- Der Mörtel der Nation - Cujo, 09.01.2003, 16:26
Der Mörtel der Nation
-->SPIEGEL ONLINE - 09. Januar 2003, 13:21
URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,229880,00.html
Bundespräsident Rau
Mörtel der Nation
Von Severin Weiland
Bei seinem Amtsantritt 1999 galt Johannes Rau vielen als zu alt und unzeitgemäß. Doch seit die Republik in der Krise ist, trifft der Bundespräsident mit seinen versöhnlichen Botschaften den Nerv der Deutschen - und erfreut sich ungeahnter Popularität.
AP
Bundespräsident Rau: Wann bekennt er Farbe?
Berlin - Wer den Bundespräsidenten beim Neujahrsempfang im Schloss Bellevue beobachtet, der findet einen aufgeräumten Mann vor. Einen, der nur von einer kurzen Pause unterbrochen über zwei Stunden die Glückwünsche zum neuen Jahr entgegennimmt. Einen, dem kaum anzumerken ist, dass er Mitte Januar 72 wird und sich in den vergangenen Jahren zweier schwerer Operationen unterziehen musste.
Wie er so dasteht neben seiner Frau Christina, für jeden ein freundliches Lächeln und ein nettes Wort übrig hat, wie er seinen Ziehsohn in Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, ironisch mit"Herr Superminister" begrüßt, da wirkt er nicht wie jemand, der ans Aufgeben denkt. Die 70 Bürger, die der Präsident an diesem kalten Januartag nach Berlin geladen hat, können die öffentliche Debatte über das Für und Wider einer zweiten Amtszeit ohnehin nur schwer nachvollziehen. Sie fühlen sich wie Michael Ebert geehrt. Der 33-Jährige ist Rettungssanitäter und hat im Sommer Menschen vor den Fluten gerettet. Er findet, dass Rau"gut rüberkommt" und"sehr vertrauenswürdig" sei. Die mancherorts vorgetragene Klage über das hohe Alter des höchsten Mannes an der Spitze pariert Ebert mit einer spitzen Bemerkung:"Wer ist denn in unserer Regierung schon richtig jung?" Und dann macht er sich auf den Weg zu seinen vier Kollegen, mit denen er wenig später an Johannes Rau vorbeidefilieren wird und sich zum Gruppenfoto zusammenstellt.
Mehr als drei Jahre ist Rau nun im Amt, dass er einmal als seinen"Lebenstraum" bezeichnet hat. Im Mai 2004 steht die Wahl des Bundespräsidenten erneut an, und noch ist unklar, ob er wieder antritt. In der SPD gibt es - wieder einmal - Stimmen, die sich eine Frau an der Spitze wünschen. Bis in die Kabinettsriege hinein werden solche Äußerungen gemacht - hinter vorgehaltener Hand, versteht sich. Und dann ist da noch die ungewisse Machtbalance in dem Wahlgremium, der Bundesversammlung - schon jetzt, vor den Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen, Bremen und Bayern ist Rot-Grün auf die Hilfe von PDS und FDP angewiesen.
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Schröders Lob für Rau:"Wir haben einen sehr guten Bundespräsidenten"
Der Kanzler, den Rau beim Neujahrsempfang ebenfalls begrüßt, hat im SPIEGEL-Interview Zustimmung für eine erneute Amtszeit des Bundespräsidenten signalisiert. Zwar nicht betont überschwänglich - Rau habe"das erste Wort". Aber immerhin - Gerhard Schröder hat sich geäußert. Dahinter zurück kann er nicht. Der Bundespräsident wird solche Botschaften zu verstehen wissen.
Es gab schließlich andere, härtere Zeiten für ihn. Er hat sie überstanden. Schon vor seinem Amtsantritt im September 1999 galt er vielen in der SPD als Mann des Übergangs. Damals wie heute wurde sein Alter ins Spiel gebracht. Es ist eine Melodie, die seine Kritiker zu spielen wissen. Dabei war Rau bei seiner Wahl im Mai 1999 nicht mal der älteste Spitzenrepräsentant im Staate - als sein Vorbild Gustav Heinemann 1969 Bundespräsident wurde, war dieser knapp 70. Über Heinemanns Alter wurde nicht gespottet - über Raus schon.
"Ich will der Mörtel der Gesellschaft sein"
Für den Westfalen gab es keine Schonfrist - auch der Bundespräsident musste erleben, dass die Medienwelt gnadenloser geworden ist. Vom ersten Tag an in Berlin wurde Rau behandelt wie ein Museumstück. Vielleicht auch, weil er mit allem Nachdruck auf das Amt gedrängt hatte - und seine Partei nicht anders konnte, als es ihm schließlich zu geben."100 Tage mit Rau sind wie 100 Tage ohne Rau", schrieb die"Welt" und traf damit die Stimmung der ersten Monate. Rau schien unausweichlich im Schatten seiner Amtsvorgänger Richard von Weizsäcker und Roman Herzog zu stehen. Nun hat sich das Meinungsklima gewendet. Eigentlich hat Rau dazu nichts getan. Er ist einfach nur er selbst geblieben - wie ein Langstreckenläufer, der auf den letzten Runden weiß, dass es irgendwie gut ausgehen wird.
Als Rau das höchste Staatsamt antrat, herrschte in der Republik ein Art verspäteter Jugendwahn. Die"Generation Golf" in der New Economy, an den Börsen und in manchen Verlagshäusern scheffelte Geld wie es die"Generation Rau" nie tun konnte. Das ist nun vorbei. Schlagartig. Die Jungen sind sprachlos geworden - nur Rau redet wie immer und dringt mit seinen Botschaften sogar durch."Ich will nicht provozieren, ich will Mörtel sein in unserer Gesellschaft", verkündete er einst als seine"Mission"- und wirkte damit in Zeiten des Booms wie ein Börsianer, der aus Anhänglichkeit an der falschen Aktie festhält.
Er sucht gezielter die"großen Auftritte" aus
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Rau und Ehefrau Christina: Die drei Kinder vor der Medienöffentlichkeit abgeschirmt
Rau hat die Kritik an seinem Amtsstil getroffen - geändert hat er ihn nicht. Zumindest nicht grundsätzlich. Er hielt weniger Reden. Als er spürte, dass er nicht wahrgenommen wurde, suchte er die"großen Auftritte" gezielter aus. Zugleich war ihm der Lauf der Geschichte zuträglich: Die Wirtschaft begab sich auf Talfahrt, die Koalition kam aus dem Tritt, ein Krieg am Golf scheint unausweichlich - in solchen Zeiten sehnen sich die Menschen nach Halt. Und weil die Deutschen dabei sind, eine Gesellschaft der Alten zu werden, klingen die Botschaften ihres ältesten Repräsentanten so weltfremd nun nicht mehr.
"Die großen Lebensrisiken" wie Gesundheit und Rente, hat er kürzlich erklärt,"dürfen nicht privatisiert werden". Zwar fügte er im selben Atemzug hinzu, dass manches"Anspruchsdenken" zurückgenommen werden müsste. Doch seine Kritik an den Zuständen im Lande, sie wird überwölkt vom anderen, vom sanften Rau, dem Mann, der als höchstes Glück einst"Harmonie" nannte. Mit seiner Tonlage trifft Rau in diesen Monaten die Seelenlage einer an sich selbst zweifelnden Nation: Die Menschen wissen, dass sich manches ändern muss, aber sie wollen nicht alles ändern und schon gar nicht grundsätzlich.
Die Rede als Waffe
Selbst die Medien, die Rau schon abgeschrieben hatten, bevor er überhaupt anfing, sind mit einem Mal milde gestimmt. Gelobt wurde seine Rede zur Gentechnik, mit der er erstmals wirklich öffentliche Wirkung entfaltete."Ohne Grenzen, ohne Begrenzung gibt es kein Maß", erklärte er damals. Es war eine Rede, die sich auch im Ausdruck wohltuend abhob vom Mittelmaß sonstiger Beiträge im politischen Geschäft. Auch daran hat Rau - Kosename"Bruder Johannes" - festgehalten, trotz mancher Spöttelei über seinen pastoralen Tonfall: Dass es ein Bedürfnis nach einer Sprache gibt, die sich nicht wie Satzbausteine aus dem Computer anhört. Daher ist es wohl kein Zufall, dass Rau, von der Ã-ffentlichkeit kaum bemerkt, kürzlich die Initiative"Jugend debattiert" ins Leben rief. Sie soll, wie er selbst erklärte, der"Verarmung und Verballhornung" der Sprache entgegenwirken.
Wo Rau die Gelegenheit geboten wurde, sein Amt gewichtig auszuspielen, hat er die Chance genutzt. Es war sein Glücksfall, dass während seiner Amtszeit die Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes im Bundesrat fiel. In den Wochen nach der turbulenten Sitzung der Länderkammer wurde den Deutschen wieder einmal ins Gedächtnis gerufen, dass ihr Präsident auch ein Gesetz stoppen kann. Als er dann, nach eingehender Beratung mit Fachleuten und Beamten seines Hauses es dennoch unterzeichnete, blieb er seinem auf Ausgleich bedachten Stil treu. Denn er überließ es dem Bundesverfassungsgericht, das Zustandekommen in der Länderkammer zu überprüfen. Mit diesem Schritt empfahl er sich vor allem bei CDU und CSU, die nach Karlsruhe gezogen waren und dort schließlich auch mit ihrer Klage gewannen."Eine Lektion in politischer Anständigkeit" nannte die"Süddeutsche Zeitung" sein Verhalten.
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Spöttelei über den pastoralen Tonfall:"Bruder Johannes" im Urlaub auf Spiekeroog
Das Lob, das seitdem auf Rau nieder geht wie ein warmer Sommerregen, wird den erfahrenen Berufspolitiker freuen, aber wohl nicht übermütig werden lassen. Er weiß, dass sich politische Stimmungen nicht anders verhalten als das Auf und Ab der Konjunktur. Bis zum Mai 2004 ist es noch lange hin. Rau wird ausloten, wie stark die Sehnsucht in der SPD nach einer weiblichen Kandidatin ist. Denn wenn er sich äußert, das ahnt er, kann seine Partei nicht mehr an ihm vorbei. Dann hieße es: Rau statt Frau. Alles andere, eine monatelange Diskussion, würde das Amt gehörig beschädigen.
Manche munkeln, Rau werde sich noch im Januar äußern, vor den Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Konkrete Hinweise fehlen bislang. Stattdessen spielt Rau, der einst selbst Journalist war, in diesen Wochen mit den Medien. Die erste Amtszeit, meinte er kürzlich, mache ihm"Freude". So lädt er zum Interpretieren ein - und daran wird Rau, der gerne Witze erzählt, wohl seinen gehörigen Spaß haben.

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