- Taktische Spielchen zur kommenden Mehrwertsteuer-Erhöhung - Popeye, 31.01.2003, 09:31
Taktische Spielchen zur kommenden Mehrwertsteuer-Erhöhung
-->Alle lehnen eine höhere Umsatzsteuer ab - aber das heißt nicht viel
Alle Politiker lehnen eine höhere Umsatzsteuer ab - doch Zweifel bleiben / Von Manfred Schäfers
BERLIN, 30. Januar. An diesem Freitag werden Koalition und Opposition gemeinsam, aber durch unterschiedliche Anträge getrennt, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer im Bundestag offiziell verteufeln. Doch nach den Erfahrungen von früher heißt das nicht viel. Wenn sich die Finanzpolitiker von Bund und Ländern im Vermittlungsverfahren nicht über die Steueränderungen einigen können, mit denen Finanzminister Hans Eichel (SPD) die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden entlasten will, könnte eine Mehrwertsteuer-Erhöhung schnell zu kleinsten gemeinsamen Nenner werden. Das hat einen einfachen Grund: Sie ist fiskalisch ergiebig wie kaum eine andere Finanzquelle, sie wird indirekt mit jedem Verkauf oder jeder Dienstleistung erhoben und ist damit weniger spürbar als der direkte Steuerabzug vom Lohn, und sie ist in Deutschland trotz mehrfacher Erhöhungen im europäischen Vergleich immer noch vergleichsweise niedrig. Ein Prozentpunkt mehr würde rund 7,5 Milliarden Euro in die Kassen von Bund und Ländern spülen. Das alles läßt die Mehrwertsteuer für die Finanzminister jeglicher Coleur aus Bund und Ländern so begehrenswert erscheinen.
In der Not haben die Parteien jeglicher Couleur stets auf die Umsatzsteuer zurückgegriffen. Allein seit Ende der siebziger Jahre wurde sie fünfmal erhöht. Mit schätzungsweise 142 Milliarden Euro erreicht sie in diesem Jahr fast das Aufkommen der wichtigsten direkten Steuer: Die Lohn- und Einkommensteuer soll gut 145 Milliarden Euro einbringen. Zum bisher letzten Mal wurde die Mehrwertsteuer 1998 erhöht, um einen weiteren Anstieg des Rentenbeitragsatzes zu verhindern. Der Normalsatz beträgt seither 16 Prozent. Ein ermäßigter Satz von 7 Prozent gilt für Lebensmittel, den Personennahverkehr sowie den Verkauf von Büchern, Zeitungen und Kunstgegenstände.
Die aktuelle Diskussion um die Mehrwertsteuer hat der DGB-Vorsitzende Michael Sommer angestoßen. Er hatte angeregt, die Mehrwertsteuer um zwei Punkte zu erhöhen, um mit dem Geld die Lohnnebenkosten zu senken. Seither wird dieser Gedanke immer wieder aufgegriffen. Zuletzt hatten so gegensätzliche Interessenvertreter wie Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und der IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel sich öffentlich in dieser Richtung geäußert. Zuvor hatte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), eine solche Koppelung als möglich bezeichnet. Dagegen spricht: Weder die jüngste Mehrwertsteuererhöhung noch die mittlerweile fünf Stufen der Ã-kosteuer, die ebenfalls diesem Ziel dienten, haben die Abgaben-Dynamik stoppen können.
Alternativ wird über ein Koppelgeschäft nach dem Muster spekuliert: schnellere Entlastung bei der Einkommensteuer und dafür 2 Prozentpunkte mehr Umsatzsteuer. Doch wäre das für die privaten Haushalte vermutlich ein schlechtes Geschäft. Für ein Vorziehen der Entlastung um ein Jahr müßten sie dauerhaft mehr zahlen, wenn sie zum Friseur gehen oder im Kaufhaus einkaufen.
Doch hat die Mehrwertsteuer im Vergleich zur Lohnsteuer einen Vorteil: Nicht die Einkommenserzielung wird belastet, sondern allein der Konsum. Daher gilt sie als weniger leistungshemmend. Seit der Wiedervereinigung wurden die indirekten Steuern (wozu auch die Einfuhrumsatzsteuer, Zölle, Mineralölsteuern und andere spezielle Verbrauchsteuern gerechnet werden) immer wichtiger. Ihr Anteil am Gesamtsteueraufkommen beträgt nunmehr rund 52 Prozent.
Während die Einkommensteuer durch den Tarifverlauf Gutverdiener stärker belastet, trifft die Mehrwertsteuer einkommenSschwache Haushalte überdurchschnittlich, da diese traditionell weniger sparen und mehr konsumieren. Ein Gutachten, welches das Finanzministerium jüngst veröffentlicht hat, bestätigt dies. Danach wird das untere Zehntel der Haushalte durch die Mehrwertsteuer mit etwa 10 Prozent ihres Nettoeinkommens belastet. Demgegenüber liegt die relative Belastung für das obere Zehntel bei weniger als 6 Prozent. Doch würde dies nur etwa ein Drittel der Progressivität der Einkommensteuer ausgleichen, heißt es weiter.
Das heutige Mehrwertsteuersystem gibt es seit 1968. Irreführenderweise wird offiziell immer noch von Umsatzsteuer gesprochen. Nur bis 1968 trug sie diesen Namen zu Recht. Bis dahin wurde ein einheitliche Steuersatz (zunächst 3, dann 4 und später 5 Prozent) bei jedem Verkauf oder auf jede Dienstleistung erhoben. Dies begünstigte Konzerne. Denn wenn unter einem Dach ein grOßer Teil der Wertschöpfung ablief, war die Steuerlast geringer. Demgegenüber wurde bei jedem Verkauf von einem Unternehmen zum anderen bis aus dem Rohmaterial das Endprodukt wurde, jedes Mal von neuem die Umsatzsteuer fällig. So wirkte die sogenannte Bruttoallphasen-Umsatzsteuer konzentrationsfördernd.
Seit es die neue Mehrwertsteuer gibt, kann sich jedes Unternehmen den Steueranteil erstatten lassen, den es auf ein Vorprodukt gezahlt hat. Hat zum Beispiel ein Heizungsmonteur Rohre im Wert von 5000 Euro gekauft, dann ist zunächst eine Mehrwertsteuer von 800 Euro fällig. Sie zahlt der Rohrproduzent an das Finanzamt. Der Heizungsmonteur installiert die neue Anlage und verlangt dafür 20 000 Euro. Entsprechend sind 3200 Euro Mehrwertsteuer vom Abnehmer zu zahlen. Der Handwerker kann die Steuer von 800 Euro, die mit dem Kauf der Vorprodukte fällig war, als sogenannte Vorsteuer vom Finanzamt zurückholen. Für den Mehrwert von 15 000 Euro, den er leistet, fällt bei ihm eine effektive Steuerlast von 2400 Euro an. Bei Dienstleistungen, für die wenig Vorprodukte gebraucht werden, sind solche Arbeiten ohne Rechnung zwar illegal, aber für beide Seiten attraktiv. Der Handwerker kann etwas mehr verlangen und der Kunde kommt immer noch günstiger davon. Jede Erhöhung der Mehrwertsteuer verstärkt daher den Anreiz zur Schwarzarbeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.01.2003, Nr. 26 / Seite 15

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