- interview mit scholl-latour - orwell, 08.02.2003, 16:10
- birre Quelle nachreichen! - QuertreiBär, 08.02.2003, 18:39
- Re: birre Quelle nachreichen! - orwell, 08.02.2003, 19:36
- Re: Quelle Scholli Touri ** gabs +- wortwö. auch neulich bei jbk (owT) - Herbi, dem Bremser, 08.02.2003, 23:37
- birre Quelle nachreichen! - QuertreiBär, 08.02.2003, 18:39
birre Quelle nachreichen!
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> F: Sind Sie lebensmüde, Herr Scholl-Latour?
> Warum?
> F: Sie wollen Ende der Woche in den Irak fliegen.
> Ich reise über Amman an. Ich war schon oft in brenzligen Situationen und weiß,
> wie ich mich zu verhalten habe. Das heißt nicht, daß ich keine Angst habe. Ein
> Mensch ohne Angst ist unvorsichtig.
> F: Wann wird der Krieg beginnen?
> Ende Februar oder Anfang März. Die Amerikaner sind wild entschlossen.
> F: Und wenn sich die Beratungen im UN-Sicherheitsrat hinziehen?
> Darauf nimmt Bush keine Rücksicht. Er kann auch nicht länger warten, denn
> später wird es zu heiß in der Region.
> F: Aber Bush muß zumindest auf Blair Rücksicht nehmen, oder? Beim
> Gipfeltreffen letzte Woche hat der Brite mehr Zeit von Bush erbeten.
> Blair hat sich schon so weit aus dem Fenster gelehnt, der kann gar nicht mehr
> zurück. Der muß hoffen, daß alles gut geht.
> F: Am morgigen Mittwoch will US-Außenminister Powell dem Sicherheitsrat
> wieder einmal Beweise für die Gefährlichkeit des irakischen Regimes vorlegen.
> Versprechen Sie sich etwas davon?
> Eigentlich nicht. Wie oft haben denn die Amerikaner schon Beweise angekündigt?
> Und was ist mit den Hinweisen, die die CIA den Waffeninspekteuren geben
> wollte? Einige Hinweise sind durchaus erfolgt, aber als die Inspekteure ihnen
> nachgegangen sind, haben sie nichts gefunden.
> Natürlich hat Saddam Chemiewaffen. Aber was soll das heißen? Alle Staaten in
> der Region haben sie. Und wenn sie vernichtet werden, kann er sie in Kürze
> wieder herstellen. Jeder kann Chemiewaffen herstellen. Das kann man in der
> Garage tun.
> Ich befürchte auch, daß von den Spezialkräften der US-Army und der britischen
> SAS, die sich jetzt schon in geheimer Mission im Land befinden, dem Irak noch
> brisantes Material untergeschoben werden könnte - was dann die Inspekteure
> ganz zufällig finden würden. Eine Inszenierung, ein inszenierter Kriegsvorwand.
> Wie beim Vietnam-Krieg der Tongking-Zwischenfall, der auch von den
> Amerikanern erfunden wurde, wie man heute weiß.
> F: Erdogan, der neue starke Mann in der Türkei, hat darauf hingewiesen, daß
> bereits US-Spezialeinheiten im Irak kämpfen. Verwunderlich nur, daß das
> irakische Regime mit diesem Punkt nicht in die Offensive geht.
> Das liegt wohl daran, daß Saddam die Hoffnung hat, den vollständigen Bruch mit
> den Kurden noch zu vermeiden. Sie sind es ja, die das Einsickern der
> Spezialkräfte der USA und Großbritanniens in ihr autonomes Gebiet im Nordirak
> zumindest tolerieren.
> F: »Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?« lautet der Titel Ihres aktuellen
> Buches. Das Fragezeichen weist darauf hin, daß Sie ein Gleichheitszeichen
> zwischen Islamismus und Terrorismus ablehnen.
> Ja natürlich. Man muß doch sehen, was sich aktuell abspielt: Washington hat
> angekündigt, daß es eventuell Atomwaffen einsetzen werde. Kein Wunder, daß
> sich in dieser Situation terroristische Bewegungen formieren. Die haben zwar
> keine Atomwaffen, aber andere Mittel, um Schrecken zu verbreiten.
> F: Hat Saddam mit diesen Leuten Kontakt? Immerhin versuchte er in den letzten
> Jahren, durch demonstrative Hinwendung zum Islam seine Basis in der
> Bevölkerung zu erhalten. Sucht er gar den Schulterschluß mit Osama bin Laden,
> wie die US-Regierung behauptet?
> Vollkommener Blödsinn. Freilich hat Saddam in den letzten Jahren einige
> Anleihen beim Islam gemacht, mit »Allah uh akbar« garniert er seither seine
> Reden, und beim Golfkrieg 1991 hat er gar zum Dschihad, zum Heiligen Krieg,
> aufgerufen - wozu er aus religiöser Sicht nicht die mindeste Berechtigung hat.
> Aber er weiß, daß der Fundamentalismus sein Todfeind ist und wird ihn auch
> weiterhin, wie schon in der Vergangenheit, gnadenlos bekämpfen. Al Qaida ist im
> übrigen keine weltweit agierende Untergrundarmee, wie man es bisweilen
> darstellt. Es gibt kein Hauptquartier und keinen Anführer. Es gibt terroristische
> Gruppen auf dem gesamten Globus, aber ihr Kontakt untereinander ist lose.
> Wenn sich im Irak solche Grüppchen befinden, dann im Nordirak, also gerade in
> dem Teil des Landes, den Saddam nicht kontrolliert.
> F: Sie kennen aus eigener Erfahrung die gesamte Region. Was wird sich
> demnächst in der Türkei abspielen?
> Die USA haben Durchmarschrechte für 80000 Soldaten verlangt. Aber die
> türkische Bevölkerung ist mit großer Mehrheit dagegen, und die seit kurzem
> amtierende AKP-Partei wurde bestimmt für alles mögliche gewählt - aber nicht
> dafür, den USA dabei zu helfen, ein anderes islamisches Land zu überfallen. Ihr
> Chef Erdogan gilt mittlerweile im Westen als weltoffen, aber man sollte sich nicht
> täuschen, er ist ein sehr frommer Mann.
> F: Die USA haben vier Milliarden Dollar Kredite in Aussicht gestellt - angesichts
> der galoppierenden Krise im Land nicht zu verachten. Und der türkische
> Generalstab hat Bush schon grünes Licht für den Durchmarsch gegeben.
> Der Generalstab steht der AKP kritisch gegenüber, da er sich als Hüter der
> laizistischen Traditionen von Staatsgründer Atatürk sieht und der Läuterung des
> Fundamentalismus in Gestalt der AKP nicht über den Weg traut. Immerhin ist er
> massiv gegen die radikaleren Vorgänger der AKP vorgegangen, hat zum Beispiel
> das Verbot der Refah-Partei betrieben. Jetzt werden die Generäle mit einigem
> Wohlgefallen beobachten, wie sich die AKP angesichts des amerikanischen
> Ersuchens windet: Sie kann nicht nein sagen, sie kann nicht ja sagen. Das könnte
> zur Entzauberung der AKP führen, die ja als unverbrauchter Hoffnungsträger die
> Wahlen gewonnen hat.
> F: Man spricht schon von einer Domino-Strategie der USA im Nahen Osten.
> Wie in den siebziger Jahren, als nach dem Sieg der Kommunisten in Vietnam ein
> Dominostein nach dem anderen aus dem westlichen Einflußbereich herausfiel -
> nur dieses Mal umgekehrt. Welche Länder sind das nächste Ziel, sollten die USA
> den Irak besetzen?
> Vor allem wird sich der Druck auf Syrien erhöhen. Von dort operiert die
> Hisbollah, die Israel am meisten Schaden zufügen kann.
> F: Und Saudi-Arabien? Das dortige Regime ist ja tatsächlich der größte Finanzier
> des islamischen Terrorismus.
> Zweifellos. Saudi-Arabien ist tatsächlich ein fundamentalistischer Staat, eine
> fundamentalistische Gesellschaft. Im Irak beispielsweise herrscht große Toleranz
> gegenüber den Christen, immerhin eine Million - eine solche Toleranz wie in
> Bagdad ist in Riad und Mekka unvorstellbar. Die Swissair durfte beispielsweise
> die saudischen Flughäfen nicht anfliegen, weil sie auf der Heckflosse das
> Schweizer Kreuz hatte - für die Saudis ähnelt es zu sehr dem christlichen Kreuz
> und ist damit verboten.
> Oberflächlich bemüht sich das Regime um ein Auskommen mit den USA. Aber
> die fünftausend Prinzen leben in Saus und Braus und fürchten das Aufbegehren
> der moslemischen Massen im Land, einen fundamentalistischen Aufstand.
> Deswegen versuchen sie, sich freizukaufen, indem sie unter der Hand die
> Terrorgruppen finanzieren.
> F: Sie sind ein Anhänger der Idee vom starken Europa. Um sich der Hegemonie
> der USA zu entziehen, müsse Europa aufrüsten.
> Ich bin Gaullist, war es schon immer. De Gaulle hat eine klare Unterscheidung
> gemacht: In der Auseinandersetzung mit Moskau war er immer an der Seite der
> USA, in der Berlin-Krise etwa stand er für einen ganz harten Kurs. Aber dann
> hat er Frankreich aus der militärischen Integration der NATO herausgeführt.
> F: Die EU sollte also die transatlanischen Bindungen kappen?
> Wer ist denn die EU? Mit der Unterstützung von acht Staaten für den Kriegskurs
> von Bush hat sich doch gezeigt, wie es um die Einheit der EU bestellt ist.
> Unterschrieben hat dabei so ein Land wie Portugal, das bisher von Frankreich
> und Deutschland wirtschaftlich gepäppelt worden ist, sich aber nun gegen Berlin
> und Paris stellt. Auf die EU kann man nur bedingt setzen. Was not tut, ist ein
> enger Zusammenschluß von Deutschland und Frankreich, das wäre ein Block mit
> 140 Millionen Menschen, das sind fast so viel wie in Rußland. Und dann müssen
> diese beiden aufrüsten.
> F: Aufrüsten? Birgt das nicht die Gefahr, zumindest mittelfristig, daß es zu einer
> militärischen Konfrontation mit den USA kommt?
> Die Proliferation von Massenvernichtungswaffen ist die reale Gefahr. Dagegen
> muß Europa geschützt sein, auch mit Atomwaffen.

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