- In den Untergang mit Gefühlspolitik und lauwarmen Sentimentalitäten - Tempranillo, 10.01.2003, 16:29
In den Untergang mit Gefühlspolitik und lauwarmen Sentimentalitäten
-->Warum ich Gefühlspolitik für ein absolutes Unglück halte. Weil ich fürchte, dass wir damit unseren eigenen Untergang herbeiführen werden. Es ist in diesem Zusammenhang vollkommen gleichgültig, von wo aus die GEFÜÜHHLE gespeist werden, ob die Treibstoffquelle oberhalb oder unterhalb der Gürtellinie liegt.
Wie keiner vor und leider auch nach ihm hat Otto von Bismarck die Probleme, die von einer lauwarmen, von körperwarmen Emotionalitäten bestimmten Politik mit sich bringt, auf den Punkt gebracht. Ich erlaube mir zu zitieren, die Sätze sind zu schön um wahr zu sein, man muss nur"Preussen" durch"Bundesrepublik" Deutschland ersetzen und schon fällt es wie Schuppen von den Augen. Bismarck in einem Brief an Leopold von Gerlach (2. Mai 1857, in: Bismarck-Briefe, hrsgg. v. H. Rothfels, Göttingen 1955, S. 209):
"... daß ich den Maßstab für mein Verhalten gegen fremde Regierungen nicht aus stagnierenden Antipathien, sondern aus der Schädlichkeit oder Nützlichkeit für Preußen. welche ich ihnen beilege, entnehme. In der GEFÜHLSPOLITIK ist gar keine Reciprocität (Anm.: Gegenseitigkeit), sie ist eine ausschließlich preußische Eigentümlichkeit; jede andere Regierung nimmt lediglich ihre Interessen zum Maßstabe ihrer Handlungen, wie sie dieselbe auch mit rechtlichen oder gefühlvollen Deductionen drapieren mag."
Jetzt kommt etwas, das jeder deutsche Staatsbürger auwendig lernen sollte wie das Vaterunser, weil es so ziemlich alles erklärt, was in der EU und auf anderen Ebenen abläuft:
"Man acceptiert unsere Gefühle, beutet sie aus, rechnet darauf, daß sie uns nicht gestatten, uns dieser Ausbeutung zu entziehen, und behandelt uns danach, d.h. man dankt uns nicht einmal dafür und behandelt uns als brauchbare dupe (Anm.: nützliche Idioten)."
Im Unterschied zur Gefühlspolitik, die Bismarck in seiner unnachahmlichen Art beschrieben hat, benennt er noch zwei andere Formen der Politik. Machtpolitik, wenn man, ich greife wieder auf Bismarck zurück, wie die Kolonialmacht Grossbritannien andere Länder unter seine Vorherrschaft zu bringen versucht, oder Interessenpolitik, die immer die oberste Richtschnur des fälschlicherweise als"eisern" bezeichneten Kanzelers war. Was darunter zu verstehen ist, hat er selbst wieder unübertrefflich formuliert. Der Anlass war ein triumphaler Empfang, der Bismarck 1892 nach seinem Rücktritt in Wien bereitet wurde. Bismarck, der 1866 einen Krieg gegen Ã-sterreich geführt - Königgrätz, Radetzky, ja, der mit dem Marsch - war von den Sympathiebekundungen so gerührt, dass er einen Journalisten den Neuen Freien Presse gebeten hat, eine Danksagung zu veröffentlichen. Der von dem Charme und der Liebenswürdigkeit Bismarcks tief gerührte Moritz Benedikt, hat die Sätze mitstenographiert. Bismarck erklärt, weshalb er gegen Ã-sterreich Krieg geführt hat; Hervorhebungen von mir:
"Ich habe eben als Staatsmann MEINES Landes gehandelt, die Politik MEINES Landes vertreten, das war doch natürlich selbstverständlich. Seither ist ein Umschwung eingetreten, das Bündnis wurde geschlossen (Anm.: die Allianz Deutschland, Ã-sterreich, Russland) welches dem gemeinsamen Interesse dient" (Bismarck-Gespräche, Bd. 3, S. 210).
Bezogen auf die heutige Zeit drängen sich sofort folgende Schlussfolgerungen auf:
1. Macht- und Interessenpolitik wird von den USA, Grossbritannien und den anderen EU-Nationen betrieben, bestimmt nicht von Deutschland. Wie in den Zeiten Bismarcks geht es darum, andere Länder unter fremde Vorherrschaft zu bringen, sei es Afghanistan, den Irak oder Deutschland.
2. Durch seinen Hang zur Gefühlspolitik betreibt Deutschland seine eigene Auflösung (s.a. Karl-Albrecht Schachtschneider), wahrscheinlich sogar seinen Untergang.
3. Gefühlspolitik ist das wahre Movens von WK 1, WK 2 (Hitler, Auschwitz, Stalingrad) und der jetzigen Verschleuderung elemtarster Interessen. Ob diese Art der Emotionalisierung von Männern oder Frauen ins Werk gesetzt wird, ist völlig sekundär. Fakt ist, Emotion, Gefühl und Romantik gelten allgemein als eher weibliche denn männliche Verhaltensweisen. Ob das in dieser Form stichhaltig ist, kann ich nicht sagen, interessiert mich auch nicht, mich interessiert einzig und allein die Sache.
4. Die Emotionalisierung, besser Privatisierung der politischen Auseinandersetzung (BILD über Stoiber:"Liebevoll nennt er seine Frau zu Hause Muschi.") dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach ein Ablenkungsmanöver sein."Man acceptiert unserer Gefühle, beutet sie aus..."
5. Karl Marx war klüger als der deutsche Durchschnitts-Trottel. Er nannte Bismarck"Königlich-Preussischer Revolutionär." Seltsam, dass der Preussiche König Friedrich Wilhelm IV ebenfalls die Ambivalenz der grossen Staatmanns erkannt hat. Er hat Bismarck schon 1848 in seinem Tagebuch als"Roten Reaktionär" bezeichnet.
FAZIT: Es scheint dringend geboten, sämtliche Vorurteile auf den Prüfstand zu stellen, auch jene, an die wir aus Schicklichkeitsgründen nicht zu rühren wagen. Politik ist etwas anderes als der Wiener Opernball. Wer eine Dame zum Donauwalzer bittet und einen Handkuss anbringt, verhält sich als ein, wenn auch etwas angestaubter, Kavalier. Wer dagegen glaubt, in der politischen Diskussion ähnliche Rücksichten walten lassen zu müssen, betreibt, ob er will oder nicht, unser aller Untergang.
Dabei ist es doch so einfach: Man muss nur wissen, wo man ist, auf dem Wiener Opernball oder in der politischen Arena, wozu ich auch das EW-Board zählen würde.
Tempranillo

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