- Marmor, Stein und Eisen bricht... (über Europa+USA-Vorurteile) - marocki4, 31.01.2003, 11:33
Marmor, Stein und Eisen bricht... (über Europa+USA-Vorurteile)
-->Marmor, Stein und Eisen bricht...
Martin Kilian
Hier die feminine Zicke Europa, dort die virile Supermacht Amerika: Je näher der Waffengang gegen Saddam Hussein rückt, desto verächtlicher behandelt die Regierung Bush die widerspenstigen Verbündeten. Woher rührt das historische Zerwürfnis?
Krieg oder kein Krieg? Die Entscheidung über das Schicksal des Diktators in Bagdad rückt unerbittlich näher, die bisherigen Erkundungen der Waffeninspektoren, so ihr Chef, der Schwede Hans Blix, beim Zwischenbericht vor den Vereinten Nationen, lassen indes kein abschliessendes Urteil zu. Weitere Inspektionen möchten Blix und die Regierungen der Europäischen Union, sei es, um den Verschleierungen Saddam Husseins auf die Spur zu kommen oder um einen drohenden Krieg abzuwenden.
Ein entschiedeneres und schnelleres Vorgehen verlangt hingegen die Regierung George W. Bush. Und hinter dem diplomatischen Tauziehen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten wird ein Zerwürfnis sichtbar, das selbst die Turbulenzen der Nachrüstungskrise der achtziger Jahre übertrifft. Der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, ein erregbarer Mann ohne grosse Geduld mit den quertreiberischen Europäern, spricht dunkel vom «alten» und somit abgetakelten Europa der Kriegsgegner Frankreich und Deutschland, worauf die 15 Aussenminister der Europäischen Union ihm geschlossen antworteten: Wir sind allesamt «alte» Europäer, wir fordern gemeinsam mehr Zeit für Inspektionen im Irak.
So fliegen Beschuldigungen und Verdächtigungen hin und her, vertiefen den transatlantischen Riss und fördern die bange Vermutung, nun stehe womöglich ein Ende des atlantischen Konsenses an und damit eine historische Zäsur. Brüchig geworden ist der Leim, der de Gaulle und die Raketenkrise, die deutsche Wiedervereinigung und diverse Handelsstreitereien überdauert hat.In Europa grassiert Antiamerikanismus, derweil sich in den Vereinigten Staaten antieuropäische Ausfälle häufen.
Schwingen aber beim Antiamerikanismus neben der Verdammung amerikanischer Politik und Praktiken wie der Todesstrafe auch Neid und unterschwellige Bewunderung für die Vereinigten Staaten mit, so missfällt am amerikanischen Antieuropäismus vor allem die tiefe Verachtung. «Wen kümmert es, was die Europäer denken?», fragt der konservative TV-Talkshowmaster Tucker Carlson und befindet: «Der gesamte Kontinent ist für amerikanische Interessen zunehmend irrelevant.»
«Affen der Kapitulation»
Carlsons Arroganz kennzeichnet den prägnantesten Unterschied zwischen antiamerikanischen und antieuropäischen Ressentiments: Antieuropäisch gibt sich das konservative Amerika, antiamerikanisch hingegen tönt das Europa links der Mitte. Im europäischen Wunschdenken fällt Bill Clinton der Ehrenpreis des «guten Amerikaners» zu, George W. Bush aber füllt die Rolle des schiesswütigen Sheriffs ohne Rücksichten auf die lauen Befindlichkeiten der Europäer.
Die amerikanische Reaktion darauf ist längst in vollem Gange und zielt zunächst auf das historische Reibeisen Frankreich. Amüsiert registrierte der britische Gelehrte und Publizist Timothy Garton Ash bei seiner jüngsten Amerikareise die Tiefen amerikanischer Frankophobie. Sie habe sich «sehr oft schmutzig gefühlt», beschrieb eine amerikanische Studentin ihren Aufenthalt in Frankreich, worauf ihr ein Kommilitone versicherte, gewiss sei sie «sauberer» gewesen als französische Männer.
Kaum traute der britische Besucher ob solch hygienischen Ekels seinen Ohren, doch eine Rarität blieb der Vorfall nicht. Wo immer Garton Ash hinhörte: Frankreich geisterte als Buh-Nation durchs amerikanische Denken. So charakterisiert der neokonservative Kolumnist Jonah Goldberg die Franzosen pauschal als «Käse essende Affen der Kapitulation». Sind wirklich erst zwei Jahrhunderte vergangen, seit Thomas Jefferson glaubte, jeder Mensch habe zwei Vaterländer, «sein eigenes und Frankreich».
Nicht nur die renitenten Franzosen aber trifft es: Genüsslich machen sich amerikanische Konservative über die militärische Impotenz Europas lustig, ohne dass man ihnen widersprechen könnte; es brauchte amerikanische Entschlossenheit, um dem Massenmorden im europäischen Balkan-Hinterhof ein Ende zu bereiten. Eher ins Surreale wendet sich der Zwist der zivilisatorischen Verwandten, wenn etwa der amerikanische Stratege und Vordenker Robert Kagan in einem viel beachteten Aufsatz festhält, die Amerikaner seien «vom Mars» und die Europäer «von der Venus» wehrfähig die einen, verweichlicht die anderen. So wird die Rechnung denn mit starkem sexuellem Unterton aufgemacht: hier die feminine Zicke Europa, ja die Brüsseler EU-nuchen, dort die virile Supermacht samt ihrem Power-Penis.
Ernst zu nehmender ist Kagans Behauptung, Europa habe sich in eine kantianische Sphäre von «Gesetzen, Regeln, transnationalen Verhandlungen und Kooperation» bewegt, indes die Vereinigten Staaten «in einer hobbesianischen Welt verbleiben». Hobbes und Kant - beide Aufklärer, der eine am Beginn, der andere am Ende der Aufklärung. Die USA, könnte man Kagan entgegnen, waren schon einmal weiter. Denn nicht der düstere Thomas Hobbes, dessen anarchischer Naturzustand nur durch die geballte Macht des Leviathan zu bezwingen war, wurde bislang als philosophischer Pate Amerikas gefeiert, sondern der aufklärerische und damit subversive John Locke.
Mehr aber trennt die Partner als nur Kant und Hobbes. Europa begreift sich als säkularer Kontinent, während sich die USA stets die religiöseste aller westlichen Gesellschaften, nach dem Schrecken des 11. September mehr denn je als eine Nation unter Gott verstehen. Mit beträchtlichem Staunen verfolgt Europa daher, wenn in Washington Regierung und Kongress mit heiligem Zorn auf einen Gerichtsentscheid reagieren, der die Klausel «unter Gott» aus dem nationalen Gelübde herauszustreichen befiehlt, weil sie der Trennung von Kirche und Staat widerspreche.
Die Traditionen des Südens
Die transatlantischen Verstimmungen entspringen geradeso den nach Einigung wie Mündigkeit strebenden Europäern mitsamt ihrer Angst, vom übermächtigen Amerika an die Wand gedrückt zu werden, wie den tektonischen Verschiebungen der amerikanischen Innenpolitik seit 1968. Der Republikanischen Partei eines Dwight Eisenhower, verankert im amerikanischen Nordosten und im Mittleren Westen, stand das konservative wie sozialdemokratische Europa ähnlich unbekümmert gegenüber wie der Demokratischen Partei eines Adlai Stevenson. Immerhin verstanden sich die intellektuellen Repräsentanten beider Parteien als Teil des Ostküsten-Establishments, stets hielten sie die europäisch-amerikanische Geschäftsgrundlage ein.
Mit Richard Nixons so genannter «Südstaaten-Strategie», mittels subtiler Appelle an Rassenvorurteile der Weissen den überwiegend demokratischen Süden ins republikanische Lager zu ziehen, begann sich jedoch die Basis der Republikanischen Partei zu verschieben. Verliess sich Ronald Reagan noch auf eine Koalition von Südstaaten-Wählern, Kaliforniern und weissen Ethnien im Norden, verdankt George W. Bush seine Wahl vor allem weissen Südstaatlern und den konservativen Bewohnern der Rocky-Mountain-Staaten im Westen. «Aus Abraham Lincolns Partei ist die Partei von Jefferson Davis geworden», beschrieb der Publizist Michael Lind den Wandel der Republikaner. Drei der vier Spitzen der Partei im Kongress stammen aus dem Gebiet der Südstaaten-Konföderation, und bei genauerem Hinsehen entpuppt sich auch der Präsident von Zuschnitt und Ideologie her als «Southerner». Damit zog erstmals seit der Präsidentschaft James Polks im 19. Jahrhundert ein konservativer Südstaatler ins Weisse Haus ein. Woodrow Wilson, Lyndon Johnson, Jimmy Carter und Bill Clinton kamen ebenfalls aus dem amerikanischen Süden, konservativ aber war keiner von ihnen.
Mit Bushs Wahlsieg triumphierten die Traditionen des Südens: Hyperpatriotismus, Vergötterung des Militärs, die Neigung zu gewaltsamer Konfliktlösung. Nicht nur sind die Südstaaten trotz ihrer beträchtlichen afroamerikanischen Minderheiten die konservativste amerikanische Region. Sie sind zudem Hochburg eines aggressiven Protestantismus und Heimat der grossen Mehrheit amerikanischer Fundamentalisten und Evangelikaler. Mehr als andere Landesteile misstraute der Süden stets den Vereinten Nationen. Und mehr als anderswo in den Vereinigten Staaten wird multilaterales Handeln als Verlust amerikanischer Souveränität abgelehnt.
Bushs Wähler im Süden bilden das Rückgrat der neuen Republikanischen Partei, neokonservative Intellektuelle wie William Bennett oder Richard Perle das Gehirn. Weder Fussvolk noch Intelligenzija sind mit den gelassen-moderaten Republikanern von einst vergleichbar, weshalb Europa traditionelle Ansprechpartner verloren hat. Natürlich widerspiegelt auch der Präsident die neue Republikanische Partei: Er beginnt den Tag auf den Knien beim Gebet, vor Kabinettssitzungen wird ebenfalls gebetet, und auf die Frage, wer sein «politischer Lieblingsphilosoph» sei, antwortete George W. Bush bekanntlich: Jesus Christus. In seinem Buch «Bush at War» schreibt Starjournalist Bob Woodward, der Präsident kleide seinen Auftrag «in eine grosse Vision von Gottes Meisterplan».
Manichäisch wird so die Welt in Gut und Böse eingeteilt. Und den Europäern fällt in Bushs Universum die gleiche Rolle zu wie vielen Demokraten und linksliberalen Intellektuellen an den Küsten, sei es in Boston, New York, Washington, Los Angeles oder San Francisco: Sie sind, in den ebenso starken wie viel geschmähten Worten des neokonservativen Kolumnisten Andrew Sullivan, «eine fünfte Kolonne» im «Krieg gegen den Terror», dazu Vertreter eines «moralischen Relativismus», der Bush und die Seinen in Rage versetzt.
Nicht dem abwägenden Konservatismus eines Edmund Burke sind sie verpflichtet, sondern einem radikalen Vorstoss auf unbekanntes Terrain. Ihnen mit Antiamerikanismus zu begegnen, wäre mehr als dumm. Es wäre gefährlich, weil ausser Acht lassend, wie gewaltig sich die politische Landschaft der USA seit den Zeiten Henry Kissingers und Erica Jongs verändert hat. Angst vorm Fliegen? Europa sollte sich anschnallen. Denn an Turbulenzen wird es nicht mangeln.
<ul> ~ aus Weltwoche</ul>

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