- Oberstes belgisches Gericht m. Weg frei für Sharon Anklage wg. Kriegsverbrechen - kingsolomon, 13.02.2003, 11:52
- Re: Oberstes belgisches Gericht m. Weg frei für Sharon Anklage wg. Kriegsverbrechen - Euklid, 13.02.2003, 12:06
- Re: Oberstes belgisches Gericht m. Weg frei für Sharon Anklage wg. Kriegsverbrechen - manolo, 13.02.2003, 12:38
- Re: Oberstes belgisches Gericht m. Weg frei für Sharon Anklage wg. Kriegsverbrechen - Euklid, 13.02.2003, 13:20
- Re: Oberstes belgisches Gericht m. Weg frei für Sharon Anklage wg. Kriegsverbrechen - manolo, 13.02.2003, 12:38
- Scholl-Latour über Sabra und Schatila - HB, 13.02.2003, 14:02
- Richtig so! Völlig korrekt. Dieser Typ soll... - Der Bulle, 13.02.2003, 14:47
- Re: Oberstes belgisches Gericht m. Weg frei für Sharon Anklage wg. Kriegsverbrechen - Euklid, 13.02.2003, 12:06
Scholl-Latour über Sabra und Schatila
-->Peter Scholl-Latour schreibt darüber in"Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?":
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Vom Leuchtturm aus Richtung Ras Beirut walzte ein Rudel
dröhnender Ungetüme heran, Merkeva-Panzer mit dem
unförmigen Stahlbauch. Der Merkeva hatte sich allen
sowjetischen Modellen als glatt überlegen erwiesen. Vor der
DDR-Botschaft vereinigten sich die beiden Kolonnen. West-Beirut
war endgültig umklammert, der Kampf faktisch beendet.
Die Israeli installierten sich im Hauptquartier der »Sozialistisch-Fortschrittlichen
Partei« des Drusen-Fürsten Walid Dschumblat.
Es war hoher Mittag. Vom Minarett der Moschee Ainel-Mreisse,
die dem Hotel »Saint-Georges« schräg gegenüberliegt,
ertönte der Ruf des Muezzin: »Allahu akbar! - Gott ist größer!«
Die verzweifelte Beteuerung ging im Rasseln und Scheppern der
israelischen Panzerfahrzeuge unter.
Drei Tage später brach ich mit Wajih gegen zehn Uhr
vormittags nach Fakahani, der früheren Hochburg der PLO,
mitten in Beirut auf. Immer wieder wurden wir von israelischen
Streifen kontrolliert. In Fakahani hatte die israelische Luftwaffe
mit bemerkenswerter Zielsicherheit zugeschlagen. Durch einen
einzigen Volltreffer waren achtstöckige Betongebäude platt
gewalzt worden. Bei der Arabischen Universität waren die
Verwüstungen am schlimmsten, aber durchaus nicht wahllos.
Die Häuser, in denen wir Yassir Arafat und George Habbash,
dem Führer der marxistisch geprägten Demokratischen
Freiheitsfront, begegnet waren, existierten nicht mehr. Es sah
nach Stalingrad aus. Seltsamerweise hatte sich hier - in
Blickweite israelischer Panzerkonvois, die ruhelos das Gebiet
absicherten - eine kleine Gruppe muselmanischer Zivilisten
festgekrallt. Sie waren schon dabei, den gröbsten Schutt aus
ihren Wohnungen zu entfernen. Ein Knabe ging mit weißer
Fahne zwischen den Schutthalden spazieren, ein pathetisches
Bild. Eine aufgeregte, grundlos lachende Frau überschüttete uns
mit Reiskörnern, als ob wir Sieger oder Befreier wären. Wajih
drängte mich beschwörend, weiterzufahren, einen kurzen
Abstecher in das nahe Palästinenserlager Sabra zu unternehmen.
Auf dem Weg zum Camp rasten mit heulenden Sirenen und
flackerndem Rotlicht ein Dutzend Ambulanzen an uns vorbei.
Zu Fuß erreichten wir die einstöckigen Häuserzeilen von Sabra,
und mit einem Blick spürte ich, daß etwas Ungewöhnliches,
Schreckliches passiert sein mußte. Es waren keine Menschen zu
sehen. Die Wohnungen waren aufgebrochen. Die Mittagssonne
lag wie ein gnadenloser Scheinwerfer auf den verlassenen
Hütten. Jetzt witterte ich den Geruch, den süßlich penetranten
Gestank, der mir von Vietnam so vertraut war. Dann sah ich die
ersten zwei Leichen liegen. Es waren sechzig- bis siebzigjährige
Männer, denen die Schüsse klaffende Löcher ins Gesicht
gerissen hatten. Wir stolperten fast über eine andere Gruppe
Toter, die in der Bauchgegend durch eine Feuergarbe zerfetzt
waren. Sie waren über und über mit Fliegen bedeckt. Das breite,
gutmütige Gesicht Wajihs war versteinert. Unser Kameramann
Michael wurde bleich. Er nahm die Kamera herunter. »Ich kann
nicht weiterfilmen, mir ist übel«, sagte er tonlos. Ein Greis
winkte uns weiter. »Go!« raunte er uns zu, »look!« Eine
schreiende Frau wollte unsere Führung übernehmen. In den
Häusern seien ganze Familien ausgerottet. Babys lägen dort bei
ihren Müttern. Ihr Klagen ging in Schluchzen und Wimmern
über. Am Ende der Gasse waren sie aufgehäuft, fünfzehn oder
zwanzig Palästinenser. Man hatte sie buchstäblich an die Wand
gestellt. Nun versperrten die Toten fast den Durchgang. Im
Gegensatz zu den anderen Leichen waren sie von der Hitze noch
nicht entstellt. Ihre Hinrichtung mußte in den frühen
Morgenstunden stattgefunden haben. Wir sind dann nicht weiter
nach Sabra hineingegangen, sondern kehrten nach Aschrafieh
zurück. Ich legte keinen Wert darauf, Hunderte von Filmmetern
mit ermordeten Zivilisten zu sammeln.
Über die Massaker von Sabra und Schatila kann ich folgende
Aussage machen: Israelische Soldaten waren mit Sicherheit
nicht unmittelbar an dem Gemetzel beteiligt. Sie hatten
bewaffnete Christen - maronitische Phalangisten, die wie Wölfe
aus dem Gebirge gekommen waren - in die Lager der
Palästinenser hineingelassen. Die Israeli mußten dort mit letzter
Gegenwehr und eigenen Verlusten rechnen. Deshalb hatten sie
die Kataeb vorgeschickt. Es gab genügend maronitische
Freischärler im Libanon, deren Familien von den Muselmanen
und Palästinensern umgebracht worden waren. In den langen
Jahren des Bürgerkriegs hatten Verrohung und Haß wie eine
Seuche um sich gegriffen. Immer und überall finden sich
Freiwillige, wenn es ums Abschlachten von Wehrlosen geht.
Die Mörder sind wohl ohne präzise Weisungen in Sabra und
Schatila eingedrungen. Die Israeli mußten dennoch voll auf dem
laufenden gewesen sein. In West-Beirut bewegte sich kein
Kamerateam, geschweige denn eine Rotte Bewaffneter ohne
Genehmigung, ja ohne Order von Zahal. Irgendwelche
israelische Befehlsstellen haben die Dreckarbeit anderen
überlassen oder zuschieben wollen. Spätestens nach zwei oder
drei Stunden, als die Schießerei in den Camps kein Ende nahm,
hätte die IDF nach dem Rechten sehen und eingreifen müssen.
Statt dessen verharrten die Israeli in knapp zweihundert Meter
Distanz und warteten 36 Stunden, ehe sie der Agonie ein Ende
setzten. Der jüdische Staat war in Beirut der grausigen Logik der
Partisanenbekämpfung erlegen.
Warum sind in Damaskus, Kairo, in Amman und Bagdad die
Massen damals nicht auf die Straßen geströmt, um die
»zionistische Untat« anzuprangern? Dafür gibt es nur eine
beschämende Erklärung. Die jeweiligen Regierungen und
Machthaber hatten Angst vor jeder Volkskundgebung großen
Stils, die sehr schnell ihrer Regie entgleiten und sich wie eine
Sturmflut gegen die eigenen Potentaten richten konnte. Um so
beeindruckter, ja geradezu sprachlos nahm die arabische
Ã-ffentlichkeit zur Kenntnis, daß sich in Tel Aviv viele Tausende
Juden versammelten, um das Versagen, die Schuld der eigenen
Führung anzuklagen. Verteidigungsminister Ariel Sharon mußte
seinen Abschied nehmen.
Der unmittelbar verantwortliche Anführer der Mörderhorden,
die über Sabra und Schatila hergefallen waren, der Phalangisten-Kommandeur
Elie Hobeiqa, ein pathologischer Killer, wurde für
sein Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen, geschweige
denn verurteilt. Er verstand es rechtzeitig, die Komplizenschaft
mit den israelischen Eroberern abzuschütteln und sich bei den
Syrern anzubiedern, die in der Auswahl der ihnen ergebenen
Lakaien nicht wählerisch waren. Mit dem Segen von Damaskus
fungierte Hobeiqa später sogar im libanesischen Kabinett Hariri
als Minister für Wasser- und Elektrizitätsversorgung. So sah
also die »Friedensordnung« von Beirut aus.
Erst zwanzig Jahre später wurde dieser Kataeb-Führer doch
noch von der Vergeltung eingeholt. Als Ministerpräsident
Sharon wegen Sabra und Schatila von einer obskuren belgischen
Justiz-Instanz zur Rechenschaft gezogen und als
»Kriegsverbrecher« angeklagt werden sollte, erhielt auch Elie
Hobeiqa die Aufforderung, zur Zeugenaussage nach Brüssel zu
kommen. Noch ehe er den Flug in die belgische Hauptstadt
antrat, wurde er in Beirut von einem Scharfschützen abgeknallt.
Der Täter wird wohl nie identifiziert werden.

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