- Kaufen, wenn die Kanonen (noch nicht) donnern? - yatri, 22.01.2003, 20:42
Kaufen, wenn die Kanonen (noch nicht) donnern?
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"Politische Börsen haben kurze Beine", so lautet eine alte Börsianer-Weisheit. Bei zahlreichen Wahlentscheidungen hat sich diese Parole durchaus bewährt, doch im Moment erfahren wir, dass es auch Ausnahmen von der Regel gibt: Seit dem Herbst sind die Finanzmärkte im Würgegriff der Irak-Krise. Solange nicht klar ist, ob und wann es zum Krieg kommt oder inwieweit Saddam Hussein mit friedlichen Mitteln aus dem Amt gejagt werden kann, wird die Stimmung jeden Tag nervöser. Am nächsten Montag erstattet Chefinspektor Hans Blix dem UN-Sicherheitsrat einen ersten Zwischenbericht, durch den angesichts der Entschlossenheit Präsident Bushs schon eine Vorentscheidung im Hinblick auf einen Einmarsch ausgelöst werden könnte. Unabhängig davon, dass Krieg (wie auch die Gewaltherrschaft Saddams) immer eine menschliche Tragödie ist, provoziert dies die Frage, wie Anleger sich für den"Tag X" vorbereiten können, um ihr Depot krisenfest zu machen oder sogar aus der politischen Entwicklung Kapital zu schlagen, was aus ethischer Sicht natürlich jeder für sich kritisch reflektieren sollte.
Szenario 1:"Hängepartie" setzt sich fort
Prinzipiell sind für die nächsten drei Monate - Planungen auf noch längere Sicht sind unserer Meinung nach Makulatur - vier Szenarien denkbar: Die erste Möglichkeit ist, dass der UN-Sicherheitsrat unter Einschluss der USA beschließt, den Waffeninspektoren mehr Zeit einzuräumen. So sinnvoll diese Option im Interesse einer diplomatischen Lösung wäre, an der Börse würde die"Hängepartie" in die Verlängerung gehen. Je nach aktueller Meldungslage würden die Aktienbörsen kurzfristige Ausschläge nach unten und oben verzeichnen, wobei die Gesamttendenz angesichts der weiter zunehmenden Unsicherheit eher nach unten zeigen würde. Ein Unterschreiten der Tiefststände aus dem letzten Herbst muss für diesen Fall einkalkuliert werden, während Ã-l durchaus noch 10 bis 20 Prozent zulegen könnte. Wer diese Möglichkeit für die wahrscheinlichste hält, kommt an Discount-Zertifikaten mit niedrigem Cap (etwa 20 bis 30 Prozent unter den aktuellen Index-Ständen) nicht vorbei. Auch Gold ("Open End"-Zertifikate, AMEX Gold Bugs,"Open End"-Turbos) gehört dann auf jeden Fall ins Depot. Spekulative Anleger können"Turbos" auf Gold beimischen, sollten diese aber unbedingt mit Stopp-Kursen absichern.
Szenario 2: Freiwillige Demission Saddams
Aus humanitärer Sicht wünschenswert wäre dagegen ein anderes Szenario, nämlich die freiwillige Demission Saddams ohne kriegerische Auseinandersetzung. In diesem Fall, von allen Optionen sicherlich die unwahrscheinlichste, dürfte es an den Aktienbörsen zumindest kurzfristig zu einem Aufatmen kommen. Ausgehend vom jetzigen Niveau ist eine 10- bis 15pro-zentige Rallye keine Utopie. Sowohl klassische Index-Zertifikate als auch"Turbo Bull"-Papiere auf DAX, EURO STOXX und S&P500 versprechen dann gute Gewinne. Riskant dabei ist allerdings das Timing: Je länger es bis zum Rückzug Saddams dauert, umso mehr könnte man zwischenzeitlich in die Verlustzone rutschen. Mögliche Gewinne sollten dann schnell mitgenommen bzw. mit nachziehenden Stopp-Kursen abgesichert werden - denn alsbald wird man sich die Frage nach dem"Was nun?" stellen. Ein Machtvakuum im von rivalisierenden Stämmen gekennzeichneten Irak ist ebenfalls nicht ungefährlich. Außerdem wäre die Lage beim Ã-l weiterhin kritisch - auch wenn wir die Bemühungen der USA als in erster Linie politisch motiviert werten (Vermeidung eines"zweiten Nordkorea), spielt der Zugriff auf die Ã-lreserven in den strategischen Überlegungen des Weißen Hauses sicher eine Rolle. Geht Saddam ins Exil, ist diese Frage weiterhin ungeklärt, was künftig neue Konflikte provozieren könnte.
Szenario 3: Erfolgreicher Blitzkrieg
Das aus Sicht der Börse"positivste" Szenario ist dagegen, so pervers sich dies auch anhört, ein schneller militärischer Erfolg. Wenn es den USA gelingt, mit flächendeckenden Bombardements die militärische Infrastruktur des Irak zügig zu zerschlagen, die Entscheidungsschlacht um Bagdad ohne viele Opfer zu gewinnen, Saddam samt Regime zu stürzen und dann eine neutrale (in der Praxis wohl sehr amerikafreundliche) Administration unter Führung der Uno zu installieren, wird dies die Börsen in einem lange nicht mehr gekannten Ausmaß stimulieren. Denn zum einen sind dann die Unsicherheiten mit einem Schlag beseitigt, zum anderen käme es zu einer völligen Neuordnung der Ã-l-Wirt-schaft. Wenn die notorisch verschwenderischen Amerikaner auch nur indirekt Zugriff auf die zweitgrößten Ã-lreserven der Welt erhalten, wird dies die OPEC aushebeln und den Ã-lpreis ebenso schnell wie dauerhaft auf ein Niveau von 20 US-Dollar oder sogar weniger drücken. Die Weltkonjunktur hätte endlich die dringend benötigte Initialzündung, das durch das Handelsdefizit und die Überschuldung der privaten Haushalte längst marode Wirtschaftssystem der USA würde eine letzte große Blütezeit erleben. Unter diesen Prämissen wären für konservative Investoren Index-Zertifikate bzw."Turbo Bull"-Papiere für spekulative Anleger schon auf dem aktuellen Niveau eine Top-Investition, an der man dann mehrere Jahre hintereinander seine Freude haben könnte. Darüber hinaus winken mit einem"Short Turbo"-Engagement auf Ã-l Renditen im deutlich dreistelligen Prozentbereich - vor allem, wenn noch nicht heute, sondern in den ersten Tagen des Krieges geordert wird, wenn es nochmals zu einem kurzfristigen Ã-lpreis-Anstieg kommen könnte.
Möglichkeit 4: Ein zweites Vietnam
Last, but not least das schlimmste Szenario - ein baldiger Einmarsch, der jedoch kein rasches und erfolgreiches Ende findet, sondern sich zu einem zweiten Vietnam entwickelt: Tausende Opfer im Bodenkrieg, brennende Ã-lquellen, Raketen auf Israel, Terroranschläge in westlichen Metropolen. Für die ohnehin schlappe Weltkonjunktur, wäre dies der ultimative Todesstoß; eine auf diese Weise entstehende globale Rezession könnte sogar die Krise von der Dreißiger Jahre in den Schatten stellen. Wenn es wirklich soweit kommen sollte, muss man"short" in Aktien sein und"long" im Ã-l, das dann durchaus auf 50 US-Dollar und mehr schnellen kann. Zwar ist fraglich, ob unser Leben unter derartigen Prämissen überhaupt noch dasselbe ist wie heute, doch wer die Entwicklung dermaßen pessimistisch einschätzt, kann so zumindest versuchen, das auf die menschlich-ökologische Katastrophe folgende finanzielle Desaster abzumildern.
Empfehlung: Safety first
Auch wenn wir persönlich momentan die Möglichkeiten eins und drei für am wahrscheinlichsten halten, erscheint uns eine explizite Empfehlung für eine der aus den Szenarien resultierende Strategie nicht nur aus menschlicher Sicht kritisch - die Gefahr von Fehldispositionen ist immens. Wir raten deshalb, nicht auf den maximal möglichen Gewinn zu schielen, sondern das Risiko zu begrenzen. Das kann nur heißen: Anleihen-ähnliche Discount-Zertifikate mit niedrigem Cap und Gold sind weiterhin erste Wahl. Überhaupt nicht sinnvoll erscheinen dagegen politisch motivierte Spekulationen auf die Währungsrelation Euro / US-Dollar, denn bei allem Kriegsgeschrei ist zu beachten, dass hier auch noch andere Faktoren wie etwa das Zinsgefälle eine Rolle spielen. Deshalb erwarten wir hier zunächst keine größeren Bewegungen mehr. Stattdessen sollten mutige Anleger sich einen kleinen Teil ihres Kapitals besser für den"Tag X" aufheben, um dann mit"Turbos" auf Aktien und"Short Turbos" auf Ã-l auf einen Durchmarsch der USA zu setzen - denn einiges spricht dafür, dass man die militärische Stärke des Irak heute ähnlich überschätzt wie schon vor dem ersten Golfkrieg 1990.
ausdem aktuellen: Zertifikate Journal kompakt
Ausgabe Nr. 03/03 vom 22. Januar 2003 · Deutsche Bibliothek ISSN 1610-0301

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