- Die Schlacht der Veteranen - Trixx, 06.01.2003, 00:31
- Ein wahrlich erschütternder Bericht (owT) - Shakur, 06.01.2003, 07:27
Die Schlacht der Veteranen
-->Die Schlacht der Veteranen
Martin Kilian
Zahlreiche Amerikaner, die im Golfkrieg kämpften, warnen vor einem Militärschlag gegen Saddam Hussein. Wer sind die Leute, die den irakischen Tyrannen eigentlich loswerden wollen, aber der Regierung Bush mit höchster Skepsis gegenüberstehen?
«Essen fühlte sich an wie zerbrochenes Glas, Getränke wie Säure»: Golfkriegsveteran Kirt Love, 2001.
Ein zweiter Feldzug gegen Saddam Hussein? «Wissen Sie was? Wenn Rumsfeld und Bush ihren Krieg unbedingt wollen, sollen sie zuerst gehen - an der Spitze der Truppen, die sie kommandieren, vorneweg im ersten Fahrzeug», sagt der ehemalige Gefreite Kirt Love. Entrüstung schwingt in seiner Stimme. «Ich bin ein Veteran, Bush ist es nicht.»
Kirt Love, der Golfkriegsveteran. Vor zwölf Jahren zog er in die Schlacht gegen Saddam; seitdem ist sein Leben zerbröckelt, stückweise auseinander gefallen. Er lebt im Shenandoah-Tal in Virginia, jetzt sitzt er im Schnellrestaurant eines Einkaufszentrums in Harrisonburg, ohne etwas zu sich zu nehmen. Essen und Trinken tut weh, weil Kirt Love am mysteriösen Golfkriegssyndrom leidet.
O ja, er empört sich. Manchmal wird seine Stimme dabei schneidend, und Verachtung quillt aus ihr, Verachtung für die Kriegsherren und Bürokraten der amerikanischen Militärmaschine, der er selbst einmal angehörte. «Das Ganze ekelt mich an», sagt Kirt Love. Man muss es sich vorstellen: Von 567000 amerikanischen GIs, die 1991 Kuwait befreiten, haben 307000 ein Veteranenhospital zwecks medizinischer Behandlung aufgesucht. Nahezu 200000 Veteranen reichten einen Antrag auf Arbeitsunfähigkeit ein. Doch niemand weiss, wodurch sie erkrankt sind. Im Pentagon wird gemunkelt, manche täuschten ihre Krankheiten vor. Was die Erbitterung der Veteranen enorm steigert. Nochmals Krieg gegen Saddam? Nicht für die verlorenen Brigaden der Kriegsversehrten. Wer gesund ist, möchte vielleicht wieder in den Krieg ziehen. Endlich das Schwein in Bagdad abräumen. Aber begeistert von einer neuerlichen Schlacht im Irak ist niemand.
Im Juni 1991 gab man ihnen zu Ehren eine Siegesparade in Washington. Nach der unrühmlichen Heimkehr der Vietnamveteranen sollten amerikanische Krieger diesmal gebührend empfangen werden. Beeindruckend war der Aufmarsch. 83 Kampfflugzeuge donnerten über die Constitution Avenue südlich des Weissen Hauses. Die Ketten der Kampfpanzer schnitten Kerben in den warmen Sommerasphalt. Modernste Waffen wurden ausgestellt, damit die Schaulustigen die Ausrüstung ihrer Streitkräfte bestaunen konnten. 800000 Amerikaner säumten den Weg der Parade. Der Präsident nahm den Aufmarsch ab. Vor Beginn der Parade hatte er auf dem Heldenfriedhof Arlington einen Kranz niedergelegt. Er hoffe, «dieses Mal war das letzte Mal», hatte der Präsident gesagt.
Jetzt ist der Sohn des damaligen Präsidenten der Oberbefehlshaber. Und wieder liegt Krieg in der Luft. Von einem «letzten Mal» kann keine Rede sein; stattdessen droht eine Neuauflage von 1991. «Warum durften wir ihn 1991 nicht verjagen?», fragen die Veteranen. «Wir waren ausser uns», beschreibt Kirt Love den Moment des Waffenstillstands. Er kämpfte in jener Division, die in einem Umgehungsmanöver Saddams Truppen aufrollte. «Acht Uhr morgens war es, als der Waffenstillstand in Kraft trat, doch wir waren weit von Bagdad entfernt, hatten Saddam noch nicht getötet und fragten uns, was zur Hölle los ist.» In der irakischen Wüste beobachtete Love, wie ägyptische und britische Truppen noch zehn Minuten weiterfeuerten. «Überall waren wütende Schreie zu hören.» Aber der Krieg war - zu früh, wie viele Veteranen meinen - zu Ende. Und Saddam hatte überlebt.
Der Argwohn ist grenzenlos
Der Ex-Feldwebel Kevin Gregory wäre durchaus für einen weiteren Krieg gegen den Diktator zu haben. Auch er hält den damaligen Waffenstillstand für einen Fehler. «Wir waren verärgert, als wir stoppten, weil wir den Krieg doch zu einem guten Ende bringen wollten.» Die Parade haben sie längst verdrängt, die Veteranen. Denn auf die Euphorie, gesiegt zu haben, am Leben zu sein und lediglich 378 amerikanische Gefallene beklagen zu müssen, folgte Ernüchterung. Viele wurden krank. Und niemand wusste warum. Steve Robinson, als Angehöriger amerikanischer Sonderkräfte im Golfkrieg, leitet das National Gulf War Resource Center, eine Anlaufstelle für malade Veteranen, in Silver Spring im Staat Maryland. Er kennt ihre Bedenken. «Kranke Veteranen lehnen einen zweiten Krieg ab», sagt er. Sie schauten sich an und sagten: «Mein Gott, wir können doch nicht zurückgehen und das noch mal machen, obwohl Leute wie ich überhaupt nicht versorgt worden sind.» Ihr Argwohn ist grenzenlos. Vielleicht ist ihre Gesundheit ruiniert worden, weil sie Spuren von irakischen Chemiewaffen ausgesetzt wurden. Vielleicht plagen sie Schmerzen, weil sie dabei waren, als Saddams Gift von amerikanischen Spezialisten in die Luft gejagt wurde. Oder weil das abgereicherte Uran panzerbrechender amerikanischer Munition ihre Körper verseuchte. Was immer ihr Malaise verursachte: Nie mehr!
Wären die Soldaten eines neuen Kriegs besser gewappnet? «Ich glaube nicht», sagt Steve Robinson. Noch immer würden «fehlerhafte chemische Schutzanzüge» verwendet. Regelmässig nimmt Robinson die Telefonate aktiver Soldaten entgegen. «Sie wollen wissen, was sie tun können, um sich zu schützen.» Keineswegs sei er «antiamerikanisch oder gegen einen Krieg», aber er wisse eben, dass 1991 Fehler gemacht worden seien, sagt Robinson. Den Anrufern rät er, auch auf die Fehlalarme der chemischen Messgeräte zu achten. «Setzt die Gasmaske auf, egal, ob es ein falscher oder echter Alarm ist.»
Robinson will nicht ausschliessen, dass mancher Veteran später als Zivilist durchknallte, weil er im Krieg vergiftet worden war. Oder ihn sonst etwas verdarb, etwas Unbekanntes, bislang Rätselhaftes. Veteranen rasteten tatsächlich aus. Da sind die mordenden Ehe-männer in der Garnison Fort Bragg in North Carolina. Drei der vier, die in diesem Jahr ihre Ehefrauen umbrachten, hatten im Golfkrieg gedient. Amerikas Massenmörder Nummer eins, der Ex-Gefreite Timothy McVeigh, war auch ein Veteran des Golfkriegs. Bevor er 168 Menschen in Oklahoma City mit einer Lastwagenbombe tötete und dafür hingerichtet wurde, hatte er Freunden anvertraut, eigentlich hätte er sich nach der Rückkehr vom Golfkrieg einer psychologischen Beratung unterziehen sollen.
John Muhammad, der Heckenschütze von Washington, ist gleichfalls ein Golfkriegsveteran. Seine frühere Ehefrau behauptet, der Krieg habe ihn stark verändert. Und in Arizona erschoss der Veteran Robert Flores kürzlich drei seiner Professoren. «Sind Sie bereit, Ihrem Schöpfer entgegenzutreten?», fragte Flores sein Opfer Barbara Monroe. Dann drückte er dreimal ab. Nach dem Golfkrieg war das Leben für Flores zum Fluch geworden. Schwere Störungen des Verdauungstrakts quälten ihn täglich. Dafür verantwortlich machte der Veteran «die Windrichtung, als Pioniere Munition und Bunker sprengten, in denen Nervengas gelagert hat». So stand es in seinem Abschiedsbrief.
Hoher Grad von Gewaltbereitschaft
Exakte Zahlen über die Gewalttätigkeit von Golfkriegsveteranen gibt es nicht. Vielleicht ist die Annahme, sie neigten zu Gewalt, nur eine Erfindung der regen amerikanischen Einbildung. Von vielen Vietnamveteranen hiess es auch, sie seien psychisch gestört und eine Gefahr für die Allgemeinheit. Andererseits meint der Neurologe und Psychiater William Baumzweiger, die Veteranen des Golfkriegs wiesen «einen sehr hohen Grad» von Gewaltbereitschaft auf. Baumzweiger ist auf die Behandlung kranker Veteranen spezialisiert. Nicht auszuschliessen, dass er bald neue Patienten erhält.
«Die Schutzanzüge funktionieren nicht, die Alarme auch nicht - das sieht nach einer Wiederholung von 1991 aus», befürchtet der Veteran Eric Gustafson. Er sitzt am Schreibtisch seines kleinen Büros unweit des Kongressgebäudes in Washington. Er diente bei einer Pionierbrigade, und er ist überzeugt, «dass wir 1991 das Richtige gemacht haben». Einem neuerlichen Krieg steht Gustafson trotzdem mit erheblicher Skepsis gegenüber. Zusammen mit andern kriegskritischen Golfveteranen gründete er deshalb die Gruppe Veterans for Common Sense. Sie sammeln Unterschriften von Veteranen gegen einen vorschnellen Krieg im Irak.
Seine Erlebnisse bewegen Eric Gustafson noch immer. Hautnah erlebte er den Schrecken des modernen Kriegs. «Kuwait City nach der Befreiung, der Highway des Todes, diese unfassbare Zerstörung, das Blutbad - es war unbeschreiblich», sagt er. Der «traditionellen Friedensbewegung» begegnet der Veteran dennoch mit kritischer Distanz. «Sie sagen dies und sagen das, ohne viele Menschen oder amerikanische Werte damit anzusprechen.» Gustafsons erklärtes Ziel ist es, die Amerikaner über die Folgen eines neuen Krieges aufzuklären. Vor allem, was die irakische Bevölkerung anbelangt. «Das andere Irak» liegt ihm am Herzen, «jenes Irak, das doppelt belagert wird: von Saddam wie von den Wirtschaftssanktionen». Die kleinen Leute eben.
Soweit es Eric Gustafson beurteilen kann, sind die Reaktionen der Veteranen auf eine Invasion des Irak gemischt. Ehemalige Kampftruppen seien eher dafür, da sie in ihrem Glauben bestärkt würden, damals «auf der richtigen Seite» gestanden zu haben. Viele seien jedoch enttäuscht: «Wir haben diese furchtbaren Dinge auf dem Schlachtfeld getan, um danach einfach auf und davon zu marschieren und Saddam an der Macht zu lassen», erklärt Gustafson ihre Stimmung. Er lehnt sich zurück. «Die Idee, einen Krieg anzufangen, um Saddam loszuwerden, und dabei Zehntausende von Irakern zu töten, ist grundsätzlich falsch.»
Der ehemalige Gefreite Gustafson, US Army, 864. Pionier-Kampfbataillon, 1. Corps, bedenkt laut das Dilemma: Saddam wäre er liebend gern los, «aber wie und zu welchem Preis?» Rumsfeld und die Falken scheinen Gustafson «unglaublich naiv». Denn jetzt stehe Saddam Hussein mit dem Rücken zur Wand, und irakische Kommandeure «verteidigen ihre Heimat». Vielleicht würden sie deshalb «ihr chemisches Arsenal» in die Schlacht werfen. «Das könnte eine hohe Zahl amerikanischer Toter zur Folge haben und sicherlich sehr hohe irakische Verluste.» Weshalb die Veterans for Common Sense zu Vorsicht raten. Nichts übereilen! Krieg nur im äussersten Notfall und nach Absegnung durch die Vereinten Nationen! Eine internationale Koalition, bitte schön! Und vor allem dafür sorgen, dass die GIs vor chemischen Waffen geschützt werden.
Das Vertrauen ist hin
Dafür, sagt Gustafson, brauchte es «die Stimmen derer, die schon einmal auf diesem Schlachtfeld waren» - Veteranen wie er oder Joyce Riley, die im Golfkrieg als Krankenschwester im Rang eines Hauptmanns diente und jetzt Sprecherin der American Gulf War Veterans Association ist, einer Veteranenlobby in Versailles im Staat Missouri. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Präsident ist ihr ein Gräuel. Hallo Welt: Bitte gegen George W. Bush aufstehen! Den Krieg verhindern! Spielraum für Interpretation gibt es bei Joyce Riley nicht. Dagegen! Punktum! Sie habe «nicht mit einem einzigen Veteranen gesprochen, der für diesen Krieg ist».
Joyce Riley glaubt, 1990 vom älteren Bush manipuliert worden zu sein. Freiwillig habe sie sich zum Kommiss gemeldet. «Ich habe dem Präsidenten vertraut, als er sagte, die Iraker hätten kuwaitische Babys aus den Brutkästen geworfen.» Was sich später als Lüge erwies. Aber der gesamte Golfkrieg sei «ein Betrug» gewesen. Wer hätte 1991 schon geahnt, dass die Regierung Reagan Chemikalien und Bakterien, darunter Milzbrand, an Saddam geliefert und wissentlich zugesehen habe, wie Saddam iranische Truppen vergaste? Wenn Rumsfeld heute behaupte, davon nichts zu wissen, sei das eine «absolute Lüge». Joyce Riley spricht sehr bestimmt, hörbar ist der aufgestaute Ärger. Ihr Ehemann David leidet am Golfkriegs- syndrom.
Mysteriöse Krankheiten? «Nichts», sagt Riley, «erbittert Veteranen mehr als die Vorstellung rätselhafter Krankheiten.» Was passiert sei, liege doch auf der Hand. Die Ursachen seien bekannt: zweifelhafte Impfungen. Giftgas. Abgereichertes Uran. Weiss der Teufel, was in die Körper der Veteranen floss oder was sie einatmeten. Und wegen dieser Lügen und Unterschlagungen grassiere jetzt in der Armee das Misstrauen. «Die Truppen sind nicht glücklich», behauptet Riley. Sie rede mit aktiven Soldaten, «sogar mit Angehörigen von Spezialeinheiten». Schutz vor chemischen Attacken? «Absolut keiner!» 1991 waren viele Schutzanzüge defekt. Warum also sollten die Soldaten den Kriegsherren diesmal vertrauen? «Haben die seither ein religiöses Erweckungserlebnis gehabt?» Die Krankenschwester Joyce Riley fühlt sich hintergangen. «99 von 100 Veteranen sagen mir, dass sie einen neuen Krieg nicht unterstützen», behauptet sie. Ätzende Enttäuschung tropft aus ihren Sätzen. Wir sind verheizt worden, will sie sagen.
Kehrtwende des Modelloffiziers
Der ehemalige Flugarzt David Wiggins würde ihr zustimmen. Ein Star der Armee war er. Lag auf Rang 23 unter eintausend Offiziersanwärtern beim Abschluss an der Armeeakademie West Point. Danach absolvierte er ein Medizinstudium und arbeitete am renommierten Walter-Reed-Armeehospital in Washington. «Ich war ein Modelloffizier», sagt Wiggins. Bis er im Februar 1990 im Büro seines Kommandeurs erschien und Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen beantragte. «Ich habe eine 180-Grad-Kehrtwendung vollzogen und den Preis dafür bezahlt.»
Trotz seines Gesuchs wurde Wiggins im Dezember 1990 nach Saudi-Arabien verfrachtet. Er trat in den Hungerstreik. Am Weihnachtsabend 1990 besuchte der Generalstabsvorsitzende Colin Powell die Truppen. Zusammen sangen sie am Ende des Weihnachtsgottesdienstes «Lass Friede auf Erden sein». Eine «bizarre Szene», erinnert sich Wiggins.
Im Januar 1991 zog sich Doktor Wiggins aus Protest gegen die Verschleppung seines Antrags auf einer Strassenkreuzung in Saudi-Arabien bis auf seine langen Unterhosen aus, worauf ihn die Militärpolizei zur psychiatrischen Beobachtung abtransportierte. Nachdem ihm ein gesunder Geist attestiert worden war, stellte ihn die Armee vor ein Kriegsgericht und warf ihn hinaus. «Ich schäme mich für unsere Politiker, die erneut in einen Krieg ziehen wollen», sagt der Arzt. Und wer in diesem Krieg kämpfe, werde nicht die Interessen von David Wiggins vertreten.
Auch Charles Sheehan-Miles lehnt einen neuen Krieg ab. Schon aus Prinzip. Nach dem Ende des Golfkrieges verweigerte der Panzersoldat den Wehrdienst. Ein Tag im Februar 1991 blieb in seinem Kopf kleben. Eine amerikanische Panzerbrigade beschoss einen irakischen Konvoi, worauf ein Tanklastwagen mit Benzin explodierte und sich brennender Treibstoff über das folgende Fahrzeug ergoss. Irakische Soldaten sassen darin. Sheehan-Miles sah zu, wie die Iraker verbrannten. Danach konnte er nicht mehr schlafen. Mit dem Krieg war er fertig. Mit allem Krieg. Den Rest seiner Dienstzeit verbrachte Sheehan-Miles in einer Schreibstube. Mit Eric Gustafson rief er die Veterans for Common Sense ins Leben.
Kirt Love, der Veteran aus dem Shenandoah-Tal, ist kein Pazifist. Er führt Krieg. Für sich, für seine kranken Mitveteranen, gegen jene, denen er die Misslichkeit seines Lebens zur Last legt. Im Golfkrieg war er mittendrin und vornedran. «Bizarre Sachen» habe er erlebt, sagt Love. Und Junge, hat er Glück gehabt! «Ich war überzeugt, Saddam würde von seinen Gaswaffen Gebrauch machen.» Vor dem Abmarsch an den Golf lud der Gefreite Love «body bags» auf Lastwagen. Für diejenigen GIs, die nicht vom Schlachtfeld zurückkehren würden. «Ich habe meinem Vorgesetzten gesagt: Sergeant, kann ich einen ‹body bag› mit meinen Initialen haben?» Der Sergeant fand es nicht lustig.
Als der Krieg begann, schlugen die Chemiewaffen-Warngeräte aus. Love warf sich mehrmals in seinen Schutzanzug. Im Mai 1991, als die Schlacht geschlagen war, sah er zu, wie irakische Munitionsbunker von amerikanischen Sprengmeistern demoliert wurden. «Die redeten über die dort verstauten chemischen Waffen.» War den Soldaten die Gefahr bewusst? «O nein, wir wurden nicht gewarnt.» Die Ahnungslosen erlebten ein märchenhaftes Feuerwerk: «Die Chemikalien brannten in verschiedenen Farben ab.» Ein toller Trip! Später behauptete das Pentagon, Kirt Love sei 35 Kilometer von der Sprengung entfernt gewesen. «Dabei waren es nicht einmal anderthalb Kilometer; du konntest dorthin laufen.»
Bereits ausgemustert, wurde Love im Frühjahr 1993 krank. «Ich konnte weder essen noch trinken und hatte unglaubliche Schmerzen.» Mahlzeiten fühlten sich an «wie zerbrochenes Glas, Getränke wie Batteriesäure». Bald stellten sich «Gelenkschmerzen, Erinnerungsstörungen, Migränen und neurologische Probleme» ein. Love verlor das Gefühl in Händen und Füssen, spürte weder Kälte noch Wärme, noch Schmerz. «Ich hatte keine Ahnung, was das war, und von Khamisiyah hatte ich nie gehört.» Im irakischen Khamisiyah hatten amerikanische Pioniere ein chemisches Waffenlager Saddams vernichtet. Laut Veteranengruppen wurden dabei über 100000 amerikanische Soldaten dem Kampfstoff Sarin ausgesetzt.
Khamisiyah wurde zum Symbol. Denn Khamisiyah war überall. Im Staub des abgereicherten Urans war Khamisiyah, in den dunklen Schwaden der brennenden kuwaitischen Ã-lfelder, im Anthrax-Impfstoff. Als Kirt Love das vermeintliche Puzzle zusammenfügte, überkam ihn Wut. Dass sowohl das Pentagon als auch das Veteranenministerium hartnäckig die Existenz spezifischer Krankheiten leugneten, empfand nicht nur Love als schrecklichen Verrat an den Golfkriegern. Verschwörungstheorien erblühten wie giftige Blumen. Beschuldigungen, manche davon abstrus, flogen Richtung Washington, wo die Bürokratie zunächst jede Verbindung zwischen den kranken Veteranen und ihrem Kriegsdienst abwies, um schliesslich nach Jahren einzuräumen, die Symptome bedürften eingehender Untersuchung.
Jeden Monat ein 103-Dollar-Scheck
Im Juni stellte ein wissenschaftliches Beratergremium des Veteranenministeriums in einem Report fest, die Krankheiten könnten «nicht ausreichend durch den Einsatzstress, Kriegstrauma oder psychiatrische Diagnosen wie posttraumatischen Stress erklärt werden». Kirt Love war die abweisenden Bescheide des Veteranenministeriums bereits 1997 leid und wandte sich direkt ans Weisse Haus. Er konnte kaum arbeiten, war arm und fühlte sich elend. Man gewährte ihm eine zehnprozentige Versehrtheit, abgegolten durch einen monatlichen Scheck in Höhe von 103 Dollar.
«Mein Fall ist einer von Hunderttausenden», sagt Love. Zäh hat er sich in den einen permanenten Kleinkrieg gegen die Bürokratie verbissen, ein amerikanischer Michael Kohlhaas, der mit Hilfe des Freedom of Information Act Anträge auf die Herausgabe geheimer Dokumente stellt und die Bürokratie nervt. Dass ein neuer Krieg gegen Saddam auf der Tagesordnung des Präsidenten steht, kann Love kaum fassen. «Ich muss mit meiner Krankheit jeden Tag leben und möchte nicht, dass es diesen 21- oder 22-jährigen Kids, die in den Krieg ziehen würden, später wie mir ergeht», sagt er. Überhaupt hält er nichts davon, amerikanische Soldaten rings um den Globus «zur Beherrschung der Welt» einzusetzen. Sie sollen die Vereinigten Staaten schützen, mehr nicht.
Auf einem Blatt Papier malt Love kleine Kreise. Sie repräsentieren verschiedene Veteranengruppen und diverse Behörden. Irgendwo inmitten der Kringel befindet sich der Ex-Gefreite Kirt Love, ein winziger Fremdkörper in einem Gewirr von Zahnrädern, aber beileibe kein Einzelfall.
«Ich bin immer nervös, und mein Körper benimmt sich, als rase er mit 300 Stundenkilometern... Ich zittere und schwitze... Angstzustände und Depression beherrschen mein Leben», schrieb ein wegen Totschlags inhaftierter Golfkriegsveteran an Steve Robinson - Zustandsbeschreibung eines abgewrackten Fusssoldaten, kleines Treibholz nur im Fluss der grossen Politik.
<ul> ~ http://www.weltwoche.ch/ressort_bericht.asp?asset_id=4023&category_id=60</ul>

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