- Wo gibt es 'New Credits'? - BillyGoatGruff, 02.02.2003, 12:25
Wo gibt es 'New Credits'?
-->in China und Indien, meint Marc Faber.
Persönliche Impressionen von M.Faber's Vortrag im 'Geldtempel' der Bank Leu in Zürich
Eindrücklich, wie die Architektur des Hauptsitzes (und seit 1990 einzigen Geschäftssitzes in der Schweiz) der Bank Leu in Zürich schon von aussen einer Kathedrale ähnlich sieht und die Schalterhalle trotz Vortragsbestuhlung fast einem Kirchenschiff!
Nachdem Emerald, dem ich die 'Hochstapelei 'verdanke, mich ein paar Stunden unter Finanzanalysten mischen zu können, schon kurz und prägnant weiter unten die Essenz des Vortrages von M.Faber gepostet hat, folgen hier ein paar ausführlichere Gedanken.
Faber stellte ein Zitat von J.A.Schumpeter voran:
'But in capitalist reality, as distinguished from its textbook picture, it is not (price) competition which counts but the competition from a new commodity, the new technology, the new source of supply, the new type of organisation...'
Es gäbe immer eine Spitzengruppe, auf welche sich Anlagemanie und Herdentrieb der Anleger stürzen, was zu einer gewaltigen Unterbewertung in anderen Gebieten führe. Jedoch die Nachfrage nach einer neuen Technologie werde immer überschätzt. Und ausserdem habe eine ganz enorme Beschleunigung im Wirtschaftsablauf stattgefunden. Dauerte es noch etwa 50 Jahre, bis Elektrizität, das Automobil oder das Flugzeug 25 % der amerikanischen Bevölkerung erreicht hatten, so dauerte das beim Internet gerade 5 Jahre. Es komme noch dazu, dass die meisten neuen Produkte sich nicht bewähren.
Durch diese gewaltige Beschleunigung sei es heute nicht mehr möglich, über Jahrzehnte mit einer neuen Technologie überdurchschnittliche Gewinne zu machen, wie noch im letzten Jahrhundert ('kaufen und liegen lassen', 'Wachstumsfond', 'Kosto's Schlafpille').
Zum 'Produktivitätswunder' der 90er Jahre meine Faber: 'ein wunderbares Nichts'. Die Probleme beginnen schon beim Messen der Produktivität. Was für eine Arbeitszeit? 35, 40, 42, 45, 50 oder noch mehr Stunden die Woche? Mit oder ohne Kapitalkosten? Fazit: Gewinne haben mit Produktivität überhaupt nichts zu tun(gemäss dottore: 'Angebotspreise sind nicht realisierte Preise'). Frappantes Beispiel: In den USA stieg von 1947 bis 2000 die landwirtschaftliche Produktivität von 100% auf 1400%, die nicht-landwirtschaftliche nur von 100 auf 260 %.
Wo die Musik spiele, wo es 'New Credits' gibt, das sei bei der Industrialisierung eines neuen Landes. Mit China und Indien über 2 Milliarden Menschen im Übergang von 95% landwirtschaftlicher Produktion zu industrieller Produktion, unter Einschluss aller wenig industrialisierter Länder der Welt sind es sogar 3.5 Mia Menschen. Die Zahlen beeindrucken: Bei der Industrialisierung der USA verdoppelte sich das Einkommen per capita in knapp 50 Jahren, heute in China dauerte es gerade 8 Jahre. Das sind abenteuerliche Wachstumsraten in Asien, beängstigend eigentlich!
Der Wettbewerb aus China ist heute überall spürbar. Meine Original-HP-Tonerpatrone trägt ein in Plastic gegossenes Siegel 'made in China'. Ab 1998 begann der high-tech-Export aus China stark anzusteigen. Die Kurven 'US-Importe aus China und Japan' kreuzten sich 1996. Dazwischen lag die Asienkrise. Der Verdrängungswettbewerb durch China, mit nur 7% der lokalen Arbeitskosten der westlichen Welt werde weitergehen. In gut 12 Jahren (ab 89) ist die Börsenkapitalisierung in Schanghai um das 600-fache angewachsen. Da wurden wohl Vermögen gemacht!
China sei zum grossen Teil für die Deflation im Rest der Welt verantwortlich, meint Faber. Aber eine Deflation sei nicht schlecht an sich, das Problem sei nur die vorangegangene Inflation. Die Zentralbanken sähen Deflation als teuflisches Zeug, aber fallende Preise hätten historisch gesehen noch immer grosse Erfindungen provoziert.
Faber beobachtet wegen dieser gewaltigen Dynamik den CRB-Future ganz genau. Der steigt seit 2002 deutlich an. Dazu noch zu einem Lieblingsthema dieses Boards: Gold. 1995 verbrauchten davon die folgenden Länder pro Kopf: Taiwan 7.5 g, Japan 1.5 g, USA 1.1 g, Indien 0.5 g, China 0.2 g.
Indien verbraucht heute 1 g pro Kopf der Bevölkerung.
Rohstoffreiche Schwellenländer (wie Argentinien, Brasilien, Russland, Ukraine) scheinen Faber interessant. Jemand postete doch vor einiger Zeit, in Argentinien zu investieren?
Faber fand sogar ein freundliches Wort zu Japan (ganz im Gegensatz zu den USA 'die werden untergehen, wie jede imperiale Macht vor ihnen'), nachdem er viermal erwähnt hatte, makroökonomisch sähe es schrecklich aus, nämlich: die Aktienrenditen seien höher als die Obligationenrenditen. Das bedeutet ja klar, dass Unternehmen Gewinne machten. China werde durch das reiche Segment seiner Bevölkerung bald ein Kunde Japans. China ist mengenmässig (nicht betragsmässig) bereits heute die grösste Wirtschaft der Welt
Also, Wal Buchenberg's Rat, ein Chinesich-Wörterbuch zu kaufen, hat viel in sich.
Könnte es nicht sein, dass die 'New Credits' (bitte Wörterbuch!) in China uns vor der Kernschmelze des modernen Debitismus wenigstens teilweise bewahren könnten?
Schönen Sonntag noch,
BillyGoatGruff

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