- Szene aus dem Tollhaus der Weltpolitik - nereus, 11.02.2003, 18:16
- Re: Wo der US-Schund seinen Ursprung hat - Tempranillo, 11.02.2003, 18:46
- Re: Wo der US-Schund seinen Ursprung hat - chiron, 11.02.2003, 20:13
- Das Tollhaus ist die Politik selbst ;-) - silvereagle, 11.02.2003, 20:12
- Re: Das Tollhaus ist die Politik selbst - silvereagle - nereus, 11.02.2003, 21:50
- Re: Wo der US-Schund seinen Ursprung hat - Tempranillo, 11.02.2003, 18:46
Szene aus dem Tollhaus der Weltpolitik
-->Quelle: Der Europäer Jg. 7 / Nr. 4 / Februar 2003
Wäre es doch nur eine absurde Farce...
New York, 7. Dezember 2002. Gegen Mitternacht dringen drei US-Regierungsbeamte in das 31. Stockwerk des UNO Hauptquartiers ein. Begleitet vom Kolumbianer Alfonso Valdivieso, dem derzeitigen Präsidenten des Sicherheitsrates.
Hans Blix, der Leiter der mit der Abrüstung Iraks beauftragten Kommission (Unmovic), wird dazu aufgefordert, die frisch angelangten beiden Köfferchen mit dem Bericht aus Bagdad auszuhändigen.
Blix beugt sich, sein Posten untersteht dem Sicherheitsrat.
Valdivieso war von der kolumbianischen Regierung angewiesen worden, die Aushändigung der Koffer zu veranlassen - nachdem diese Regierung zuvor durch Washington mit Druck und Geschenken (einer Erhöhung der Militärhilfe für Kolumbien!) zu diesem Schritt genötigt worden war.
Das aus Bagdad pünktlich gelieferte, 11807 Seiten umfassende Waffendossier in zwei Exemplaren wurde umgehend nach Washington geflogen.
Laut dem Sprecher des US-Außenministeriums besitze Washington nämlich bessere Kopiergeräte als die UNO. Außerdem sei in Washington gewährleistet, dass keine vertraulichen Informationen in falsche Hände gelangen würden.
Ein UNO-Sprecher sprach von einem «Raubüberfall», während sich Kofi Annan nur dazu aufraffen konnte, den Vorgang «unglücklich» zu nennen.
Was hat in US-Regierungskreisen die Panik verursacht, die zu dieser Nacht-und-Nebel-Aktion trieb?
Es war die beim Eintreffen des Dossiers zutage tretende Tatsache, dass der Bericht eine vom UNO-Sicherheitsrat nicht verlangte Detailliertheit aufwies:
«In jeder der vier Kapitel (atomare, biologische und chemische Waffen sowie Raketen), fügten die Iraker einen Absatz über ‹die Beziehungen mit Staaten, Firmen und den wichtigsten Lieferanten› ein. Darin werden jene Firmen aufgezählt, die auch nach der Verhängung der Wirtschaftssanktionen Rüstungsgüter oder chemische Grundstoffe für Nervengase lieferten. Diese für etliche Regierungen unangenehmen Enthüllungen sollen auf Verlangen maßgeblicher Mitglieder des Weltsicherheitsrats geheim bleiben.» (Basler Zeitung, 12. 12. 2002)
Die massivste Untersützung für seine Rüstungsindustrie erhielt der Irak seit den 70er Jahren laut dem Bericht aus Deutschland und den USA. Kein anderer als der heutige USAußenminister Rumsfeld hatte bei einer Bagdad-Visite im Dezember 1983 eine regelrechte, aber geheime Militärkooperation zwischen das mit Iran im Krieg liegende Bagdad und Washington eröffnet. Es kam zu diversen Waffenlieferungen, einschließlich der Hilfe zum Kalibrieren von Senfgasangriffen und der Lieferung von Milzbrand- und anderen Krankheitserregern.
Am Tag nach dem New Yorker Raubüberfall erhielten Russland, Frankreich, Großbritannien und China eine angeblich unzensierte, die übrigen zehn Mitglieder des Sicherheitsrates eine zugegebenermaßen zensierte Fassung des Bagdad-Berichts.
Man kann die plötzliche Panik und den Druck auf den Präsidenten des Sicherheitsrates gut verstehen.
Kaum verständlich ist, dass nicht die ganze Welt in ein offenes Gelächter ausbrach, als von der US-Regierung nach der Nacht- und Nebel- Aktion von verdächtigen Lücken geredet wurde, die Bagdad im Dossier gelassen habe. Die Lücken, die man nach dem Raubüberfall selbst geschaffen hatte, werden einfach auf den jahrzehntelang geförderten «Feind» projiziert.
Wenn das alles doch nur eine absurde Farce in einem Vorstadttheater wäre! Niemand brauchte hinzugehen, und die Vorstellungen würden daher bald ein Ende haben. Doch diese Farce ist gegenwärtig Weltpolitik, von der nicht fernzubleiben ist. Deren Brutalität und Verlogenheit wird von Leuten am Leben gehalten, die in der Macht und im Willen zur Macht das eigentliche Wirklichkeitsprinzip erblicken, dem sich alles andere, zuvorderst das Prinzip der Wahrheit, vollständig zu unterwerfen hat.
An solchen farcenhaften, in ihren Folgen aber lebenvernichtenden Absurditäten wie dem New Yorker «Raubüberfall» tritt der Untergangscharakter heutiger Politik besonders klar zutage....
Thomas Meyer

gesamter Thread: