige Alternative. Politisch ist sie längst überfällig. Unsere Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen sprechen für sie. Zudem stärkt die Osterweiterung das Gewicht und den Einfluss Europas in der Welt. Seit dem Gipfel in Kopenhagen ist der Beitritt - wie der Maltas und Zyperns - endlich beschlossene Sache.
Stimmen jedoch die Grundlagen, insbesondere die wirtschaftlichen für die erweiterte Union? Ist das, was nun auf unserem Kontinent entsteht, solide fundiert und damit dauerhaft stabil? Genau diese Frage kann ich nicht mit gutem Gewissen mit Ja beantworten.
Bereits bei der Grundsteinlegung für ein vereintes Europa stand zwar ein politisches Anliegen im Vordergrund: Die dauerhafte Befriedigung Europas nach zwei Weltkriegen. Motor des Einigungsprozesses war jedoch schon damals das gemeinsame ökonomische Interesse, zunächst an der Montanunion, später in der EWG, aktuell ist es der gemeinsame Binnenmarkt und für zwölf Mitgliedsländer ist es der Euro.
Auch für die Zukunft der EU wird es daher zentral sein, ob die wirtschaftlichen Voraussetzungen stimmen - bei uns und in den Beitrittsländern.
In Deutschland sehe ich große Defizite. Viele weisen darauf hin, dass Deutschland am meisten von den offenen Märkten im Osten der EU profitieren wird. Diese Marktgewinne in Osteuropa sind eher ein Wechsel auf die Zukunft. Schon jetzt sind wir relativ starke Handelspartner, allein wegen der räumlichen Nähe, und nehmen im Prinzip damit die Osterweiterung der EU teilweise vorweg. Andere EU-Partner werden nun stärker als zuvor ihre Chance suchen.
In den Binnenmarkt mit Osteuropa starten wir mit gravierenden Handicaps aus dem erweiterten Europa. Verkrustungen in zentralen Bereichen unserer Volkswirtschaft, wie dem Arbeitsmarkt, hemmen Anpassungen und behindern Innovationen, die unsere Wettbewerbsfähigkeit sichern könnten. Die Globalisierung, neue Techniken und die demographische Entwicklung führen uns schon heute diese Defizite vor Augen. Morgen stehen wir unter dem erhöhten Anpassungsdruck aus den neuen Mitgliedstaaten. Er wird bei uns Kosten und Härten verursachen, die uns erspart geblieben wären, hätten wir bereits strukturelle Reformen vorangetrieben, den Haushalt konsolidiert, den Arbeitsmarkt flexibler gestaltet, die Steuern nachhaltig gesenkt, die Lohnnebenkosten im Griff.
Auch in den Beitrittsländern wird sich bald zeigen, dass die EU nicht der Himmel ist. Die Umsetzung des Acquis Communitaire mit vielen hunderten von Regeln ist eine Last. Auch werden ihre Bürger bald sehen, dass letztlich die finanzielle Seite der Gemeinschaftspolitiken unzufrieden stellend gelöst ist. Die armen neuen Mitglieder der EU werden noch einige Zeit nicht als Vollmitglieder behandelt. Schon jetzt gibt es eine Diskussion in Ungarn darüber, wer bereit ist, bei den nächsten Wahlen 2006 die Verantwortung für den Beitritt zu übernehmen, wenn dann eine gewisse europäische Katerstimmung herrscht.
Auch für die Europäische Union wurden die wirtschaftlichen Grundfragen bei der jetzt beschlossenen Erweiterung nach bewährter europäischer Manier behandelt. Kompromisse nach dem Modell „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" treten an die Stelle notwendiger konzeptioneller Änderungen.
Sie hätten schon längst seit Beginn der 90er-Jahre, seit dem Abschluss der Europa-Abkommen mit Ungarn und Polen, in Angriff genommen werden müssen, in den einzelnen Politikbereichen, bei der Kommission, bei den Verfahren, um Europa auf seine neue Dimension vorzubereiten. Dass sie nicht, allenfalls lustlos und stückweise, angegangen wurden, ist eine schwere Hypothek für das Europa der 25.
Im neuen Europa werden nun Reformentscheidungen immer dringlicher und zugleich durch die schiere Zahl seiner Mitglieder immer schwerer. Zudem erleichtert das düstere weltwirtschaftliche Umfeld auch 2003 Reformen nicht.
So sind die europäische Struktur- und Agrarpolitik auf den Beitritt nicht vorbereitet. Die EU wird im Durchschnitt ärmer. Die Wohlstandskluft zwischen den Beitrittsländern und der EU und zwischen den einzelnen Regionen wird größer als jemals zuvor. Das Gewicht des landwirtschaftlichen Sektors nimmt zu.
Eigentlich müssten die wichtigsten Fördergebiete der altehrwürdigen Mitgliedstaaten aus der Förderung fallen, alle Beitrittsländer darin aufgenommen werden. In der Agrarpolitik gesteht man den Beitrittsländern weniger zu, als man sich in der alten EU selbst genehmigt. Die in Kopenhagen beschlossenen Lösungen sind allenfalls Zwischenschritte zur grundlegenden Reform.
Sicher ist auch: Europa ist mit dem Beitritt der ost- und südosteuropäischen Staaten nicht mehr das Europa Adenauers, Schumans, und de Gasperis. Es wird vielfältiger, aber daher auch weniger integriert, als es ein Europa der sechs oder zwölf sein konnte. Vertiefung und Erweiterung geraten faktisch in Konflikt. Die Erweiterung erfordert mehr Spielraum für die Mitgliedstaaten. Eine Antwort auf diese Herausforderung ist die strikte Anwendung des Subsidiaritätsprinzips, statt noch mehr Zentralismus aus Brüssel.
Weitere Antworten drängen sich auf. Oft wurde in der Vergangenheit von einem Europa à la carte, von einem Kern-Europa, von einem Europa der zwei Geschwindigkeiten geredet. Meines Erachtens beschreiben diese Denkmodelle realistisch Aspekte der Zukunft des größeren Europas. Der elitäre Klub der zwölf Euro-Länder gerät sogar in die Minderheit. Von vielen ist diese lockere Integration sicherlich gewollt, ich denke an das Vereinigte Königreich und Spanien. Mit Kopenhagen haben auch wir sie faktisch akzeptiert. Besteht aber nicht die Gefahr, dass das berühmte europäische Fahrrad zwar fährt und deswegen stabil bleibt, wir jedoch nicht mehr wissen, welches Ziel wir anstreben? Wann ist das vereinte Europa vollendet?
Grundsätzlich fehlt uns als Fundament für Europa eine Konzeption für das neue Europa. Ob der europäische Konvent sie entwickeln kann - da habe ich Zweifel. Die Diskussion über den Beitritt der Türkei, vielleicht in Zukunft der Ukraine oder Marokkos, wird uns deutlich machen, dass uns die ursprüngliche europäische Vision verloren gegangen ist.
Kopenhagen war der Aufbruch in ein anderes Europa - in vielerlei Hinsicht. Die Erweiterung ist eine große Chance. Aber wenn wir Mühen und Kosten für grundlegende Reformen in der EU und national scheuen, werden wir sie nicht ergreifen können. Eine schlecht gehandhabte Vereinigung von West- und Osteuropa kann uns politisch und wirtschaftlich jahrzehntelang enorm belasten. Man braucht nur die Lehre aus der deutschen Vereinigung zu ziehen.
Artikel erschienen am 5. Jan 2003

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