- Die USA und der Peloponnesische Krieg (431-404 v. Chr.) - Wal Buchenberg, 15.02.2003, 11:10
Die USA und der Peloponnesische Krieg (431-404 v. Chr.)
-->Die USA und der Peloponnesischen Krieg
„Ich, Thukydides aus Athen, habe den Krieg zwischen den Peloponnesiern und Athenern (431-404 v. Chr.) beschrieben, wie sie ihn gegeneinander geführt haben; ich habe damit gleich bei seinem Ausbruch begonnen in der Erwartung, er werde bedeutend sein und denkwürdiger als alle vorangegangenen Kriege. Ich schloss dies daraus, dass beide in jeder Hinsicht auf dem Höhepunkt ihrer Macht in den Krieg traten, und weil ich sah, dass sich das übrige Griechenland jeweils einem der beiden Gegner anschloss, teils sofort, teils nach einigem Überlegen. Denn dies war die gewaltigste Erschütterung für die Griechen und einen Teil der Nichtgriechen, ja sozusagen für den größten Teil der Menschheit. (Peloponnesischer Krieg, 1. Buch, 1.1) (Thukydides schrieb also Zeitgeschichte, wb)...
Den Krieg eröffneten die Athener und Lakedaimonier durch den Bruch des dreißigjährigen Vertrages, den sie nach der Einnahme von Euboia geschlossen hatten. Weshalb sie den Vertrag brachen, die Anschuldigungen und Streitpunkte habe ich hier zuerst behandelt, damit man nicht fragen muss, warum denn ein so gewaltiger Krieg unter den Hellenen ausbrach.
Den letzten und wahren Grund, von dem man freilich am wenigsten sprach, sehe ich im Machtzuwachs der Athener, der den Lakedaimoniern Furcht einflößte und sie zum Krieg zwang; aber die öffentlich von beiden Seiten vorgebrachten Anschuldigungen, derentwegen sie den Vertrag lösten und den Krieg begannen, waren Folgende...“ (Peloponnesischer Krieg, 1. Buch, 23.4)
Anmerkung zum Irakkrieg:
1. Mit dieser Unterscheidung des Thukydides, dass die „letzten und wahren“ Gründe eines Krieges nicht in den Anschuldigungen und Streitpunkten liegt, die öffentlich vorgebracht werden, beginnt die wissenschaftliche Denkweise in der Politik wie in der Geschichte.
Wer also heute bei den Gründen für Krieg der USA gegen den Irak nicht weiter und tiefer schaut, als in die Anschuldigungen, die die US-Regierung vorbringt, (Saddam Hussein ist ein Diktator mit Massenvernichtungswaffen), der ist entweder ein Dummkopf oder er will die Ã-ffentlichkeit bewusst täuschen und für diesen Krieg gewinnen.
2. Warum ist dieser Irakkrieg so bedeutend? Schließlich stehen sich hier doch nicht zwei große Mächte „auf dem Höhepunkt ihrer Macht“ wie beim Peloponnesischen Krieg gegenüber, sondern die Weltübermacht USA mit aktiver Unterstützung Großbritanniens und aktiver bzw. passiver Unterstützung der NATO auf der einen Seite und ein Land, das den letzten Golfkrieg gegen die USA und ihre Alliierten ohne großen Widerstand verloren hatte und seither an wirtschaftlicher und militärischer Stärke nicht gewonnen, sondern nur verloren hatte.
Ich denke, wir müssen als Ausgangspunkt der heutigen Weltlage den letzten großen Krieg, den zweiten Weltkrieg nehmen. Als Ergebnis des zweiten Weltkrieges standen sich zwei große Machtblöcke gegenüber, die sich zwar gegenseitig bedrohten, aber auch gegenseitig blockierten und in ihrem Handeln beschränkten. Aus dieser Blockade der Großmächte zogen die kleinen und armen Staaten und Gebiete der Welt direkten Nutzen. In Asien, Afrika und Lateinamerika befreiten sich die meisten Völker von direkter fremder und kolonialer Kontrolle.
Die britische Kolonialmacht herrschte im Jahr 1939 noch über 446 Millionen koloniale Untertanen. Frankreich, die Niederlande, Japan, die USA und alle anderen Kolonialmächte herrschten zusammen über rund 260 Millionen Untertanen. (Vgl. Franz Ansprenger, Auflösung der Kolonialreiche, dtv-Weltgeschichte Bd. 13, 295.) Ein Dutzend kapitalistischer Staaten beherrschte im Jahr 1939 also gut 700 Millionen kolonialer Untertanen, das waren etwa ein Drittel der damaligen Weltbevölkerung.
Im Jahr 1973 herrschte Großbritannien nur noch über 11 Millionen koloniale Untertanen, alle anderen kapitalistischen Staaten über 24 Millionen. (Vgl. Franz Ansprenger, Auflösung der Kolonialreiche, dtv-Weltgeschichte Bd. 13, 297.) Das waren nun weniger als ein Prozent der damaligen Weltbevölkerung (Vgl. Carlo M. Cipolla, Wirtschaftsgeschichte und Weltbevölkerung, dtv. 96).
Dieser Verlust an Monopolgebieten - und eine Kolonie ist nichts anderes als ein regionales Wirtschaftsmonopol - war die eigentliche antikapitalistische Weltrevolution der Jahre 1945 bis 1975.
Dieser weltweite kapitalistische Machtverlust wurde jedoch in Deutschland kaum wahrgenommen: Erstens wurde das nicht wahrgenommen, weil Deutschland seine eigenen Kolonialgebiete schon im ersten Weltkrieg verloren hatte und der anschließende Versuch, ganz Osteuropa und Russland zur deutschen Kolonie zu machen, im zweiten Weltkrieg gescheitert war.
Zweitens wurde dieser Verlust nicht wahrgenommen, weil die kapitalistischen Länder und Konzerne mit einer erfolgreichen Freihandelsstrategie auf den Verlust kolonialer Monopolgebiete reagierten, was einen großen kapitalistischen Modernisierungsschub zur Folge hatte. Eine gewisse Zeit konnte man glauben, der globale Kapitalismus funktioniere besser ohne Kolonien, ohne Monopolgebiete.
Vor allem die Kolonialstrategie der USA ging von Anfang an in diese Richtung. Erstens waren die USA - wie Deutschland - eine verspätete kapitalistische Macht, zweitens waren amerikanische Kapitalisten wirtschaftlich erfolgreich und konnten mit höheren Produktmengen und höherer Produktivität die Konkurrenz auf den freien Märkten der Welt besiegen. Daher war das amerikanische Kapital meist für offene Märkte und Freihandel, für eine „Politik der offenen Tür“. Wo die USA - wie in Korea und Vietnam - eine Politik des militärischen Eingreifens verfolgten, waren sie nicht sehr erfolgreich (ausgenommen ihre Militärinterventionen im lateinamerikanischen „Hinterhof“).
3. Mit dem wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch der Sowjetunion ist die politische und militärische Blockade der kapitalistischen Mächte entfallen. Diese gewachsene Handlungsfreiheit demonstrierten sie sofort mit den Balkankriegen, die Jugoslawien als unbequeme und selbständige Macht auf dem Balkan beseitigte und den gesamten Balkan unter die Kontrolle der Europäischen Union brachte. Aber auch mit der EU-Osterweiterung und der NATO-Erweiterung nach Osten. In gewisser Weise ist nun der Irak für die Golfregion, was Jugoslawien auf dem Balkan war: Eine eigenwillige Macht, deren Unterwerfung möglicherweise die Kontrolle über die umliegende Ã-lregion verschafft.
Dennoch ist es bemerkenswert, dass die USA seit dem Einmarsch in Afghanistan ihre traditionelle Strategie der „offenen Tür“ aufgebeben haben und zunehmend zur neokolonialen Methode der militärischen Intervention greifen. Was ist dafür der „letzte und wahre Grund“ (Thukydides)?
Im allgemeinen sind die kapitalistischen Länder und Kapitalgruppen, die wirtschaftlich überlegen sind, eher für Frieden, die wirtschaftlich rückständigeren eher für Krieg. Über die zu seiner Zeit fortgeschrittensten Kapitalisten schrieb Karl Marx: „Die Manchesterschule will in der Tat den Frieden, um industriell Krieg führen zu können, nach außen und nach innen. Sie will die Herrschaft der englischen Kapitalistenklasse auf dem Weltmarkt, wo bloß mit ihren Waffen, Baumwollballen, gekämpft werden soll...“ K. Marx, Parlamentsdebatten, MEW 11, 283.
Dass die USA eine zunehmend kriegerische Strategie in der Welt verfolgen, hängt eng damit zusammen, dass sie wirtschaftlich in Rückstand gerieten. Man braucht sich nur vor Augen führen, wie wenig amerikanische Produkte auf dem Weltmarkt exportiert werden. (Produkte, die sich auf dem Weltmarkt behaupten, werden in der Regel am profitabelsten produziert.) Die USA haben weiterhin eine Verschuldungsrate, die bald argentinische Ausmaße annimmt. Die traditionelle US-Politik des Freihandels oder „Dollar-Imperialismus“ ist damit nicht mehr zu machen, also setzen die USA auf die Vorteile, die sie haben: Militärische Stärke. Das ist eine Strategie des Niedergangs.
4. Der Streit um die geschicktere Taktik gegenüber dem Irak hat zur Grundlage ein wirtschaftlich und politisch gestärktes Europa und eine wirtschaftliche und politische Schwäche der USA. Die USA, bisher die Hauptstütze des globalen Kapitalismus, muss zunehmend „egoistisch“ handeln und schafft damit zunehmende Konfrontationen mit der kapitalistischen Konkurrenz. Wenn die USA-Regierung verkündet: „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!“ so ist das auch eine Drohung gegen die Verbündeten.
Wir erleben eine Zeitenwende. Das amerikanische Zeitalter, das 1917 mit dem Kriegseintritt der USA in den ersten Weltkrieg begann und seinen Höhepunkt 1945 erlebte, ist zu Ende. Was jetzt beginnt ist eine neues Zeitalter der Instabilität und der verschärften Konkurrenz der kapitalistischen Mächte, vergleichbar der Zeit vor dem ersten Weltkrieg wie der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. In gewisser Weise muss man sagen, dass ab sofort der dritte kapitalistische Weltkrieg vorbereitet wird.
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5. Eine emanzipatorische Gegenstrategie kann jedoch weder darin bestehen, einen kapitalistischen Block gegen den anderen Block zu unterstützen, noch darin, alle kapitalistischen Blöcke in einen einzigen Topf zu werfen. Vielmehr muss man die Unterschiede an Aggressivität und an Angriffsfläche sehen und ausnützen. Ich denke, alles, was die Hauptstütze des globalen Kapitalismus, die US-Hegemonie, schwächt, schwächt die Herrschaft des Kapitalismus in der Welt und damit auch die Kapitalherrschaft im eigenen Land.
Für den Irakkrieg heißt das: Die USA führen diesen Krieg im eigenen kapitalistischen Interesse. Jede Unterstützung der USA in diesem Krieg ist abzulehnen und zu bekämpfen.
Der Irak ist ein angegriffenes Land und hat daher das Recht sich zu verteidigen. Das herrschende Regime im Irak ist jedoch selber eine kapitalistische Regierung und verdient keine direkte Unterstützung von Seiten der emanzipatorischen Bewegungen in der Welt. Die Antikriegsbewegung kann zwar für die amerikanische Niederlage, kann aber nicht für einen „Sieg Saddam Husseins“ oder einen"Sieg Iraks" eintreten.
Daraus ergeben sich die Forderungen:
Hände weg vom Irak!
Nieder mit Imperialismus und Krieg!
Wal Buchenberg, www.marx-forum.de 15.02.2003

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